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The Last Romance
Arab Strap & Locas In Love
Februar 2006

3.2.2006 Hamburg, Logo

Erst vor ein paar Tagen wurden wir zur Arab Strap-Tour dazugeladen und schon sind wir auf dem Weg nach Hamburg. Wir brechen extra früher auf, weil wir auf jeden Fall noch zu Rückkopplung müssen. Beide Bassverstärker sind seit einem Vierteljahr bei Christians Techniker verschollen, der Techniker ist ebenfalls von der Bildfläche verschwunden und der gelassene Musikalienhändler leiht uns jetzt etwas aus seinem eindrucksvollen Fundus als gleichwertigen Ersatz. Außerdem kaufen wir einen neuen Synthesizer. Die Stimmung ist gut, wir sind heute nur als harter Kern unterwegs, also nur Locas mit Instrumenten, Benni hat sich irgendwo verloren und schwänzt den Ausflug. Auf dem Weg zum Klub verfahren wir uns nur einmal kurz und Niklas fährt vor den Augen zweier Polizisten beim U-Turn über eine rote Ampel (weil der Haltestreifen ungeschickt liegt), dreht um und der Wachtmeister mit der Lederjacke und dem vernarbten Gesicht gebietet, die Scheibe herunterzukurbeln: Moin Chef, ich weiß ja nicht, wie das bei euch in Köln ist, aber hier bedeutet eine rote Ampel, daß man stehenbleibt. Niklas erklärt in seinem feinen gespielten Hanseatisch, daß er den Fehler gerne gesteht und die Haltelinie und das Umschalten der Ampel in Zusammenspiel mit unserem Verfahren seine Reaktionszeit verlangsamten. Der strenge und bärenstarke Kommissar sagt: in dem Alter?, geht und zwinkert noch einmal kess. Das lief sehr gut.
Wir kommen noch vor Arab Strap im Logo an, und wissen nicht so recht, wohin mit uns. Wir wollen nicht vor dem Headliner unsere Sachen in den Raum räumen, es könnte zudringlich wirken, wollen das Catering nicht anrühren, es wäre distanzlos und frech. Also sehen wir uns die Fotos der besten Acts an, die im Logo gespielt haben, Lucilectric und andere starke Gruppen aus Pop und Rock.
Jan von Target begrüßt uns, er ist in Hamburg für die Durchführung zuständig, erzählt uns, daß er ein Label betreibt und seine Befürchtung, daß das Konzert nicht so gut besucht sein wird, wie es sicher wäre, wenn nicht auch noch Death Cab For Cutie in der Stadt wären. Wir bekommen ein Bakschisch, um uns etwas zu essen zu kaufen, das wir aber heimlich in die Hosentasche stecken, um später Benzin davon zu kaufen. Als Arab Strap kommen, halten wir uns sehr zurück - der Respekt macht uns verschüchtert. Außerdem wissen wir ja selber, daß man als tourende Band einen eigenen Rhythmus hat und in einem eigenen System steckt und Zeit zum akklimatisieren braucht. Jeden Abend eine andere Stadt und andere Leute. Die Begleitband stellt sich als erstes vor, bandsmalltalkt mit uns und wir stellen uns sanft auf das Schottisch ein. Wegen eines Defekts dauert der Soundcheck ewig, zwei Stunden etwa. Dafür klingt es auch unglaublich. Vielleicht der beste Livesound, den wir je gehört haben, transparent, laut, unnahbar und dringlich. John Delf, der Mischer, hat eigene Supermikros mitgebracht, nicht den üblichen SM57- und SM58-Kram, der meistens vor Ort ist, sondern Sachen, mit denen man sonst eher im Studio arbeitet. Und so klingt es eben auch.
Wir müssen uns etwas ungeschickt aufbauen, nämlich aufgereiht nebeneinander, aber getrennt von einer Säule in Bühnenmitte. So stehen Mauri und Niklas rechts, Stefanie und Björn links von der Säule. Die beiden Parteien haben nicht wirklich Blickkontakt und hören sich auch nicht wirklich, jeder werkelt ein wenig vor sich hin und stochert im Soundnebel. Leider dürfen wir nur fünf oder höchstens zehn Minuten soundchecken, weil der Kassenmann drängelt: kann ich jetzt die Türe machen? So gehen wir pünktlich um 21 Uhr auf die Bühne und in eine Situation, die wir noch nicht ganz einschätzen können, normalerweise benutzt man ja den Soundcheck, um sich mit dem Raum und der Bühne vertraut zu machen. Blindekuh in Rock. Es ist eigentlich sehr voll, aber wir können nicht nur einander nicht sehen sondern werden auch so angeleuchtet, daß wir nichts sehen können, was vor der Bühne geschieht. Eine Maßnahme, die uns helfen soll, wenn alle Leute weggehen. Wir würden es höchstens am ausbleibenden Applaus merken. Wir finden allmählich an unseren Platz und in einen Fluß, machen keine Ansagen und laufen streng durch unser Programm, fast nur neue Stücke. Bei Our Hearts haben wir endlich alles Eis gebrochen und eine Konzertsituation, wie sie sich gut anfühlt und verlassen dann die Bühne. Björn widmet es mit den einzigen Worten, die er heute auf der Bühne spricht, seinem vor wenigen Tagen verstorbenen Freund Urs, um zusammen mit seiner Band noch einmal an ihn zu denken.
Hektisches Freiräumen der Bühne und Beladen des Busses und dann beginnen Arab Strap. Das Konzert ist einfach nur toll. Die Band ist eine schwer stampfende, würdevolle, bedrohliche Maschine. Als es vorbei ist, freunden wir uns auch noch mit Malcolm und Aidan an und sind äußerst zufrieden darüber, wie sich das Ganze anlässt. Leider müssen wir recht bald aufbrechen, Niklas muß morgen arbeiten und Björn fährt seine Freunde durch dicke Nebelschwaden zurück nach Köln, Ankunft gegen 5 Uhr früh. Auf der Fahrt treffen wir eine ominöse Gruppe Hells Angels oder etwas Artverwandtes und werden von Wolfgang überholt, dem das Studio gehört, unter dem wir proben. Die Überraschung darüber hält uns die letzte Stunde wach. Nachtfahrten sind grauenhaft. Man sollte so was nur machen, wenn man einen sehr guten Grund hat. So wie wir.

12.2.2006 Berlin, Anreise

Ganz kurzfristig hat Stephan von Hobby DeLuxe uns bei einem Fernsehtermin eingeladen. Auf einem türkischen Sender gibt es eine Indierocksendung, die einen guten Ruf genießt (und zu Recht, wie wir später sagen). Wir müssen uns gegen 13.45 einfinden und fahren deshalb schon am Sonntag los. Mauri und Benni gehen zu ihren Freunden Casting und Karin und freuen sich schon lange im Voraus darauf, dort mütterlich aufgenommen und behandelt zu werden. Ganz aufgeregt werden sie bei dem Gedanken daran, daß sie sich eine Pizza vom Bringdienst kommen lassen. Mauri hält es nicht mehr aus und ruft schnell mit seinem Handy an: Karsten, dürfen wir uns nachher eine Pizza bestellen? Und morgen wollen wir zu Burger King! Stefanie, Björn und Niklas sind erneut Gäste von Frank, dem tüchtigen Mobilé-Bassisten, der nicht genug kriegen konnte vom Applaus als patenter Gastgeber, den er sich im November zurecht verdiente. Vorher streifen die drei noch ein wenig durch die Gegend, Niklas braucht eine Falafel. Er läuft mit Mr. Fusion-Antrieb wie im zweiten Teil von Zurück In Die Zukunft und Biomasse macht ihn geschwind, konzentriert und kräftig. Treffpunkt 23.30 bei Frank, der noch in einer großen Besprechung ist, er spielt mit dem Gedanken, diverse Köpfe aus dem ehemaligen rot-grünen 'Chaotenkabinett' in seinem Buchladen anzustellen oder vielleicht eine weitere Firma zu gründen. Er und Peer fahren mit einem tollen Auto vor, Peer steigt aus und schenkt seinen Freunden zur Begrüßung eine Lampe. Er behauptet, sie gefunden zu haben, weil er seine armen Freunde nicht in Verlegenheit bringen will. Wir fragen uns: wo findet man eine geile Tiffanyglaslampe mit Svarovski-Kristallen und das Ganze in einer Fassung aus purem Gold? Während Mauri und Benni mit ihrer Pizza Frieden finden, geht es bei Frank aufgeregter zu. Er und Peer stellen die neuen Songs von Mobilé vor und geben uns Wein. Natürlich ist Frank auch in Sachen Wein Experte. Er überlegt, eine Firma, die entfernt mit Wein zu tun hat, zu gründen. Möglicher Name: Neuer Wein. Möglicher Slogan: Neuer Wein schmeckt! (Neuer ist Franks Nachname). Genial!

13.2.2006 Berlin, TD1 / Magnet

Niklas, Stefanie und Björn stehen zeitig auf, waschen sich, putzen ihre Schuhe und bügeln die Hemden ein letztes mal. Für den großen Tag muß alles stimmen. Frank serviert ein Frühstück, wie es sonst nur Berliner Kiezgrößen vom Format eines Harald Juhnke bekommen. Zum Stadtbummel steckt er jedem der drei zweihundert Euro zu und sagt: 'kauft euch was Schönes und stoßt auf mich an, alles Gute, euer Frank'. Erst wollen sie zusammenlegen und ein Shetland-Pony kaufen, entscheiden sich dann aber für Bücher und Comics, letztlich können die drei auch nicht aus ihrer Haut. Zeitig kehren sie zurück zur Homebase und erwarten den Anruf der vergnügungswilligen Brüder. Die beiden haben aber gestern nacht das große Comeback der Gammel-Twins beschlossen, ihrer zirkusreifen Revuenummer, die ihre Fans schon kennen - aus dem echten Leben oder diesem Tagebuch. Das Prinzip ist ein einfaches: die beiden tragen riesige Schuhe und zu große Latzhosen, verschlafen immer und verlangen den Rest des Tages andauernd nach 'mal etwas Zeit für uns / zum Ausruhen / zum Runterkommen'. Ihr neues Programm heißt 'mal wieder Ferien - Gammelklasse A' und ist grob angelehnt an die Pepe Paukerschreck-Filme aus den 60er Jahren, nur eben komplett ohne Handlung und dafür mit 100% Gammelage und Tagedieberei. Das Comeback beginnt exakt jetzt und ein verschlafener Anruf sagt: tut uns leid, wir haben verschlafen. Also werden sie schnell abgeholt, eingeladen und eine eher hektische Fahrt zum Fernsehsender beginnt. Wir kommen gerade so rechtzeitig und rennen wie die Marx Brothers durcheinander, um unsere Sachen aufzubauen. Der Moderator heißt Martin Jörg, ein Gag-Name, wie ihn nur waschechte Berliner haben. Wir so: Moment mal, das sind zwei Vornamen, du brauchst doch einen Nachnamen. Martin dann: Madonna und Jesus haben auch keinen Nachnamen. Wir dann so: Doch, Christus. Martin dann: Madonna Christus oder was? Dieser Punkt geht an mich, Martin Jörg. Und wir dann so: äh! Der Mann ist gut, wir klatschen ab und bauen uns auf. Mauri spielt Snare und Hihat, die anderen drei geben ihre Gitarren alle durch den VOX AC30. Wir bekommen kleine Talkshowmikrofone und werden auf ein zweiteiliges Sofa arrangiert, machen Soundcheck und Martin empfiehlt uns, einfach darüber hinwegzusehen, daß die Techniker unentwegt auf Türkisch miteinander brüllen, als wäre alles im Eimer und sie hätten nur 5 Sekunden, um uns alle aus der Scheiße zu hauen, das sei bei diesem Sender Usus. Martins Sendung heißt Blend, er spielt Videos von Notwist, den Aeronauten, Calexico, John Vanderslice und so weiter, richtig gutes Programm. Er selber ist ein kompetenter Moderator und wirkt extrem telegen gegen uns, die wir wie eine fröhliche Truppe vom Land den Kopf wild hin- und herdrehen, in die Kamera grinsen und uns um Kopf und Kragen reden. Dann spielen wir drei Songs, jeder singt einen, natürlich bis auf Mauri, seine Religion verbietet ihm das Singen nach 11 Uhr früh. Völlig geschafft von der Autofahrt und dem 'Flirt mit der Kamera' werden wir müde und hungrig und fahren zum Klub.
Mauri und Benni wollen sich bei Karsten 'noch etwas ausruhen'. Sie haben es sich verdient und brechen auf, Arab Strap haben lange Soundchecks und wir alle ein Zeitfenster von 1,5 Stunden, das die Gammel-Twins so gut es geht nutzen wollen. Sie möchten Casting bitten, sie später mit seinem Auto zum Klub zu fahren, um auch im Auto noch etwas an ihrer Nummer zu arbeiten. N, B und S gehen etwas essen. Sie wollen erst indisch, aber die Kellnerin, die früher die Sängerin von Guano Apes war, findet diese Gäste uninteressant und bleibt hinter ihrer Theke stehen. Deshalb gehen sie in den Imbiß mit Kamel und essen Orientalisch. Dann eilig zurück zum Klub. Mehrere Kilometer Fußmarsch, streckenweise per Walking im Gleichschritt zurückgelegt. Totaler Lauf-Wahnsinn in Berlin!
Der Soundcheck ist noch nicht zu Ende, das gibt uns Zeit, die erneut schwierige Bühnensituation zu planen. Heute gibt es zwar keine Säule, dafür ist die Bühne recht klein, was uns noch vom Konzert, das wir hier mit den Girls in Hawaii hatten, in Erinnerung ist. Der Backstagebereich ist hingegen ein ganzes Stockwerk. Wir arrangieren uns erstaunlich gut auf und mit der Bühne und spielen heute auf dem Schlagzeug von Arab Strap statt unserem eigenen. Der Soundcheck ist schnell und effizient und wir sind begeistert, wie gut alles klingt. Der Mischer ist ein Top-Mann. Kein Geld der Welt kann aufwiegen, was für eine Erleichterung ein so guter Mischer ist. Kein heimliches Echo- oder Robot-Effekt-auf-die-Stimme-Legen und wenn etwas schwierig ist, wird es eben gelöst und nicht auf die Band geschoben. Herrlich. Wir hängen etwas rum, führen ein tolles Nerd-Gespräch mit dem Arab-Mischer John über Mikrofone und gehen wieder pünktlich auf die Bühne. Es ist ausverkauft heute und deshalb auch schnell gut gefüllt, leider aber ist die Schlange am Eingang so lang, daß viele, die uns sehen wollen erst nach den ersten Stücken in den Raum vordringen können.
Berlin ist einmal mehr sehr gut zu uns. Wir haben das Gefühl, spitze zu klingen und fühlen uns so wohl auf der Bühne, daß wir gerne noch zwei Stücke mehr spielen würden. Dann wieder schnelles Abbauen, schnelles Einladen und ein wahnsinnig gutes Konzert von Arab Strap. Der Raum ist so voll, daß man kaum etwas sehen kann. Dann müssen wir etwas 'Geschäftliches' besprechen und uns nach oben in den Backstagebereich zurückziehen. Später noch spitzenmäßiges Meet&Greet. Leider verpassen wir viele unserer Freunde und sehen z.B. René nur einmal kurz von weitem, Wolfgang von Sternbuschweg muß ebenfalls früher gehen und so weiter. Sebastian, Frank, Peer, Josef, alle sind da und bleiben noch etwas. Frank lässt sich täuschen und verwechselt das kollektive Verständnis von The Best Of Indie Rock mit seinem eigenen, aber an einem solchen Abend könnte man auch fast denken, daß Fugazi, Pixies, Pogues und Violent Femmes ihre größten Dancefloor-Smasher nur für einen selber geschrieben haben. Wir setzen den Abend und seine Erhabenheit in den jeweiligen Unterbringungen fort und wiederholen andauernd, wie gut das alles war und ist hier und heute abend. Es gibt keinen besseren Zustand als glücklich zu sein und zu wissen, daß die anderen sich ganz genauso fühlen wie man selber. Vermutlich ist es so, wenn man bei einem dieser "Techno-Raves" ist oder in einer Sekte, aber der Unterschied ist, daß wir uns so fühlen und gleichzeitig bei ganz klarem Verstand sind.

14.2.2006 Köln, Gebäude 9

Stefanie wird heute um 7.20 geweckt, um den Morgen mit Lara zu verbringen, die mit ihren Eltern über Frank wohnt. Lara ist sieben Jahre alt und seit dem Abenteuer in Kirch Kogel (siehe BBOTB-Tagebuch) Locas-Fan, spezialisiert auf Stefanie. Die beiden sehen sich das Aquarium an, essen Honigbrote und begrüßen nach und nach den Rest der Band, als letzten Björn, der noch schnell und für die frühe Tageszeit nach der kurzen Nacht ungewohnt geistesgegenwärtig: Guten Morgen Lara, viel Spaß in der Schule sagen kann - sonst passiert es dem geschickten Gitarristen gerne, daß er morgens unzusammenhängend und in Zungen redet, noch gebeutelt von den Träumen, die ihn Nacht für Nacht heimsuchen. Duschen und ein Frühstück zur Musik von Jane Birkin, dann kommt Oliver Sturm, unser alter Freund an. Er will uns die nächsten Tage wie schon gestern in seiner alten Funktion als Assistent begleiten, was sich allerdings 20 Minuten später zerschlägt, als die GT schon abgeholt sind und sein Handy klingelt. Er hat etwas vergessen und wird in Berlin bleiben, was für ein Flop. Die GT hingegen geben ihrem Programm eine Wende und sind pünktlich und abmarschbereit. Angeblich hat der Vollmond sie letzte Nacht keine Ruhe finden lassen, nachdem sie erst so glücklich den Abend bei Burger King schlossen. Gestern abend hat Casting eine zeitlang Benni am Merchandisestand vertreten und ist auf einen hinterhältigen Trick reingefallen. Jemand ließ ihn unterm Tisch nach T-Shirts wühlen, um oben eine CD zu stehlen. Wenn die Drecksau, die das getan hat das liest, soll er oder sie sich gehaßt fühlen. Wer macht denn so eine Scheiße und bestiehlt Bands (und wir reden hier nicht von Bon Jovi oder Hot Banditoz)? Der arme Casting Dauwe hat viel geweint und sogar angeboten, uns sein Auto und seine Berghütte zu schenken, aber wir geben ihm keine Schuld für das Schlechte in der Welt. Der Osnabrücker Mediendarling sagt "danke für euren Support - aber ich brauche erstmal eine Pause". Reibungslos erreichen wir Köln, holen noch schnell unser Slingerland-Schlagzeug aus dem Proberaum, fahren an der Uni vorbei, um Björns Prüfungsergebnis einzusehen und kommen am Gebäude 9 an, als Arab Strap unüblicherweise schon fertig sind. Wir bauen uns wieder eher nebeneinander auf, Mauri leicht nach hinten versetzt, so daß er zu jedem Blickkontakt halten kann. Wie üblich ist es nicht einfach, in der ehemaligen Werkhalle den richtigen Sound zu finden, weil alles hallt und scheppert, aber es geht irgendwie und wir ziehen uns zurück. Es gibt Kantinenessen aus silbernen Kantinenessenbehältern, Reis, Matsch und Spinat, schmeckt aber ok, wenn man sich mit der Darreichungsform arrangiert hat. Arab Strap sind gut gelaunt, was man ihnen aber nicht ansieht. Schon in Hamburg ist uns aufgefallen, daß Aidan immer wütend wirkt und Malcolm am Boden zerstört traurig und vor Schmerz ungerührt und stoisch.

Der ehemalige Cellist von Arab Strap hat jeden Abend eine Flasche Whisky im Catering verlangt, da er nicht mehr in der Band ist, haben Arab Strap auf dieser Tour einen Überschuß an Whiskey und Malcolm schenkt uns eine ungeöffnete Flasche. Fünf Minuten später als sonst betreten wir die Bühne, der Raum ist gut gefüllt, aber etwas kalt. Leider ist zwischen Soundcheck und jetzt irgendetwas schiefgegangen, Björns Stimme ist nur noch als entferntes Geräusch zu erahnen, was im Laufe des Konzertes auch kaum besser wird. Richtig schlimm ist es nicht, aber toll auch nicht und fühlt sich vor allem nicht gut an auf der Bühne, nicht genau zu wissen, ob vor der Bühne alles in Ordnung ist oder wie eine linkische Pantomime wirkt. Es macht trotzdem Spaß, auf der großen, hohen Bühne zu stehen und für so viele Leute zu spielen. Ob es nun typisch für Köln ist oder an der Kälte, daß die Stimmung nicht von wirklich gut auf ganz toll hochgeht, wissen wir nicht. Wir haben schöne 35 Minuten und überschatten den schlechten Sound mit dem Vergnügen, das uns unsere eigene Musik bereitet. Niklas rituelle Strategie, bei Konzerten, wo sich die anderen wohl fühlen zu sagen 'dafür war der Sound bei mir heute grauenhaft, ich habe gar nichts gehört' und bei Konzerten, wo sich die anderen unwohl fühlen zu sagen 'also - bei mir war es super' wird auch heute angewandt, im zwanghaften vorsätzlichen Verbreiten von Uneinigkeit ist er so zuverlässig wie Teenager oder Old Faithful, der Super-Geysir aus dem Yellowstone-Park. Bei Arab Strap brennt heute zweimal eine Sicherung im Baßverstärker durch und wir leihen ihnen unseren Bassman 100.

Das Konzert ist schon wieder spitze. Bis auf die Stellen, wo der Bassverstärker Probleme macht klingt es wie immer, laut und überwältigend. Wir sind jeden Abend noch begeisterter als am vorigen. Nach dem Konzert bleiben wir nicht mehr lange zum Feiern; Mauri ist sowieso schon lange weg, er will angeblich noch eine Rose für Tina auf dem Schützenfest schießen oder eine geile neongelbe Plüschschlange. Nach der für zwei Tage viel zu viel im Auto verbrachten Zeit über unproportional viele Kilometer und dem Rumhängen in verrauchten Räumen und dem Benutzen von nicht abschließbaren und ebenso wenig säuberbaren Toiletten ist es umso schöner, ein paar Stunden in unseren eigenen Wohnungen, Betten und Badezimmern zu verbringen.

15.2.2006 Stuttgart, Schocken

Heute sind wir eher ausgeschlafen und erholt, die Autofahrt, die uns bevorsteht ist nicht sehr lange, vier Stunden etwa müssen wir heute nur im Auto sitzen. Auf der Fahrt besprechen wir ein paar Business-Angelegenheiten und kommen sehr zeitig in Stuttgart an. Wir finden nahezu problemlos zum Klub, nur als wir durch die Fußgängerzone fahren, werden wir ermahnt. Aber auch heute lässt man uns mit einer Verwarnung davonkommen, der Polizist merkt Björn an, daß er alles über sich ergehen ließe heute und hat kein Interesse, sich an ihm aufzureiben, weil es ja nichts brächte. Wir und Polizei haben zur Zeit eine gute Beziehung. Zwischenfrage: schreibt man Techno eigentlich auch heute noch manchmal mit zwei k? Also Tekkno? Das Schocken ist eher Kneipe als reiner Musikklub und war wohl mal ein Kaufhaus. Es gibt die Hauptebene, auf der alles stattfindet, aber auch eine Galerie, wo Leute wie in Musicvideos von den Strokes, Puff Daddy oder Motörhead im Hufeisen über der Band sitzen. Der Backstagebereich ist im Keller, ein Klubraum, wo manchmal auch DJs auflegen und zwei Turntables auf ihren Einsatz warten. Wären wir mit Sternbuschweg hier würde unser lieber Freund Sebastian vermutlich diesen Raum mit der Musik beschallen, die man im ersten Moment für so langweilig hält, daß man nach drei Minuten vergessen hat, sie gehört zu haben, die er aber für so epochemachend und unterschätzt hält wie zB Embrace oder South. Die Snacks, die aufgebaut sind, sind die besten, die wir in aberhunderten Konzerten je bekamen. Gestern im Gebäude 9 war es schon wirklich gut, es gab sehr gutes Brot, ordentlichen Käse und gefüllte Peperoni und Weinblätter. Aber heute gibt es die besten Brötchen, die wir je aßen, nicht mit Butter zugeklatscht und der Käse überlappt und wird schon ranzig, sondern so wie Politiker ihr Catering bekommen, wenn die Sitzung länger ist und später noch Boris Becker vorbeikommt, der ja nun mal auch gewisse Standards erwartet. Frische Kräuter, Dip-Gemüse (Sellerie, Karotten, Frühlingszwiebeln, Zucchini) und dazu frischen Kräuterquark (nicht aus der Packung) und Balsamico-Dressing. Die Süßigkeiten sind von Markenherstellern und nicht die Aldi-Pendandts Racer, Romy usw, die Erdnüsse fettfrei geröstet und die Salzstangen von Huober. Wir bekommen die erlesensten Getränke und davon so viele wir wollen, der Barmann kommt runter und sagt, wenn wir Longdrinks wollen, müssen wir nur bescheid sagen. Wir reiben uns die Hände. Soundcheck darf erst ab 19 Uhr gemacht werden, ist angeordnet von der Polizei, was uns eine Menge Zeit gibt. Stefanie und Björn gehen Platten und Schuhe kaufen, Benni ins Internet, Mauri muß erstmal runterkommen und ausruhen, der launische Niklas ist etwas stinkig und will dieses Gefühl alleine auskosten. Die Stimmung des nervösen Gitarrenvirtuosen ist unberechenbar und schwankend. Viele Fans halten ihn für schwierig und in Internet-Foren wird oft spekuliert, warum er so "unausstehlich" oder "zickig" ist. Nichts davon ist wahr, er studiert lediglich eine Rolle ein für den neuen Film von Werner Herzog und weiß, daß sowohl Fans als auch Freunde ihn zu sehr lieben, um ihm sein Verhalten übelzunehmen. Also macht quasi jeder in der freien Zeit, was er am liebsten macht. Wir bauen uns heute wieder ähnlich auf wie gestern, nur seitenverkehrt. Ein bisschen eng und hampelig ist es letztlich schon, wie wir uns stellen, aber auch nicht zu ändern. Es scheint gut zu klingen und der Mischer entspannt zu sein, so wie hier alle sehr entspannt sind. Ist es die schwäbische Lebensart? Dementsprechend wird heute der Einlaß und unser Beginn etwas später gemacht als bei den vergangenen, sehr straff getimten Shows. Das Konzert ist sehr gut, die Leute verhältnismäßig euphorisch. Den meisten Applaus bekommt heute Stefanies Song, in dem sie Türen eintritt. Es klingt ein ganz klein wenig wattig-bassig, aber ein Raum, der auf mehreren Ebenen stattfindet und obendrein verwinkelt ist, ist wohl nie vollständig zu beherrschen, denn selbst Arab Strap klingen später nicht ganz so gut wie sonst. Wir sind unterm Strich sehr zufrieden und finden, daß wir keinen besseren Einstand in Stuttgart hätten haben können; in Baden-Württemberg waren wir erst drei mal, zweimal in Karlsruhe, einmal in Pforzheim und eigentlich war es immer gut. Das Konzert von Arab Strap kommt etwas langsamer in Schwung als sonst, die Band spielt etwas unordentlicher und klingt nicht so ausgewogen, aber dennoch macht es unendlich viel Spaß, ihr zuzusehen oder vielleicht macht es sogar noch mehr Spaß, sie nach drei perfekten Shows auch mal an ein, zwei Stellen unordentlich spielen zu sehen und Malcolms traurige und abgründige und vernichtende Blicke, die er Aidan zuwirft, als dieser sein E-Schlagzeug gegen den Rhythmus spielt zu beobachten. Es ist wieder ausverkauft, vielleicht wären auch noch 20 Leute mehr in den Laden zu stecken gewesen, aber es ist heiß und ausgelassen, die Laune ist wirklich auf dem Höhepunkt. Nach dem Konzert tauschen wir Platten und T-Shirts und feiern miteinander in unserem schönen Backstageraum (oder Belowstageraum), es gibt Cocktails, Verbrüderung und der haubitzenblaue Mikey benimmt sich daneben, daß wir große Augen bekommen. Er beginnt mit Wunderkerzen, die er allen schenkt, worauf die ganze Entourage aus Locas und Arab Strap einen New Age-Kreis bildet, fängt aber bald eine Essensschlacht an (Schlacht ist vielleicht falsch, da sie ja sehr einseitig ist. Er wirft mit Essen.), die einerseits das am nächsten an Rocknroll-Klischees gelegene Erlebnis ist, das wir alle haben, uns aber andererseits deutlich zu weit geht, weil wir alle so gut erzogen sind, selbst Mauri, der mal aus eingestandener bloßer Stumpfheit eine Gitarre zertrat, ist über diese Lebensphase seit etwa 10 Jahren hinaus. Als Mikey mit den guten Schokoriegeln bombardiert   brummt Aidan: wait a minute - not the sweets! What a waste of Snickers!; was auch Schottisch so dermaßen gut klingt, wenn er es mit seiner unheimlichen Stimme sagt, die immer zwischen bärenhaft lieb und unergründlich unheimlich klingt. Mikey wird zurechtgewiesen und verzieht sich nach oben, wo er zufrieden und sturzbetrunken in sich zusammensackt und den Locas ankündigt, daß er in Zukunft oft an ihre Türe klopfen wird, wenn er auf dem Weg nach Ungarn ist. Sie steht ihm offen, nur ist uns nicht ganz klar, welche Karte er zum Planen seiner Reise benutzt. Und wieso er so viel in Ungarn sein wird. Die Feier ist herrlich und geht sehr lange. Uns geht es einmal mehr dermaßen gut. Arab Strap sind so nett zu uns und alles fühlt sich so gut an, wie man zusammen rumfährt und Konzerte spielt und einander respektiert und es sich zeigt. Wir wären gerne noch weiter mitgefahren, aber es ist auch schön, das Ganze an so einem schönen Punkt vorerst abzuschließen. Wir fahren noch euphorisiert und aufgepeitscht nach Mühlacker, erzählen uns von unseren liebsten Erlebnissen mit Arab Strap, schmieden weitere Pläne, imitieren Aidans beste Sprüche und Malcolms beste Gesichtsausdrücke und fallen müde ins Bett, nachdem wir Björns Eltern wachgeklingelt haben (Schlüssel vergessen) und Benni dem Senderhang auf Schwäbisch entgegenrief "hallo, sen die Elltern vom Schwoberocker daheim?".

Vielen Dank an Arab Strap, die allerbesten überhaupt. Und vielen Dank an Target, eine sehr coole Firma.

If There's No Hope For Us
Then There's No Hope For Anyone.