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Biggest Balls On The Ball 2005
dokumentiert von unten nach oben von Björn und Niklas (obschon mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zu raten ist, wer was geschrieben hat)


1. Teil (5. bis 24. April 2005)

05.04.2005

Die losen Enden, denen wir hinterher rennen werden immer mehr, so scheint es. So viel will noch getan werden. Sinnlose Geldverdienerei getätigt, Vermieter besänftigt oder verklagt, Frühstück gekauft, Wäsche gewaschen werden. Aber so viel ist klar: In wenigen Tagen sind wir unterwegs. Und gut vorbereitet sind wir auch.
Heute kam Peer aus Berlin und die erste Probe zu fünft war eine ziemlich produktive Angelegenheit, wenn wir auch alle von Nitrodämpfen noch etwas benebelt waren, nachdem wir den ganzen Nachmittag damit zugebracht hatten, T-Shirts und Baumwolltüten zu bedrucken, damit ihr in wenigen Tagen wohlgefüllte Merachandise-Stände vorfindet.
Ach: in wenigen Tagen. Das klingt richtig gut. Wir zählen die Stunden bis es endlich los geht. In wenigen Tagen. Wie viele Stunden? Wie oft noch schlafen? egal. Wir sehen uns bald.


08.04.2005

Hoffen wir, dass die Umlaute bald wieder funktionieren, dann ist das hier spannend und angenehm zu lesen. Wir brechen jetzt in diesem Moment auf und versuchen, so oft uns akkurat es geht, hier Tagebuch zu fuehren. Jetzt heisst es: "Heute bin i wieder auf Tour" (Richard K.). Wir freuen uns, bis gleich.

08.04.2005 Köln-Tangermünde-Berlin

Das war dann so, dass wir mit einigen Umständlichkeiten aus Köln losfuhren. Die Reste von Niklas Umzug dauerten und dauerten und das Einladen der Instrumente dauerte und dauerte und Kabel mussten gelötet werden (was dauerte) und dann waren wir auch schon auf der Autobahn.
Auf der Autobahn dauerte und dauerte es.
Die Stimmung im Bus wurde immer ungeduldiger, leicht nervös planten wir, wie wir trotz unserer unmöglichen Verspätung ein Konzert spielen könnten. Schließlich ging es nach Tangermünde, wo wir im Carpe Diem letztes Jahr unseren ersten Crowdsurfer hatten.
Als wir schließlich und tatsächlich viel zu spät ankamen, war die Anlage gerade fertig aufgebaut und überhaupt sah es aus, als würden wir vor ungefähr dem Thekenpersonal und einigen wenigen desinteressierten Kurzhaarfrisurträgern spielen. Bis das Konzert endlich losgehen konnte dauerte und dauerte es. Die Stimmung im Carpe Diem wurde mit jeder vergehenden Minute unwirklicher. Wir lernten Fred (oder Nico?) kennen, der nach unglücklichen Erfahrungen mit unmäßigem Drogenkonsum eine völlig zertrümmerte Persönlichkeit sein eigen nennt. Mit einer Mischung aus besorgniserregender Hilflosigkeit und anstrengender Unaufmerksamkeit und unablässiger Hartnäckigkeit war es nahezu unmöglich auch nur einen Moment der Ruhe zu bekommen.
Bis wir endlich spielen konnten dauerte und dauerte es.
Das Konzert selber verging wie im Flug. Unsere erste Show der Tour war eine schwindelerregende Rockachterbahnfahrt. Wilde Menschen mit Vorhängeschlosshalsketten grölten Texte mit, Schweiss troff von Mikrophonen und all das eben.
Nach dem Konzert wollte Fred (oder Nico) sehr gerne beim Abbauen helfen und entwickelte eine ungesunde Faszination für Steffi, die nur Mauri durch geschickte Ablenkungsmanöver (die funktionierten in etwa wie geistiges Stöckchenwerfen mit einem etwas begfrissstutzigen Hündchen) einigermaßen zügeln konnte. Die Stimmung innerhalb des Raumes wurde mit jeder Stunde absurder - als wir uns auf den Weg machten, begossen sich drinnen angetrunkene Mädchen auf der Bühne mit Bier, während sich Fred entkleidete und eine allgemeine Endzeitstimmung ausbrach, der man sich nur schwer entziehen konnte.
Wir fuhren noch an den Wannsee um bei Peers Eltern zu übernachten. Umgeben von beeindruckenden Rechenmaschinen schien die vergangene Nacht noch etwas unwirklicher als wir in entspannenden Schlaf fielen.
Morgens gab es ein ausgiebiges und famoses Frühstück mit Vanillegebäck, Diskussionen über Päpste, das europäische Schisma und all die anderen Sachen mit denen man sich als tourende Band so beschäftigt. Kurze Zeit später klingelten Nachbarn, die sich freuten, Peer noch einmal zu sehen. Sie waren zielstrebig gekommen - Es lief Musik, da wussten sie: Die Jungs sind da.
Gerne wären sie länger geblieben.


09.04.2005 Berlin-Leipzig

Peer zeigt uns nach dem Frühstück die Schlüsselorte seiner Jugend, z.B. das Haus, auf dessen Dach das Finale von 'Didi und die Rache der Enterbten' gedreht wurde und das direkt gegenüber der Göbelschen Wohnung steht. Oft schmunzelt der Wahlberliner: das alles hat mich zu dem Mann gemacht, der ich heute bin. So auch entlang des Wannseeufers, an dem wir lange spazieren und eine spannende Segelregatta beobachten. Nach einem kurzen Besuch im Supermarkt geht es reibungslos nach Leipzig, die Moritzbastei ist ebenfalls schnell gefunden. Es ist eine Art Ritterburg aus der Twilight Zone, ein Cyberbunker mit Verästelungen, ein weitverzweigtes Gruselverlies unter der Erde Leipzigs. Zu jeder Seite tun sich neue Gänge und Treppen auf, unüberschaubar und unendlich verspielt-rätselhaft. Angelika Express sind beim Aufbauen, als wir kommen, Robert und Björn machen sich gegenseitig Komplimente für ihre nahezu identischen Frisuren, was leider eine der letzten gehörten Äußerungen des Sängerkollegen wird. Gleich mehr dazu. Der Soundcheck ist nicht einfach, zu fünft haben wir eine gewisse Grundlautstärke und die ist schwer zu zähmen in dem extrem hallenden Gewölbe. Der Raum sieht super aus, akustisch ist er aber so schwierig handzuhaben wie ein Rucksack voller junger Wildschweine. Wir verlassen uns darauf, daß es voll wird nachher und daß das Publikum genug Klang absorbiert, das ist eine Art Allheilmittel gegen Rückkopplungen und Klangregelungsproblematik. Von der Speisekarte suchen wir uns solide hauptsächlich mit Käse überbackene Kost aus, stellen uns auf ein gemütliches Essen und einen bescheidenen Triumphzug ein und warten ab, daß alle erhofften Services eintreffen. Jens und Alex von Angelika Express bitten uns zu sich: wir müssen mal reden. Sie sagen das Konzert ab und es ist nicht völlig klar, ob es ein Spaß ist, weil wir es nicht glauben und wahrhaben wollen, daß Robert, der zwar deutlich angeschlagen war, aber immerhin noch anständig Soundcheck gemacht hat, nun nur noch so wenig Stimme hat, daß er zum ersten mal in der Bandgeschichte ein Konzert absagen muß.
Leider ist es kein Spaß. Und plötzlich sind wir selbst Top-Act des Abends in der Moritzbastei und Peer ist unser Support. Nur freuen wir uns gar nicht richtig drüber angesichts der Schilder, die nun gemalt werden, daß es kein Konzert gibt aber einen Nachholtermin. Uns sitzt die Angst im Nacken, daß die Musikfans auf der Schwelle kehrtmachen und wir womöglich vor drei Leuten spielen werden, deren Hauptgefühl während des Konzertes Mitleid ist. Das Essen wird serviert. Es ist lauwarm. Wir machen uns gegenseitig Mut, die Momente der Zuversicht wechseln mit panischer Angst und dem Spinal Tap-Gefühl, das manche von uns extrem auf sich beziehen und überzeugt verfechten, daß sie solche Situationen magisch anziehen. Der Abend gärt also vor sich hin und irgendwann gegen 21.30 geht Peer auf die Bühne, nachdem Alex und Jens einen erstaunlichen funky Jam heruntermucken, die Bredouille erläutern, den Nachholtermin bewerben und inständig ans Herz legen, sich unsere Show anzusehen. Peers Konzert ist eine enorme Aneinanderreihung von großen, tief unter die Haut gehenden Momenten. Gekonnt kitzelt der samerte Newcomer am kompletten Gefühlskatalog empfindsamer Großstadtmenschen und springt zwischen allen Regungen hin und her. Er spielt quasi Klavier auf den Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer und es ist ungelogen ein ganz tolles, wunderschönes, schwer beeindruckendes Konzert. Als wir selber auf die Bühne gehen, haben wir nicht mehr viel Angst. Der Saal ist alles andere als leer und wird im Verlaufe der Show immer voller, wir stoßen außerdem mit Sekt an, bevor wir beginnen, vielleicht sorgt dieses Getränk für das besondere Prickeln, das im Raum ist. Das Publikum ist großartig. Laut, aber aufmerksam, feierlustig, überdreht, fordernd. Und wir sind bereit, es zu beliefern und eine aufgekratzte, laute Partyband zu sein. Bei den Zugaben gibt es gar eine Pogoaction, die von der Bühne aus nicht ungefährlich wirkt - aber doch spielerisch und herzlich. Es ist von Anfang bis Ende ein Genuß, jede einzelne Minute auf der Bühne. Die Erleichterung, die Musik, die ganze gute Laune. Der Abend setzt sich bis in den Morgen hinein fort, wir sitzen noch sehr lange mit Alex, Jens und dem AE-Mischer Moritz im Backstagebereich und zumindest für uns hat sich alles in etwas sehr Gutes aufgelöst. Unser Nachtquartier ist die 'Künstlerwohnung' über dem 'Flower Power', einer Kneipe, vor der noch um 5 Uhr morgend ein gutgehender Wurst- und Fleischlappengrill betrieben wird, dessen begeisterter Kunde Mauri wird. Am nächsten Morgen wird uns ein Kuckuck einen zusätzlichen Mann in die Bude legen und für heute abend ist alles in Ordnung. Wir haben viel getrunken, auch Bier und Sekt, und der mittelalterliche Irrgarten Moritzbastei hat für uns einen modernen Zielpunkt gebracht: selige Erschöpfung. Der Vorruhestand fängt prima an.


10.04.2005 Leipzig - Osnabrück

Abends bei Mauris Familie in Osnabrück sitzen wir nach einem Abendfestmahl spät nach dem Konzert noch gemütlich im Wohnzimmer und genießen die Ruhe um uns herum. Gern hätten wir das selbe auch beim Konzert im Trash für einen Moment getan aber das Osnabrücker Publikum schien gar nicht so leicht zu beeindrucken. Zu interessant ist das Leben hier, als dass man für einen Moment aufhören könnte sich darüber zu unterhalten. Komischerweise hat das aber wohl gar nichts (wie von uns zuerst in ängstlichen Momenten auf der kleinen Bühne befürchtet) mit Desinteresse zu tun, schließlich verkuaften wir nachher anständig CDs und trafen überhaupt auf einige Anerkennung - Björn musste gar noch ein Privatshowcase im Keller spielen.
So ist die Ruhe beim Essen von verwirrter Zufriedenheit beherrscht. Zum zweiten Mal auf der Tour sprechen wir über die Linernotes der (empfehlenswerten) Best Of Platte der Aeronauten, wo ganz hübsch beschrieben wird, was auch uns passiert: Wir Musiker führen ein nahezu bprgerliches Leben während um uns herum allenthalben die Verrücktheit ausbricht. Später, im Schlafsack, denkt Niklas über die vergangenen Tage nach und wünscht sich, er hätte Peer schon öfter gesagt, wie viel Spaß es macht, zu fünft in der Band zu spielen und wundert sich, dass Tangermünde im Rückblick zu einem immer besseren Abend wird und fragt sich, wie es dazu kommen kann, dass offensichtlich gar nicht dumme Menschen durch ihr Leben oder Drogen oder was auch immer in den Wahnsinn getrieben werden und wie man Menschen denen man kaum helfen, mit denen man bisweilen aber auch nur schwer (man gesteht sich das nur ungern ein) umgehen kann denn am besten begegnen soll und denkt an seine Großmutter in der geschlossenen Psychatrie in Neuss und die beängstigende Atmosphäre dort und schläft darüber langsam ein.


11.04.2005 Osnabrück-Münster

Der Tag beginnt unglaublich langsam in Mauris Elternhaus. Große Klasse, wir tun nicht viel außer essen. Gestern gab es frischen Tiramisu, nachts noch Salat, Nudeln und Bruschettabrote, heute Eierfrühstück, danach Minestrone, Auberginen und Erbsenomelette. Zwischen den Mahlzeiten splittet sich die Band in die Gruppen Schlaf und Spaziergang. Irgendwann Verabschiedung, aufbrechen über den Umweg ATU, Licht reparieren und Musikalienhandel, schlecht ausgestattet. Nach Münster ist es schnell gefahren und die Lunabar problemlos gefunden. Auch dort entwickelt sich alles eher langsam und nicht einfach, es scheint uns, daß der Chef der Lunabar einige Tasks vergessen hat, die unser Konzert deutlich positiv beeinflußt hätten. Die Werbung ist nicht so gemacht wie gedacht, der Mischer hat keine Informationen über unsere Technik bekommen, obwohl sie drei mal versandt wurden etc. Wir fürchten also wieder um den Abend. Später stellt sich heraus: zu Unrecht. Der Mischer ist sehr gut, der Raum klingt toll und sieht schön aus, es kommen mehr und mehr Leute, wozu auch *L*, die Vorband um Ellen, beiträgt. Der Abend wird vom Studentenradio Q mitgeschnitten, deshalb sind die Leute aufmerksam und klatschen tapfer. Björn hat ihnen schließlich erzählt, daß wir eine Liveplatte machen. Mit der bezaubernden Yvonne vom Radio Q machen wir ein Interview und verlieben uns ganz in die reizende Journalistin und der Abend wird zu einer wunderbaren Feier. Wir verkaufen sogar aus, wenn auch nicht die Lunabar, so doch die Biervorräte dort. Eine fast gleichwertige Leistung, wie uns Tobias von Hasenheim bescheinigt, bei dem wir noch die Nacht verbringen. Münster ist ein guter Ort.


12.04.2005 Münster-Nürnberg-Happurg

Aufstehen und Frühstück mit Tobias ist ein guter Start in den Tag. Wir fahren nicht ganz so früh ab wie geplant, aber zeitig genug, und da die Fahrt ausgesprochen gut läuft, haben wir in Nürnberg noch ein paar Momente Zeit, eine Musikalienhandlung zu suchen. Uns gehen auf dieser Tour laufend Kabel kaputt. Der Laden ist schwer zu finden und wird von inkompetenten Sonderlingen betrieben, die aus Heinz Strunks Buch direkt in diesen Betrieb hineingeschrieben sein könnten. Im Klüpfel angekommen häufen sich die Verdachtsmomente, daß es hier mittlerweile der letzte Mist ist. Das Catering für die Vegetarier in der Band sind Schinken-Käse-Brötchen; wenn die Wurst stört, sollen wir sie einfach runternehmen. Mit dem Hotel gibt es Probleme und eine Scheiße nach der anderen passiert. Die neue Leitung des Klüpfel leistet solide Arbeit in dem Bestreben, so gut es geht den Konzertbetrieb zu behindern, was nicht nur der Eindruck der beleidigten Locas ist, sondern uns von besser informierten Quellen haarklein bewiesen wird. Schade, daß innerhalb von einem Jahr aus diesem großartigen Klub so etwas geworden ist. Das Konzert ist eines der am besten klingenden überhaupt, Christian, der Mischer, bricht einmal mehr alle Rekorde, die unsere feinen Künstlerohren kennen. Nur schade, daß nicht mehr Leute da sind, um es zu hören. 20 verlorene Menschen stehen im Raum und wir hoffen, daß sie nicht genauso genervt sind wie wir, als zur Krönung der Hausleiter gegen 22 Uhr vor die Bühne kommt und uns anheißt, jetzt aufzuhören. Was für ein einziger Mist. Nach dem Konzert letzten Mai haben wir uns schon lange im Vorfeld gefreut, ins Klüpfel zurückzukehren. Und das werden wir kein zweites Mal wiederholen.
Wegen der mißplanten Übernachtung kommen wir dankbar bei Markus unter. Sein Bruder ist ein Bekannter von unserem Freund Mawe, er hat uns letztes Jahr in Nürnberg sogar spielen gesehen und verschafft uns spontan und unkompliziert eine alpine Berghüttenerfahrung. In einer Twin Peaks-ähnlichen Umgebung in einem gruseligen Wald ohne Nachbarn hat er sich ein Hüttendomizil errichtet, eine Kettensäge und Teile von Schaufensterpuppen, die wild herumliegen inklusive. Selten auf Tour haben wir eine so gute Luft geatmet und verbringen eine Pfadfindernacht.
Und natürlich hatte auch dieser Tag einen Höhepunkt. Drei, um genau zu sein. Denn so oft werden wir von der Polizei kontrolliert. Die erste Kontrolle mit aufwendigem Filzen am Rasthaus im Spessart von fünf oder mehr jungen Herren in zivil, auf flott frisiert und szenemäßig gekleidet gemacht und bis auf einen, der total sauer ist, bei Gammlern wie uns auch im letzten Winkel keine Drogen zu finden, sehr anständig. Wir filmen alles mit. Die zweite Kontrolle auf dem Weg zu Markus in einem Kreisverkehr. Niklas soll pusten, aber der Apparat fehlt. So kontrollieren zwei oder drei Polizeiwagen mit Personal und blinkendem Licht den stocknüchternen Niklas. Als er zweimal zu sachte pustet, heißt es barsch: wenn Sie es jetzt nicht richtig machen, nehmen wir Sie mit. Yee-ha! Auch gefilmt. Die dritte Kontrolle etwa drei Minuten später, ein dezenter schwarzer Golf winkt uns mit der Kelle ran. Wir sagen, wer wir sind und die Kollegen sagen es per Funk durch - die Band darf weiterfahren, sagen sie. Auch gefilmt. Spitze die Polizistengespräche: "mit so einem auffälligen Bus mit Kölner Kennzeichen müssen Sie sich darauf einstellen, kontrolliert zu werden". Tjaha, unser durchgeknallter Hippiebus, ein unauffälliger Mercedes Sprinter. Und: "Wo wollens denn hin?" Nach Happurg. "Ah, wollens da an den Baggersee?". Na klar, nachts um ein Uhr an einem kalten Abend Anfang April wollen wir dort noch hin in der bayerischen Einöde, da ist heute eine geile Reggaeparty. Kommen Sie doch mit, Herr Wachtmeister.
Aber mit einer Band, in der eine beachtliche Zahl der Mitglieder nur alkoholfreies Bier trinkt und nicht mal in der Phantasie raucht, kann man so etwas auf eine sonderbare Art durchaus genießen. Und wir haben alles gefilmt.


13.04.2005 Happurg - Hildesheim

Der Morgen im Havana Club (so heißt das Haus von Markus) fängt sehr angenehm an. Es gibt Kaffee und Tee und noch mehr gute Luft. Später fahren wir runter ins Dorf und kaufen den örtlichen Bäcker (Bäcker, Metzgerwirt und Pizzeria Rustica scheinen alle beim selben Schildermaler einzukaufen) leer. Die Verkäuferin scheint uns direkt in ihr Herz zu schließen und schneidet Björn ein extra großes Stück Kuchen ab (von dem Benny wenig später die Schokoladenkappe abbeißen wird. Ein faux pas, der ihm noch lange vorgehalten wird). Unter den argwöhnischen Blicken der Dorfbewohner fahren wir schließlich zur Autobahn, um uns auf den Weg nach Hildesheim zu machen.
Die Fahrt verläuft zügig, die klare Bergluft scheint uns (und unser Auto) zu Höchstleistungen anzutreiben, so dass wir viel zu früh ankommen und uns Zeit nehmen können, durch die erschreckend grausige Fußgängerzone in Hildesheim zu flanieren. Diese scheint von der Zeit vergessen und seit ungefähr 1964 nicht mehr sonderlich verändert worden zu sein. In den Geschäften wird man geradezu genötigt, die Kassenzettel einzustecken.
In der Kulturfabrik spalten sich die Locas kurz in zwei Gruppen - eine ärgert sich, dass unsere Freunde von Anajo durch ein Mißverständnis nirgendwo angekündigt sind, Niklas photographiert das Klingelschild von Wenzel Storch. Nach einem anstregenden Soundcheck genießen wir prima Essen und bestaunen die Heerscharen jugendlicher Konzertgänger, die geduldig auf der Treppe warten und zu beachtlichen Teilen hier sind, weil sie auf Umwegen erfahren haben, dass ihre Jungs von Anajo in der Stadt sind. Dementsprechend begeistert reagieren die Leute, als die drei Augsburger mit den gekonnt gepflegten Frisuren auf der Bühne stehen. Bei unserem Konzert später ist es schwer zu sagen, wie gut das alles funktioniert. Wir hadern mit Licht, Sound und Gehörproblemen und verabschieden uns mit schrecklichem Getöse. Alles in allem scheint das eine Mischung zu sein, die in Hildesheim gut ankommt. Zumal wir auch hier wieder einen Metal Fan auf unser Seite ziehen konnten, AC/DC sei's gedankt.
Im weiteren Verlauf des abends werden Steffi und Benni in lange Gespräche mit einem Mathelehrer verstrickt während Peer und Niklas die örtlichen Kicker-Spieler in Angst und Schrecken versetzen. Wie es genau ausging ist schwer zu sagen: Die, die sich noch erinnern können waren zu früh im Bett um alles erlebt zu haben.

14.04.2005 Hildesheim - Braunschweig // 15.04.2005 Braunschweig

Jetzt gerade, hier in der unfassbar gemütlichen Wohnung von Marc und Katrin, ist es fast unmöglich, sich genau zu erinnern, wie das gestern alles war. Die Entspannung setzt sich langsam fest und lässt die Sorgen verfliegen, die gestern tief in den Knochen saßen. Gestern morgen, ja, das war träge und kränklich und verkatert (ungleich verteilt auf die Bandmitglieder) und am Steuer fühlte es sich zeitweilig an, als würde ich einen Lazarettwagen fahren. Mag daran liegen, dass die dumme Allergie ein Ausmaß annahm, das nicht viel an Geistes- und Gehörkraft übrig ließ. Zum Glück war die Fahrt kurz und bei Marc und Katrin angekommen gab es gleich Medikamente, feinste Inhalationsmittel und fürstliche Gastfreundschaft. Von Mahl und Herzlichkeit gestärkt fuhren wir zum Brain Club und freuten uns, dass unser Konzert in großem Lettern angekündigt war. Mit freudiger Überraschung stellten wir fest, dass der Mischer Christoph sein würde, den wir aus seiner Zeit als Studio-Praktikant in Köln kannten. Mit einiger Mühe und Kreativität falteten wir uns auf die kleine Bühne, jedem blieb nur ein winziger Bewegungsraum. Trotzdem klang es am Ende des Soundchecks prima und wir freuten uns auf das Konzert.
Als Peer sein Soloprogramm begann, stellte sich heraus, dass der Club nicht unbedingt zum Bersten gefüllt war. Peer zu sehen war trotzdem wieder toll. Es gibt im Moment nicht viele Songs, die ich so gerne höre wie "Julia Roberts". Unsere eigene Show war von Übermut geprägt. Obwohl wir uns zuletzt wie ziemliche Profis fühlten, ging das ein oder andere schief. Mauri hatte sein Schlagzeug in der hintersten Ecke der Bühne aufbauen müssen, was die Kommunikation ziemlich erschwerte. Aber auch unter diesen Bedingungen war es klar zu merken, dass wir mit jedem Tag Tour eine bessere Band werden. Es fühlt sich richtig gut an, sich auf die anderen verlassen zu können und sich so sicher zu fühlen, dass man die Songs beim Spielen selbst genießen kann. Die einzige Sorge ist, dass Björn, Steffi und ich unseren Stimmen im Moment zu viel abverlangen, um die ganze Tour durchhalten zu können. Hoffentlich müssen wir am Ende keine Karaoke-Shows spielen.
Das Kräftezehrende der Tour machte sich auch nach der Show bemerkbar. Obwohl eigentlich alles ziemlich gut gelaufen war, waren viele von uns ein bißchen unzufrieden oder unzufrieden damit, dass viele von uns ein bißchen unzufrieden waren. Eine Situation, mit der ich so unsouverän umging, dass es fast schon wieder lustig (statt peinlich) ist - jedenfalls habe ich heute morgen beim Aufwachen nicht mehr glauben wollen, dass ich vor dem Einschlafen Björn hinterhergeschimpft habe, weil er mir nicht weiter zuhören wollte, wie ich alles relativiere.
Am nächsten Morgen weckten uns Katze und Sonne. Ein ausgedehntes Frühstück mit einem ausgeklügelten, von Marc entwickelten Vitamindrink und einer erschlagenden Auswahl an Brotaufstrichen und -auflagen waren Balsam für uns alle. Ein paar Stunden Frühstück in der Sonne, während die Wäsche trocknet und bald frisch gewaschen eingepackt wird, das ist prima. Die Ruhe, die diese Wohnung in Braunschweig ausstrahlt, wirkt auf uns ein, so dass wir ganz erholt nach Kassel fahren werden. Die Angestrengtheit von gestern ist so gut wie vergessen und wir sind wieder die sorglose Reisegruppe, die man auf Tour sein sollte.


15.04.2205 Braunschweig-Kassel

Die Fahrt nach Kassel ist entspannt und sonnig und wie immer kommen die Streber von den Locas überpünktlich an. Das K 19 ist in einer ausnehmend häßlichen Umgebung, ein wenig wie das Gebäude 9 in Köln, aber in Kassel und weniger spannend. Wir trinken Orangensaft aus Kleinstflaschen oder ein Radler namens Knallhütte (bzw kommt es wohl aus dieser), das laut Etikett 'simply cool' ist. Anajo kommen dazu, aber der Aufbau schiebt sich dennoch nach hinten: die Schranke ist unten, Stefan mit dem Schlüssel nicht auffindbar und er hat eigentlich auch keinen Schlüssel. Alles ist ein wenig studentisch und freudig-schluffig, es ist auch eine Studentenparty, die heute gefeiert wird anläßlich des dreijährigen Bestehens des K19. Das Catering ist Grillen, für die Vegetarier soll es Gemüse geben, das an sich sehr gut aussieht, aber als es fertig ist, müssen wir auf die Bühne, nach der Show ist alles weg. So gibt es nur Brot und irgendwelche Sachen wie Puffreis. Christian von Kontraphon und seine schönen Freunde bringen uns die endlich gelieferte Neuauflage von 'A Robot...' (die hiermit ab jetzt wieder als Vinyl erhältlich ist). Soundcheck und Aufbau sind mittel, weil irgendwas mit den Mikrofonen nicht in Ordnung ist, was dann auch bei Peers Auftritt stört. Peer muß deshalb ein bißchen kämpfen, sein Ansatz, der manchmal super funktioniert, wird manchmal auch schlichtweg nicht ganz verstanden. Der zerbrechliche Künstler überfordert manchmal - aber dann auch gekonnt und mit Stil. Wir machen nach Peers Set eine längere Pause wegen der erwähnten Mikrofonproblematik und spielen ganz normal los. Manches funkioniert gut, manches weniger, vor allem unsere Technik. Wir sind extrem tolpatschig und haben Pech, unsere Geräte machen kollektiv, was sie wollen. Wir können das meiste davon auffangen, aber es nervt, daß wenn Dinge schiefgehen, sie es gerne so geballt tun. Für Kasseler Verhältnisse ist das Publikum eine durchgeknallte Bande feierwütiger Pardygranaten, für normale Verhältnisse ist es eine Ansammlung von jungen Leuten, die sich so langsam auf einen feierlichen Abend einrichten und -trinken und ihre höfliche Zurückhaltung doch gelegentlich unterbrechen. An manchen Flecken in Publikum wird sogar getanzt oder zumindest werden Körper rhythmisch und entspannt bewegt, bei Moe Tucker zünden zwei Mädchen alle Streichhölzer an, die sie haben - sehr schön. Wir rumpeln uns also anständig bis ans Ende der Show, bauen ab und Anajo kommen. Obwohl sie ganz klar die Attraktion sind, wegen der die meisten gekommen sind, ist auch ihr Applaus nicht so frenetisch, wie er sein müßte, denn das K19 ist wirklich ordentlich gefüllt. Whatever. Der Abend dehnt sich ewig aus, es wird großartig Musik aufgelegt nach der Konzertaction, wir lesen uns gegenseitig Besprechungen aus der Westzeit vor und brennen uns Bonmots wie 'man kann ihre neue Platte guten Gewissens als volles Brett bezeichnen' oder 'ihr Silberling ist so gut wegen der geilen Gitarrenparts, des wuchtigen Schlagzeugs und der sinnvollen Songstrukturen' in unser Gag-Oeuvre ein, essen klebrigen Kuchen und verlangsamen durch Bier, Müdigkeit, laute Musik und vermutlich Kassel. Der Rest des Abends ist uninteressant und deshalb schon jetzt aus dem Speicher geworfen. Wir sind gut gelaunt und hatten den schönsten Abend, den wir in Kassel bislang hatten und obendrein so viele nette Leute gesehen, getroffen und gesprochen, wie wir sie in dieser Stadt gar nicht vermuteten. Ach so - und herzlichen Glückwunsch, K19.


16.04.2005 Kassel-Zossen-Berlin

Aufwachen in einer gammeligen Künstlerwohnung über der Barracudabar. Wir sehen zu, daß wir so schnell wie möglich verschwinden, besorgen uns Saft, Milch und Gebäck im Supermarkt, was wir bei der Fahrt essen und schlagen die Straße, wie wir weltgewandten Musiker sagen, wenn wir uns auf den Weg machen. Es ist nicht viel Verkehr, aber wegen der schrecklichen Bergigkeit der A7 kommt unser vollbeladener Bus nur zögerlich vom Fleck. In der Gegend um Zossen sehen wir fantastische Plakate, die uns und das Hair & Streetwear-Event bewerben, dessen Aftershowparty wir sind - unbeschreiblich. Wir müssen bald versuchen, hier ein Bild zur Veranschaulichung einzustellen. Es findet heute Livefrisieren, Modenschau und ein Sneak Preview für Abiball - das Musical statt. Die unwirkliche Atmosphäre ist hochskurril und wir davon aufgepeitscht, als hätten wir mit Drogen experimentiert. Aber es sind ausschließlich Lebensfreude und Lightshow, die unseren Wahnsinn schmieren. Außerdem haben wir unsere Freunde von Klez_E als Gäste eingeladen, essen gemeinsam im Freien direkt aus dem Topf, machen uns geile Frisuren und wissen nicht die Bohne, was wir davon zu erwarten haben, hier heute aufzutreten. Der Raum ist riesig und vor der Bühne ist ein ewig langer Catwalk aufgebaut. Klez_E spielen ein tolles Konzert, das sehr gut klingt. Ihre nicht einfache, aber hochgradig mitreißende Musik kommt besser an, als erst zu fürchten war, aber einfach ist es dennoch nicht. Durch die catwalkbedingte Entfernung zu den Stars und die Beleuchtung ist es weniger wie ein Indiekonzert, das wir kennen und eher wie, naja, Tool oder ähnliches. Sie machen es kurz und intensiv und wir bauen in Ruhe auf. Noch immer aufgekratzt wird gebrüllt und Tribut an das abgedrehte Abiball-Musical gezollt. Es funktioniert. Die Leute, die tatsächlich bis jetzt ausgeharrt haben, haben trockene Kehlen und wir dürfen die Erfrischung sein, mit der sie ihren Durst für kurze Zeit stillen können. Björn nutzt den Catwalk für Rockposen, in denen er seinen Respekt für Cure, Melvins (beide: Frisur) und Guns'n'Roses (hirn- wie zielloses Hin- und Herrennen auf der Bühne) zugleich ausdrückt. Philipp und Fisch von Klez_E tragen die Mode und Tonträger der Locas auf dem Catwalk zur Schau, sie bewähren sich großartig als Models, vermutlich haben sie vor dem Durchbruch ihrer Band ein kleines Zubrot mit der Zurschaustellung ihrer schönen Körper verdient, ihre federnden Schritte und geschmeidigen Drehungen lassen darauf schließen. Zossen reagiert mit überraschter Freude. Relativ bald geht Mauris Snaredrum kaputt und er braucht einige Momente, in denen er versucht, sie zu reparieren, was so schnell nicht zu machen ist und sie dann durch die von Philipp zu ersetzen. Björn will nicht riskieren, daß peinliche Stille aufkommt oder gar die Aufmerksamkeit abfällt; er lädt die Abiball-Crew auf die Bühne ein, interviewt sie und bittet sie, um ihr Leben zu tanzen, natürlich in einem fort brüllend, sonst hat es keinen Impact. Ab diesem Zeitpunkt wird auch unser Konzert so unwirklich wie der ganze Tag und die ganze Veranstaltung. Der Catwalk ist die meiste Zeit von gutgelaunten Jugendlichen bevölkert, die alles geben, genau wie wir. Es gibt Sprechchöre, die ekstatisch brüllen LÜGEN! STEHLEN! DAS GESETZ BRECHEN! (Der Beweis) und als wir mit Big Balls schließen und Steffi ihr Mikrofon ablöst und sich unter die Crowd mischt, kommen wir uns vor wie bei Top Of The Pops. Irre Action mit durchgeknallten, gutaussehenden und irre feiernden Teenagern. Björns Zielvorgabe an Zossen, so zu tun, als würde die Welt heute nacht aufhören zu existieren und die Aufgabe sei nun, noch einmal zusammen einen Rausch zu erleben, wurde hervorragend efüllt. Und die komplette Band bewies Contenance wie selten zuvor uns spielte trotz Erstaunen, Überraschung und Hysterie außerordentlich gut. Komisch, daß der normale Rahmen, den wir in Kassel hatten, in ein wesentlich unspektaukuläreres Konzert mündete als ein Hair & Streetwear-Event, bei dem, mal ganz ehrlich, kaum ein andere Band so deplaziert sein könnte wie die Locas In Love.
Zum Schlafen jedenfalls sind wir noch das kurze Stück nach Berlin gefahren, sitzen in Peers Wohnung, wie immer, schlafen schon halb und sind, naja, zuhause, erledigt und glücklich.
Irres Zossen. Bis bald, big balls, Abiballs are big balls indeed.


17.04.2005 Berlin

Glücklich und glücklich, dass wir zusammen glücklich sind. So sind wir an diesem Abend, an dem wir alle in Berlin im Acud einen Konzertabend erlebt haben, der sich so anfühlte, wie man sich Familienfeste in all den Jahren seiner Jugend immer wieder vergeblich gewünscht hat. Wir haben gerockt zu Mobilé, haben geschwoft zu Beatplanet und nach ihnen zu den DJs Tobias und Frank und selber gespielt, wie nur eine Band spielen kann, die gestern noch auf einer aberwitzigen Showbühne und heute wieder unter Freunden war. Es wäre nur richtig und angebracht gewesen, wenn sich heute immer wieder alle beieinander für die Zeit, die Musik und den gemeinsamen Traum bedankt hätten - aber wir hatten besseres zu tun und wussten sowieso bescheid. Dieses Leben auf Tour, liebe Freunde, ist das beste Leben. Es gibt nichts, was sich auch nur ähnlich anfühlt.


18.04.2005 Berlin - Görlitz

Die Abfahrt verzögert sich maximal, Peer steht unter Strom und muß eine Erledigung nach der anderen ausführen, die anderen sitzen teils in Warteschleife, teils bummeln sie noch ein wenig durch Berlin. Dann eben das Übliche: fahren und ankommen. Das Scharfrichterhaus ist in einer verwinkelten und schwer befahrbaren Gasse, Niklas meistert den Parcours und bekommt ein goldenes Seepferdchen für gutes Rangieren (mit geringem Punkteabzug wegen hochtourigen Fahrens). Es ist ein Haus, in dem junge Leute Zeit überbrücken, zB mit einem freiwilligen sozialen Jahr und dabei lernen sie Gebäudesanierung. Das Essen ist unbefriedigend. Verkochte Nudeln mit Tomatensoße. Wir bekommen langsam einen Nudeloverkill und wünschen uns mal wieder was anderes. Wieso gibt es als Catering nie Kartoffeln oder Knödel? Süßes und Obst gibt es heute leider auch nicht.
Wir spielen open air vor der bezaubernden Mauer- und Naturkulisse in einer Art Sandkasten, unsere Bühne sind Bohlen, Paletten und Bretter, die uns erst inselartig verstreut angeordnet werden, wir gestalten sie dann doch lieber in eine zusammenhängende Fläche um. Der Sound steht schnell und ist gut. Wenn es keine Wände gibt, die den Klang reflektieren und so für Feedback sorgen können, ist es deutlich einfacher, etwa die Gesänge hochzuregeln. Es werden Bierbänke aufgestellt, ein Lagerfeuer in einer Tonne entfacht und irgendwo werden Würste und Steaks gegrillt. Wir fangen an und kämpfen mit den Erkältungen und der Situation, daß der Sound vor der Bühne zwar spitze ist, wir uns gegenseitig aber kaum hören können. Lemmy Caution setzen wir beispielhaft (und -haha- wortwörtlich) in den Sand, danach spielen wir ok. Die ganzen Leute, die zwar da sind, sich aber in entspannter Sommerfestmanier auf das Areal verteilen, vor die Bühne zu locken, ist auch nicht einfach und die beiden, die sich als erste ganz nach vorne gesetzt haben, reden so laut sie können. Ein Mädchen und ein Junge, sie erzählt bescheuerte Anekdoten, die irgendwas damit zu tun haben, daß sie auf dem Klo ist und dort etwas erlebt. Leider kann man es nicht genau hören und sie schweigen nur wann immer sie merken, daß Björn sie mit besessenen Augen ansieht, als wäre Klaus Kinski in ihn gefahren. Wenn sie ruhig sind und er seinen Blick abwendet, reden sie wieder in voller Lautstärke weiter. Unsere Videoaufzeichnung des Abends dokumentiert großartig ihren Mitteilungsdrang und die eben beschriebene Lehrer-Schüler-Situation. Ansonsten sehen uns auch eine ganze Menge großartige, freundliche und interessierte Leute zu, mit denen wir mehr anfangen können und mit manchen von ihnen sitzen manche von uns noch bis spät in die Nacht an der Feuertonne und reden wunderbar, trinken Vodka und Rotwein. Ach ja, als die Polizei kommt, sind wir schon fertig mit dem Konzert, diesmal waren wir schneller. In der Nacht trennt sich Niklas mit wenig Abschiedssschmerz von seinen verkochten Nudeln mit roter Soße. Wir schlafen alle im Dach des herrlichen Hauses, haben einen großartigen Blick auf Görlitz und auf Polen und auf den klaren Sternenhimmel, der schon so bedeutungsschwanger und atmosphärisch stark über unserem Konzert hing. Ein weiterer wunderbarer, bizarrer Abend.


19.04.2005 Görlitz - Weimar

Der Morgen fängt sehr schön an. Von der Sonne un dem sanften Supersound der jungen Leute, die ihre Mauer wacker sanieren, werden wir wachgeküßt und bewegen uns extrem langsam in den Tag hinein. Lahmes Frühstück, lahmes Aufräumen, lahmes Duschen und schädelspaltendes Köpfestoßen an den zu niedrigen Türrahmen. Waren die Menschen früher Winzlinge oder gingen sie geduckt wegen des Feudalismus? Dominik, der Hombre No. 1 am Platze und seine Freundin Stefanie machen eine Stadtführung mit uns, zeigen uns, daß Görlitz Jerusalem nachgebaut wurde, die besten Kirchen und sanierten Bauten. Mauri bleibt zuhause, telefonieren und sich im Elend seiner Erkältung wälzen. Und dann eben weiter nach Weimar. Am Ortseingang schneidet uns ein roter Bus den Weg ab. Die ortsansässigen Hells Angels, nehmen wir an. Es sind aber nur die Irren von Klez_E. Wie man es nicht anders von ihnen kennt, wollen sie ein Rennen fahren. Man stelle sich vor: sie haben ihr Auto frisiert und mit einem zusätzlichen Motor zu einer Rennmaschine des Todes hochgerüstet. Wir tun so, als ließen wir uns darauf ein und lassen uns zurückfallen (wie Zurück In Die Zukunft, dritter Teil). Im Klub angekommen fängt es an, nervig zu werden. Alles ist ein wenig unvorbereitet und provisorisch, aber von Haus aus, nicht nur heute. Ohne Tim, den Klez-Mischer, wäre der Abend vermutlich eine Katastrophe geworden, er wird retten, was zu retten ist. Leider kann er seine Fader nicht in der Küche ziehen und wir bekommen einen widerwärtigen Nudelpamps mit Käsesahneschleim und natürlich krustig überbacken. Wir stopfen es rein, weil wir ja ausgehungert sind, uns wird schlecht und ärgerlich davon. Statt Süßem und Obst gibt es blöde Sprüche von den Veranstaltern. Peer eröffnet den Abend, es ist ziemlich gut. Seine frei fließenden Fragmente sind heute besonders flexibel. Er erfindet gelegentlich Teile dazu und läßt anderswo welche weg, ein erstaunlicher Künstler. Wir sind einmal mehr stolz auf ihn. Klez E sind schon wieder besser. Jedes mal, daß man die Band sieht, ist sie noch intensiver und dichter geworden, selbst wenn nur Tage dazwsichen liegen. Nach einem Song reißt eine Seite bei Tobi. Er hatte es angekündigt und gewitzelt, daß er die Gitarre sabotieren werde, um Björns Million Dollar Guitar spielen zu dürfen. Unter dem Konzert ist im Keller eine der freudlosesten Diskos, die wir je gesehen haben. Daddy Cool, Melissa Etherdige, Red Hot Chili Peppers und Cranberries sind der schauderhafte Soundtrack, zu dem mit langen Gesichtern rumgestanden wird. Da es keinen richtigen baulichen Abschluß gibt (zB Tür), dröhnt die Musik ins Konzert mit hinein. Völlig dämlich. Es ist nicht leer und nicht richtig voll, aber anständig gefüllt, angeblich für den Laden sogar besser als sonst. Wir kämpfen ein wenig, wie manchmal. Die Aufmerksamkeit ist nicht einfach zu fesseln und deutlich einfacher zu verlieren, da in die ruhigen Stellen bollernde Bässe von unten her dröhnen. Man sollte Motorhead sein. Im Großen und Ganzen ein schönes Konzert. Nicht berauschend, nicht schlimm. Wir sind einfach da, die Leute auch und wir machen das eben. Tim rettet den Sound ja zuverlässig und ist sozusagen ein solider Torwart; wir müssen nicht mehr als ein Tor selber schießen, um den Punkt zu bekommen, weil er ja alles hält. Ähm. Und wir gehen dann auch ganz gerne wieder von der Bühne, weil es kräftezehrend ist. Die Leute gehen nach hause, ein paar davon sagen noch Dinge, über die wir uns freuen und die uns daran erinnern, warum wir wie irr herumfahren, uns von Schrott ernähren und über Diskos versuchen, Stefanie Sagt zu spielen. Mit Klez E lassen wir den Abend großartig in den Morgen ausklingen. Jeder einzelne von ihnen ist ein Stück Gold und zusammen sind sie eine Art Fort Knox des Indierock. Wir schmieden Pläne und liegen uns in den Armen. Das alles ist unsere Wirklichkeit, super, daß wir alle da sind. Die Nacht verbringen wir in Thomas Riesenwohnung, alle zusammen in einem Zimmer auf Matten und Sofas. Thomas ist ein alter Bekannter von Stefanie, er wohnt mit Freunden zu einem guten Preis auf 133 qm. Eigentlich ist fast jeder Tag gut, wenn wir ins Bett gehen. Hoffentlich morgen keine Nudeln.


20.04.2005 Weimar - Landau

Das mit der Zeit wird langsam schwierig zu kontrollieren. Der Morgen in Weimar ist ein einziger Brei aus unendlichen Sekunden und nur so dahin fliegenden Stunden. Irgendwo in den Minuten dazwischen frühstücken wir lang und ausgiebig. Nachdem auch die Postkarten an die Verwandten fertig geschrieben sind geht es los. Die Fahrt in Richtung Landau ist ungemein bergig und zieht sich daher lang dahin. Es passt in die unwirkliche Stimmung des Tages, dass wir nur eine kurze Pause machen und ansonsten daher rasen als wären wir auf einer Mission. Naja. Wir sind auf einer Mission. Hinten auf der Rückbank wird geschlafen, vorne freuen sich Benny und Niklas darüber, wie famos sowohl Subterfuge als auch Bloc Party sind - obwohl der Erfolg zwischen ihnen kaum ungleicher (und irgendwo auch ungerechter) verteilt sein könnte. In Landau angekommen führt uns der von Niklas ausgedruckte Anfahrtsplan in ein irrwitziges Wohngebiet voller Villen. Leider / zum Glück spielen wir doch im Fatal an der Uni, wo schon Jo, Karo und Felix winkend auf uns warten. Der Empfang wird noch wohliger und besser, als uns eine Tüte mit Früchten und Süßkram überreicht wird bevor der vegane Reistopf gereicht wird. Besseres Essen kann man sich als Band auf Tour kaum wünschen. Die Stärkung ist wichtig, der Soundcheck ist eine Tortur - anscheinend muss man in Landau durch höllisches Feedback gehen um ein Konzert spielen zu dürfen.
Jo hat für das Konzert halb Landau mobilisiert, so dass es schon zu Peers Set gut voll ist. Leider stehen die Boxen der Anlage so, dass man den Gesang nur an ein oder zwei Plätzen wirklich hören kann. Trotzdem spielt Peer großartig, während sich die Locas immer mehr dazu hinreissen lassen, fast alle seiner Songs mitzusingen. Locas In Love selbst sind heute so eng zusammengerückt, dass sie sich kaum noch bewegen können. Trotzdem spielen wir, als hinge unser Leben davon ab, dass die Menge in Bewegung bleibt. Und das bleibt sie. Spätestens als Steffi zu Big Balls auf die PA klettert ist klar, dass wir demnächst bereit für die Stadiontour sind. Ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, das uns durch den restlichen Abend trägt. Dieses verrückte Leben, in dem alles verschwimmt weil man immer in Bewegung ist, ist uns zur Selbstverständlichkleit geworden. Auf der Rückfahrt zu Björns Eltern, wo wir diese Nacht schlafen dürfen, sind wir, gestärkt von dem Erfolg in Landau, alle sicher, das Richtige zu tun. Ein besseres Gefühl gibt es nicht.


21.04.2005 Landau - München

Morgens in Mühlacker passiert das Unerwartete: Die Apokalypse bleibt aus. Statt dessen werden wir alle höflich geweckt und zu dem Sonnenbergschen Frühstückstisch geleitet. Geschätzte 23 Käsesorten, Obst und was man sich an Belagschnickschnack sonst noch ausdenken kann halten uns davon ab, uns eingehend mit dem Joghurtsortiment zu beschäftigen. Bürgerliches Touren, da kann an sich gut dran gewöhnen. Später gehen wir runter in die Stadt und Björn führt die örtlichen Sehenswürdigkeiten vor. Seine lauten rufe, der größte Sohn der Stadt sei zurück verhallen in der verschlafenen Kleinstadt ungehört. Wenn Godzilla hier tatsächlich auftauchen würde, dann wäre ein Strafzettel wegen Verkehrsvergehen wahrscheinlich das höchste Maß an Aufmerksamkeit, das hier geweckt werden könnte.
Gut erholt und wohlgenährt fahren wir später Richtung München. Unterwegs macht Björn am Telephon ein Interview mit einem Münchener Radiosender. Ansonsten lenkt uns leider nicht viel von der Landschaft ab - diese ganzen Berge in Deutschland können einer tourenden Band mit kleinmotorigem Dieselbus gehörig die Laune verderben. Benny plant grimmig dreinschauend schon eine Tour am Wattenmeer entlang. In München angekommen verfahren wir uns erstmal gründlich. Am Prager Frühling angekommen treffen wir auf die Jungs von Freizeit 98, die durch Fleiß und Pünktlichkeit auffallen. Von deren Emsigkeit angesteckt arbeiten auch wir zügig. Der Soundcheck verläuft prima, der Club ist sehr schön und Schwabing eine völlige Zumutung wenn man günstig was essen gehen möchte. Selbst der günstigste Asiaimbiss vom Block hat Preise, für die man in Berlin eine Woche leben könnte.
Wieder am Club angekommen steht Peer schon fast auf der Bühne. So gut wie heute hat der junge Mann aus Berlin auf der ganzen Tour noch nicht geklungen. Wenn die Tour nochmal zwei Wochen dauern würde, dann wäre Peer bald bereit für das Vorprogramm von REM oder sowas. Freizeit 98 springen danach auf die Bühne und haben neue Songs dabei, die sie bald bei Tobi von Klez_E aufnehmen werden. Das ist sehr schön, wie alles so zusammen hängt. Unser eigenes Konzert läuft prima, soweit wir das selbst beurteilen können. Trotzdem sind wir froh, zügig abbauen zu können. Dirk, der die Veranstaltung geleitet und den Sound gemischt hat, spendiert uns Getränke und weist uns den Weg zu seiner Wohnung, in der wir übernachten sollen. Auf dem Weg dorthin verfahren wir uns ein zweites Mal. In dieser verrückten Stadt verschwinden anscheinend auch größere Straßen bisweilen spurlos.


22.04.2005 München - Ingolstadt

Die Nacht in Dirks Wohnung ist anstrengend. Für eine kleine, verrauchte Junggesellenwohnung sind sechs müde Menschen einfach zu viele. Steffi treibt es am Morgen als erstes nach draussen, auch die anderen sind froh, bald wieder in der Sonne zu sein. Unser Freund Mawe ist leider krank, so daß wir keine Frühstücksverabredung haben. Statt dessen finden wir am Auto einen Lackschaden und einen Zettel mit einer Entschuldigung dafür. Schöner Mist - zumal man zu diesem Zeitpunkt nur schwer erkennen kann, was Lackschaden ist und wo einfach nur die Schmutzschicht verschmiert ist. Niklas entscheidet sich für einen Stadtbummel in München während die anderen schon durch zähen Stau nach Ingolstadt fahren um ein wenig kleinstädtische Idylle zu genießen. Der Tag vergeht als damit, dass Peer, Mauri und Benny sich um die Reinigung des Autos kümmern. Björn und Steffi gehen in Ingolstadt schwimmen, Niklas ärgert sich über die Unfreundlichkeit in München, genießt es, mal Zug statt Auto zu fahren und freut sich, zum zweiten Mal in Ingolstadt zu sein. Genuß und Entspannung nehmen kaum ein Ende, zumal Ingolstadt mit einer der besten Sushibuden der Welt gesegnet ist. Die Nacht werden wir in der Wohnung von Daniel von Rote Raupe und seinem Bruder Johannes schlafen. (Ist es überall gang und gäbe, daß Brüder zusammen wohnen?) Dort angekommen treffen wir auf junge Leute, die extra für uns aus Augsburg angereist sind.
Der Aufbau im U2 geht zügig voran - ein weiteres Kneipenkonzert wird das werden, diesmal in einer Art Metalkneipe, da sonst wohl kaum Raum ist für Konzerte, in Ingolstadt. Peers Konzert am Anfang der Show lässt erahnen, dass es schwer werden wird, das Publikum zu erreichen. Er wächst an der Herausforderung und spielt seine Variante einer wilden Rockshow - ohne Rücksicht auf körperliche Unversehrtheit. Auch Freizeit 98 geben alles, was sie haben um die Aufmerksamkeit an sich zu binden. Die hitzige Musik raubt jeden Rest von brauchbarer Atemluft aus dem Raum. Später am Abend, als wir selber auf der Bühne stehen, erkennen wir das Problem - die ersten zwei Reihen vor der Bühne geben einem das Gefühl, im Wembleystadium zu stehen; sämtliche guten Leute von Ingolstadt, die André und Daniel in dieses Rockloch locken konnten, stehen bereit. Dahinter erstreckt sich die Theke und der Rest des Raumes und sieht aus als würde Bon Jovi von Band auf deutlich mehr Gegenliebe unter verschwitzten Rockerwesten treffen. Was man da tun kann? Wir wissen nur eines: Für die ersten Reihen spielen, als hinge unser Leben davon ab. Zusätzlich angestachelt sind wir von den furchteinflössenden und hundsdummen Überschriften der Bild Zeitungen der letzten Tage. Dass man sich nicht mehr für die deutsche Vergangenheit schämen muss ist so ein atemberaubender Scheißdreck, dass man schreien möchte. Tun wir dann auch. Am Ende der Show sind wir völlig etkräftet und gehen recht bald schlafen. Beim Einschlafen haben wir alle den Verdacht, daß wir zwar aus reiner Gewohnheit noch wochenlang so weitermachen könnten, eigentlich aber langsam wirklich überhaupt nicht mehr können. Würde daheim nicht der dumme Alltag warten, wir würden mitlerweile gern dahin.
Dieser Eindruck könnte sich aber auch nach dem nächsten Abend, an dem wir ganz normal spielen können und nicht das Kneipenpublikum zusammenzimmern müssen und der nächsten wirklich geruhsamen Nacht relativieren. Tourleben besteht aus großen Schwankungen, Bus, Stimmung, Haltung, alles schwankt. Hochinteressant.


23.04.2005 Ingolstadt - Trostberg - Mühlacker

Zu Tagesbeginn sind wir alle ernsthaft ausgelaugt. Im Nachhinein hat der Abend noch mehr angestrengt. Die schlechten Bedingungen, das Überbrüllen des Publikums und daß wir merh oder weniger unfreiwillig eine Partyband sein mußten in Kombination mit der eher enttäuschenden wirtschaftlichen Seite des Konzerts laugen uns aus. Kneipenkonzerte geben uns wenig Erfüllung, merken wir, und es macht uns weniger Spaß, uns selbst innerhalb von schlechten Verhältnissen auf eine Rumpelei reduzieren zu müssen, um nicht gegen eine Wand zu fahren. Stefanie und Björn gehen direkt am Morgen wieder schwimmen, Niklas stadtbummeln, die anderen hängen rum, Peer ist noch vor 7 Uhr mit dem Zug aus Ingolstadt nach Berlin gefahren, er tritt heute abend mit kritkon auf und stößt morgen zum Tourabschluß wieder zu uns. Daniel richtet seine Wohnung für die nächste Party her und es ist wieder viel Betrieb. Eine erstaunliche Kondition haben unsere Ingolstädter Freunde. Am Nachmittag fahren wir ab, die Sonne scheint und Björn möchte fahren. Niklas ist darüber nicht ganz glücklich, scheint es, oder es ist etwas anderes, oder er ist auch nur erschöpft. Da er nicht spricht, weiß es keiner genau. In Trostberg sind wir natürlich die ersten und müssen warten, der Aufbau der Anlage ist ebenfalls zeitintensiv, wir wissen nicht genau, warum.
Wir suchen sonst stets die Nähe der anderen, heute treiben wir auseinander wie von Brownscher Teilchenbewegung getrieben. Nicht feindselig, einfach so. Mauri ist schweigsam, Niklas mißmutig, alle sind müde und auf eine Art ziellos. Nur Benni ist wie immer, er hat scheinbar bessere Nerven. Markus von Freizeit 98 hat uns heute eine sensationell volle Hütte versprochen, die Werbung ist gut. Wir freuen uns drauf und gehen Fritten essen, ganz langsam kommt unsere Kraft zurück und wir nähern uns unauffällig wieder einander an, Stefanie und Björn gehen noch zu zweit eine romantische Waffel im Eiscafé essen. Der Klub füllt sich leider zunächst nur zaghaft und nicht in Ausmaßen, wie von Markus prophezeit. Wir wollen heute ein egoistisches Konzert spielen und alle ruhigen Stücke machen, die so sehr zu kurz kamen an vielen Abenden, außerdem tragen wir heute keine Anzüge auf der Bühne. Das Konzert von Freizeit ist das beste der drei letzten, vor allem Andi, der Schlagzeuger, spielt heute, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her, sehr gut. Das Publikum kommt nach und nach dann doch und weiß sich zu benehmen. Wir gehen gemächlich auf die Bühne, kündigen an, daß wir angestrengt sind und gestern einen eher zähen Abend abkämpfen mußten und heute besinnlich sind. Das Publikum läßt sich zum Glück darauf ein und wird zu einem der besten der Tour; wir genießen es, so zu spielen und verschmerzen auch, daß Peer heute fehlt. Erst als Zugabe machen wir kurz laut, gottseidank erst dann, denn der Sound läßt es kaum zu, das Schlagzeug wummert entsetzlich. Am Ende sind wir sehr glücklich, verkaufen T-Shirts und Sachen in einem irrwitzigen Verhältnis zur Zahl der Konzertbesucher, führen sehr schöne Gespräche mit manchen der Gäste und den beiden maximum bezaubernden Mitarbeiterinnen des Clubs, die wir später in Locas-Shirts fotografieren, in denen sie extrem gut aussehen. Viel zu spät fahren wir los, zurück nach Mühlacker, um morgen nicht so viel fahren zu müssen. Niklas feiert sein großes Comeback und beweist, daß er der wahre Fahrer ist, war und immer sein wird und während alle anderen komatös in sich zusammensacken, sitzt er mit aufrechtem Kreuz und stolzem klaren Blick hinterm großen Lenkrad und kichert wie eine Hyäne. Was für ein Mann. Wir sind wieder sehr dicht beisammen und liegen uns in Gedanken glücklich in den Armen über den schönen Abend und haben einmal mehr alle Last, alle Anstrengung, allen Kummer und alles Scheitern in Gitarrenakkorde und Beats auflösen können. Trostberg ist gut. Wir sind gut. 6.30 Uhr Ankunft. Manchmal ist es, als gäbe es kein Zurück mehr in eine andere Wirklichkeit.


24.04.2005 Mühlacker - Köln

Bei unserer frühmorgendlichen Ankunft stehen wir alle noch im Flur von Björns Elternhaus zwischen seinem ehemaligen Bubenzimmer und der früheren Stube seiner Schwester, verteilen uns auf diverse Räume und wollen Zähne putzen. Das Badezimmer ist aber belegt und man hört es deutlich: jemand duscht. Alle fragen sich: wer macht denn so einen Quatsch, um diese Zeit noch duschen? Kandidaten sind Mauri, der durchaus gelegentlich unberechenbares Verhalten an den Tag legt, aber er steht in der verwunderten Runde. Natürlich, Benni ist es, der durchgeknallte Witzbold aus Warendorf, immer für eine Überraschung gut. Aber auf einmal kommt er auch dazu und es wird dennoch weitergeduscht. Natürlich - Peer, die ewige Extrawurst aus Berlin. Dann erst fällt uns ein, daß er heute überhaupt nicht dabei ist. Die Lösung ist am Ende nicht so spannend, daß sie diese vielen Zeilen gerechtfertigt hätte. Björns Vater duscht an diesem Sonntag um 6.30, die Rastlosigkeit, die sein hochbegabter Sohn ebenfalls kennt und gerne zum Thema seiner filigranen Songs macht, treibt den sanften Lehrer früh aus dem Bett, seinen Sohn spät hinein. Wir schlafen ebenfalls nicht lange, am Vormittag wachen wir nach und nach auf, machen uns fein und nehmen erneut ein erschlagend opulentes Frühstück ein (Björn kann sich nicht erinnern, daß seine Familie schon immer wie Könige gelebt hat), der Hunger treibt alles hinein, was wir finden können, aber zu Teilen auch die Ungewißheit, ob Björns Mutter ihre anhaltenden Drohungen, daß alles gegessen werden muß nun ernst meint oder nicht. Wir wollen sichergehen und hinterlassen keine Spuren. Leicht verspätete Abfahrt, Tanken und zack auf die Autobahn. Anfangs zäher Verkehr und gelegentliche Staus, leichte Anspannung, ob alles klappen wird. Das Stereo Wonderland hat eine Sperrstunde, die absolut nicht flexibel ist, zumal es sonntags eigentlich nicht geöffnet ist und nur für uns diese Ausnahme macht. Daher dasselbe mit unserem Zeitplan: kein Spielraum. Die zweite Hälfte der Fahrt läuft allerdings umso besser und wir kommen exakt an, Mobilé im nahezu selben Moment. Im Ausladen und Aufbauen sind wir mittlerweile so geschwind, daß wir überlegen, eine interessante Wette daraus zu stricken und sie Thomas Gottschalk zu schicken. Es sollten aber auf jeden Fall noch Bagger und Getränkekästen darin vorkommen, deshalb wird es noch ein wenig dauern, bis wir unseren endgültigen Vorschlag einreichen. Eventuell sollte die ganze Wette auch von hochbegabten Kindern mit Kopfrechentalent und Igelfrisuren durchgeführt werden. Unser Soundcheck ist ebenso fix gemacht; eventuell könnte auch hier eine Wette mit drolliger Erweiterung entstehen. Thorsten vom Wonderland ist ein wenig empört darüber, daß wir als Band so eingespielt und sicher in unserem Grundsound sind, daß wir ihm seine Daseinsberechtigung als Soundmensch nahezu völlig entziehen. Er beklagt sich bei Benni, was dieser ihm für eine Truppe anbrächte, er könne überhaupt nichts sagen und anmerken und nach fünf Minuten seien wir eingerichtet. Mobilé sind noch bei Pizza Ciao! essen, ein Tip von Benni, einem guten Kenner Kölner Imbisse, bereiten sich dann auch vor. Wir zerstreuen uns kurz, manche gehen nach hause oder sich mit wem treffen, Stefanie, Björn und Niklas gehen mit dessen Familie noch ducrh den Regen spazieren und eine durchschnittliche Falafel essen. Und dann wird gewartet. Wie gesagt, der Zeitplan ist felsenfest. Darin einkalkuliert ist, daß der Laden zu einer frühen Stunde voll ist. Es passiert nichts. Wir leiden sehr. Wo sind alle, die wir kennen? Bei den Kills im Gebäude 9? Bei die Firma im Prime Club? Den Regen meidend und faul zuhause (beim Familienduell mit Werner Schule-Erdel wäre das die Superantwort). Wir schieben den Beginn nach hinten. Und weiter nach hinten. Auf einmal passiert es und Menschen strömen ins Stereo Wonderland. Mobilé fangen an, als der Laden gut gefüllt ist, zu zwei Dritteln ungefähr. Wahrscheinlich ist es das beste Mobilé-Konzert überhaupt, die Band spielt manchmal deutlich schneller als gewohnt, aber fängt alles auf, verliert sich nicht einen Moment lang und mischt kurze Ansagen und direktes Songineinanderspielen, daß man kaum Luft holen kann. Der Sound ist transparent und mächtig, aber nicht dröhnend laut und sie kommen super an. Wir sind stolz auf Mobilé, froh über uns selbst, weil wir sie ja eingeladen haben und weil alle im Raum gute Laune haben. Als wir auf die enge aber gemütliche Bühne steigen, ist es sehr voll. Wenig Bewegungsfreiheit fürs Publikum, aber dennoch keine beklemmende Enge wie zB in Ingolstadt oder in den vorderen Reihen bei Rock am Ring. Perfekte Füllung. Auch heute spielen wir eher die leiseren Stücke, manchmal durchsetzt mit den anderen Sachen. Während der Songs ist es still, danach wird gejubelt. Natürlich sind viele Bekannte im Publikum (und es fehlen genausoviele; sie haben durch ihr Fehlen deutlich mehr verpaßt als wir, möhcte man hochnäsig sagen; aber es stimmt.), aber auch ganz viele neue Gesichter. Und alle scheinen eine gute Zeit zu haben. Oder sie verziehen ihre Gesichter zu einem Lächeln, um uns zu täuschen. Wir wären für beides dankbar. Nach fast drei Wochen Tour ohne einen Tag Pause und bei den uns entgegenschlagenden good vibrations sind wir natürlich ein wenig abgelenkt, es ist technisch nicht unser allerbestes Konzert, obwohl es gut ist und gut klingt und sogar eine minimalistische Lightshow hat, aber es macht unglaublich viel Spaß und ist eine tolle Familienfeier. Zu Big Balls wird extrem ausgeflippt, auf und vor der Bühne und als Abschied singen wir ein letztes Mal The Book Of Love von den Magnetic Fields. Die Homecoming Queen ist übrigens Steffi geworden. Björn hat leider keine Geschenke zu seinem 200. Konzertjubiläum bekommen. Er hat den Anlaß nicht aggressiv genug beworben und hofft jetzt auf nachträgliche Darreichungen. Nach der Show legt Jasmin souverän auf und konserviert die kollektive gute Laune noch ein gutes Stück länger in die Nacht hinein. Sie ist das ausgeflippe IPod-Shuffle-Girlie von Klettenberg, die sexy Ulknudel des Kölner Karneval (Kölner Express). Es wird geredet, getrunken, gejubelt und alles andere, was zu einem anständigen Abschlußfest gehört. Und dann fallen wir andererseits langsam und leise innerlich ein wenig zusammen und wissen noch nicht recht, ob wir uns freuen, wieder im eigenen Bett zu schlafen oder verzweifeln, weil wir morgen keine Show haben und unsere Mission für einige Zeit erfüllt ist. Mobilé müssen direkt zurück nach Berlin, der Abschied besonders von Peer ist lang und nicht einfach. Ein guter alter Schuh.
Jedenfalls war es ein wunderbarar Abend. Und eine großartige Tour. Vielen Dank an alle, die zu den Konzerten kamen, an die Veranstalter, Mischer und Techniker, unsere Freunde aus den tollen Bands, mit denen wir gespielt haben, die Leute, die uns verpflegten und unterbrachten und jedes einzelne Erlebnis.
Wir müssen schnell wieder auf Tour gehen. Wir haben diverse Bonmots aufgeschnappt, aus denen sich gute Mottos stricken ließen: Der Vorruhestand fängt ja prima an. Mund auf, Weißwurscht rein (so wollte Mauri im Falle einer erneuten Kontrolle die bayerischen Polizisten begrüßen, nachdem er eines nachts auf den Trip gekommen war, lallend und schreiend seine neue persona des 'i bin iberzeigta sieddeitscha'-skandierenden Oktoberfest- und Rockfans auszuzarbeiten). Und diverse mehr. Wir werden sie nach und nach vorstellen, wnen sie uns wieder einfallen. Alles verschwimmt, keine Ahnung, wann wir wo gewesen sind und was wir dort gemacht haben, aber es war sicher spitze. We did it: bungee jumping! (die Leserinnen und Leser werden sich hoffebtlich mit diesem gelegentlich sehr frei fließenden stream of consiousness arrangieren können).
Es geht uns sehr gut. Jetzt müssen wir zurück in unsere Alltage. Studieren, arbeiten, Niklas muß seinen Umzug machen, der ganze Kram, den wir kurz vergessen hatten. Egal. Wir fangen von vorne an - mit dem, was wir haben.

Bis bald. Björn, Stefanie, Niklas, Mauri, Peer und Benni.



2. Teil (12. bis 16. Mai 2005)


12.05.2005 Köln - Hamburg

Uns geht alles kaputt. Everything that keeps us togehther is falling apart, we've got this thing that we consider our only art und so weiter. Unsere Verstärker wollen alle teuer repariert werden und unser Auto hat einen Motorschaden, zugleich sind wir alle im Moment so abgebrannt wie selten dieses Jahr. Ein dummer Start in den Tag. Aber es ist auch egal, wir haben wichtigeres zu tun, als uns zu ärgern, das können andere machen. Benni hat eine neue Jacke, er sieht jetzt aus wie ein Filmstar. Wir brechen etwas umständlich auf (beim Öffnen eines Schallplattenkartons mit einem Kapodaster zerschneidet sich Björn zB Teile seines linken Daumens, Nagel und Nagelbett inklusive. Er bekommt einen Verband, der aussieht wie Lassies Pfote). Und ohne Stefanie. Sie ist verhindert und wird mit dem Zug nachkommen, wenn die Show längst gespielt sein wird. Wegen dieser Unvollständigkeit wird Björn heute alleine spielen, auch weil Click Click Decker es genauso macht und es dann gut paßt. Niklas, Mauri und Benni sind dennoch mitgereist. Sie wollen nicht länger als nötig vom Tourleben getrennt sein und ahnen bereits, daß sie eine aktivere Rolle spielen werden als bloßes Zuschauersein. Die Sonne scheint herrlich auf die Reeperbahn, wir kommen gemütlich an, begrüßen Kevin und seinen Assistenten Lennart und machen langsamen Aufbau, danach gehen wir alle zusammen etwas essen und werden auf der Reeperbahn Wichsmäuse genannt, Björn gar festgehalten und mit 'Locke, komm rein' versucht, in ein Etablissement zu locken. Unlocker und total überfordert vom ungewohnten und ungewohnt hohen Input an Anzüglichkeit wirken wir wie Burschen vom Land, die sich mal die Reeperbahn ansehen wollen (oder Leute vom Bund, eben eine uncoole Truppe Buben). Ein dummes Gefühl. Unter uns wird übrigens Holly Golightly spielen. Die Meanie Bar ist dennoch vollgepackt, daß Bewegung schwerfällt. Die Bühne ist winzig und im Schaufenster und aus Platzgründen ist es ganz gut, nicht die ganze Band aufgebaut zu haben. Kevin und Björn strukturieren den Abend hochkomplex und intelligent in drei Blöcke. Jeder spielt abwechselnd fünf Songs, die einem Themenstrang folgen, danach wird abgeklatscht und der nächste ist dran. Click Click Decker, das sei hier noch einmal gesagt, birst fast vor Talent. Seine Texte, Songs, Gitarrenspiel und Stimme sind großartig, wir applaudieren uns die Hände schwielig. Alle, die das lesen: bitte kauft seine tolle Platte, ein wirklich ernst- und gutgemeinter Rat. Beide Artists kommen beim Publikum spitze an und Björn bittet für seinen letzten Block Niklas und Mauri auf die Bühne. Mauri spielt Bananenshaker, Niklas Gitarre, beide singen mit und Niklas noch im Duett mit Björn (How I Wrote) I Get Lonesome in einer der besten Versionen, die das Stück bislang erfahren hat. Zumindest die beiden Freunde und Sänger sind begeistert. Björn gesteht seinen Compadres ein, daß er lieber wieder eine ganze Band sein will, anders als in Dackeltagen, als er sich oft danach sehnte, ohne seine Band auf die Bühne zu gehen. Alles in allem ein wunderbarer Abend, viele Freunde sind gekommen, alle zusammen wollen sich und uns zuprosten. Morgen wollen wir Alex treffen und zu Rückkopplung gehen; den offiziellen Teil des Abends beschließt der fantastische Fred Adrett mit einem unanständigen Witz, dann steigt er auf sein Motorrad und fährt gen Süden, die Haare flattern im Wind. Das Witzterrain übernimmt Benni mit guter Leistung souverän. Danach setzen wir uns noch in die Küche von Kontraphon, wo wir im September live gespielt haben und schreien vor Vergnügen bis eine der Bewohnerinnen uns bittet, leise zu sein. Ach, Hamburg. Du alte Hanse. Als die Hamburger Schule in unsere Teenieleben brach, dachten wir alle, das sei der coolste Ort der Welt und hier sei immer etwas los, nicht so eine Scheiße wie Karneval in Köln, sondern richtige Sachen, die was taugen. Und so ist es auch. Wir sollten versuchen, so wie die Beatles irgendwo ein Engagement zu bekommen, hinter einer Kinoleinwand in einem unbeleuchteten Raum alle aufeinander zu schlafen, nur um jeden Abend hier spielen zu können.


Die schönen Bilder hat Fred Adrett gemacht. Björn und Kevin am Set vom 'Two vulnerable killers by song' (deutscher Verleihtitel: 'Pack schlägt sich, Pack verträgt sich'), dem neuen Epos von Martin Scorsese und Björn mit dem Löwen, den er in einer Actionszene fangen muß, um Kevin zu retten.


13.05.2005 Hamburg - Greifswald

Version 1

Der Morgen dauert traditionsgemäß länger als wir uns das noch gestern abend vorgestellt hatten, deswegen müssen wir nach dem Frühstück direkt los und schaffen es nur noch kurz, in Altona bei Rückkopplung vorbeizusehen. Stefanie mahnt Niklas und Björn, sich nichts zu kaufen, da so wenig Geld wie gerade noch nie in den Taschen war, sie gibt das Motto aus: nur kucken. Der neu fusionierte Laden ist große Klasse, weil er mit dem Subraum zusammengelegt ist. Stefanie kauft sich eine kleine neue Orgel, eine Philicorda von Philips. Niklas und Björn freuen sich, sie wollen bei nächster Gelegenheit diese Schwäche zu ihrer eigenen argumentativen Stärke umfunktionieren. Heute noch nicht, das wäre zu einfach. An der Orgel muß noch etwas gemacht werden, wie holen sie erst ab, wenn wir in vier Wochen mit Karpatenhund in Hamburg sind. Die Fahrt läßt sich erst gut an, die Straßensituation wird dann aber kolossal dardabahnmäßig, bis auf Loopings ist der ganze infantile Straßenplanungsscheiß dabei und wir hängen 40 oder 60 Kilometer vor Greifswald gelangweilt im schnörkelstraßigen Ödland. Wir sehen auf der Fahrt einen Laster mit zwei Anhängern, erst sehen wir nur, daß hintendrauf groß ZUFALL steht. Auf den beiden Kompartiments steht an den Seiten 'täglich Magdeburg' und 'täglich Kassel'. Bei dieser Vorstellung schüttelt es uns alle. Das kann definitiv kein Zufall sein, es ist eine Warnung. Aber wovor? Klez E wollen das Konzert absagen, weil es ihnen mit Staus ähnlich wie uns geht, aber schlimmer. Wir verbieten es ihnen und kommen doch noch zeitig genug an, um alles gemütlich herzurichten. Als Catering gibt es aufwendig zubereiteten Fisch mit Kartoffeln auf einem Bett von Sonnenblumenkernen und getrockneten Tomaten. Unsere Cateringanweisung war, daß wir ausdrücklich kein Fleisch und keinen Fisch essen wollen, sie wurde so umfunktioniert, daß wir kein Fleisch essen aber ausdrücklich Fisch haben müssen. Die Vegetarier sind fast besinnungslos vor Wut und Enttäuschung: seit Ewigkeiten das erste ausgeklügelte Essen, das wir bekommen, das erste mit Kartoffeln, frisch zubereitet, Spitzenzutaten. Und dann Fischlappen großzügig darüberdrapiert. Es ist gemein. (Noch gemeiner ist eventuell, daß Niklas und Mauri dieses Gefühl nicht teilen können und sich schon mal auf eine Weltklasseessen einstellen). Also gibt es die von Jugendzentrumserfahrungen her einigermaßen gefürchteten Kräuterbutterbaguettes. Diese hier sind allerdings schwer in Ordnung und statt mit Remoulade oder vergleichbarem Unfug mit einer feinen Tomatensache beschmiert, der Käse nicht zu dick, das ganze nicht ranzig und dazu Basilikum frisch vom Strauch. Wir sind nicht direkt versöhnt (Kartoffelneid der Vegetarier), aber auch nicht nachtragend und da es Erdbeeren gibt und wir bei Leuten wie denen aus dem Klex, die durch die Bank großartig sind, keine böse Absicht vermuten, ist der Frohsinn mit ein paar Bissen wieder im Raum. Klez E haben eine harte Fahrt hinter sich, sind aber vergnügt, zerknittert und kicherig. Sie bauen auf und fangen bald danach an zu spielen, ihre Gitarren klingen heute besser als je und sie spielen ein paar uns noch unbekannte Songs. Das Konzert ist einmal mehr sehr eindrucksvoll und macht viel Spaß, im Raum ist es unerträglich warm. Als wir mit dem Umbau anfangen, ist es schon ziemlich spät, deshalb fangen wir so zügig es geht an. Tim mischt uns heute wieder, aber es gibt Probleme, irgendetwas klappt nicht, wir haben auf der Bühne Rückkopplungen, deren Quelle nicht ganz klar ist (ähnlich wie im Orangehouse in München letztes Jahr) und die man scheinbar nur auf der Bühne hören kann, nicht davor, Björns Gitarre zerfällt in ihre Teile und weigert sich gegen Ende des Konzertes, überhaupt noch Töne von sich zu geben. Wir können in der ersten Hälfte unsere Unsicherheit und Anspannung nur schwer verbergen. Hätten wir nur als erste gespielt. Die Leute sind aber tapfer und bleiben im halbvollen Raum, hören zu und sind dabei, es könnten eventuell mehr sein, aber es ist auch so in Ordnung. Man sagt ja gerne: besser weniger Leute, die gut sind, als ganz viele Leute, die nerven. Die zweite Hälfte wird dann auch wesentlich lockerer und schöner, wir versöhnen uns mit dem Abend und gehen von der Bühne, als Zugaben spielen wir unvorbereitet Book Of Love und Big Balls – weil wir bei beiden Stücken ohne Björns Gitarre auskommen. Danach sollen wir noch mehr spielen, Björn will auf die Bühne klettern, sich bedanken und erklären, daß wir nichts mehr spielen können und stößt sich den Kopf dabei kolossal an der zu niedrigen Decke des Aufgangs vom Backstageraum auf die Bühne. Er wird den restlichen Abend beeinträchtigt und langsam bleiben. Niklas traut ihm nicht mehr richtig über den Weg wegen seiner neuen Tendenz zur spektakulären Verletzung. Nach dem Konzert entwickelt sich die Nacht sehr langsam, wie überhaupt vieles an diesem Tag. Eigentlich wollen alle zusammen zum Hafen laufen und Schiffe ansehen und entern, aber wann immer die Gruppe nahezu vollständig ist, will jemand den Rest holen und geht dabei selbst verloren. So bilden sich zwei Gruppen. Die Slacker und Hippies machen einen Block, bleiben im Klex und rauchen ihre Teenagerzigaretten, die Abenteurer, die auch mal was sehen wollen von den Städten, in denen sie spielen, gehen zu den Schiffen. Es gibt eine neue Brücke, Jockel fährt morgen nach Schweden, um seine Lieblingsband zu sehen und der Absatzmarkt für Backwaren scheint hoch zu sein in Greifswald. Vielleicht machen wir mal eine SB-Bäckerei dort auf.

Version 2

Der Morgen in Hamburg fängt langsam an. Als einziger früh von der Sonne geweckt, spaziert Niklas durch die Strassen dieser Stadt und versucht zu verstehen, wo das Geheimnis dieser Stadt liegt, die an vielen Stellen nicht offensichtlich schön aber doch eben meistens verlockend ist. Ergebnisse findet er nicht, so viel sei hier zumindest verraten. Später wachen auch die anderen lansam auf und wir brechen nach einem gemütlichen Frühstück in der ungemein gastfreundlichen Kontraphon-WG (gutes Brot, übrigens, Christian) nach Altona auf, wo wir Christian Smukal in seinem nun mit dem Subraum kombinierten Laden Rückkopplung besuchen wollen. Wie immer finden wir bei ihm eine Mischung aus tollen Instrumenten und angenehmer Unterhaltung. Wir sprechen lange über Gitarren, Orgeln, fürchterliche Deutschrocker und den ganzen Projekten, an denen wir arbeiten. Wie immer verspricht Christian, dass die neue Platte von Sport in Arbeit ist. So sehr wir es wollen, so schwer fällt es und mitlerweile, das zu glauben. Diese eine Stunde in Altona macht uns allen noch mehr Lust auf Hamburg. Und, ehrlich gesagt, noch weniger Lust, bald nach Köln zurückzukehren.
Die Fahrt nach Greifswald wird uns durch feinsten Sonnenschein versüßt und durch den Pfingstverkehr auf der noch immer nicht fertiggestellten Autobahn 20 versauert. Während wir im Stau stehen, rufen uns Klez_E an, die seit Stunden unterwegs sind und wegen der saumäßigen Verkehrslage ernsthft in Erwägung ziehen, die Show abzusagen. Zum Glück kann Benny sie überzeugen, weiter zu fahren. Reichlich zu sopät kommen wir in Greifswald an, wo wir mit einigem Schrecken feststellen müssen, dass es zwar eine brilliant zubereitete warme Mahlzeit gibt - diese aber für Vegetarier völlig ungeeignet ist. Es ist wirklich gemein - einmal machen sich Menschen wirklich Gedanken darüber, was denn eine gute Mahlzeit für eine Band sein kann und dann wird ein Großteil eben dieser Band der Genuß verwehrt in dem über die ganze Pracht Fischfilets ausgelegt werden. Die Stimmung bssert sich etwas, als Klez_E eintreffen. Dafür, dass sie seit mehr als zehn Stunden unterwegs waren sehen sie noch relativ frisch aus und schon bei der Begrüßung merken wir wieder, wie angenehm es ist, mit dieser Band Zeit zu verbringen.
Kurze Zeit später fängt as Konzert an und Klez_E spielen wie besessen. In mehr als einem Moment fühlen wir einen gewissen Stolz darauf, dass wir mit einer so guten Band befreundet sind. Später, als wir auf die Bühne gehen, wird es leide etwas anstrengend. Es gibt solche Abende, an denen man jeden Ton mit Mühe erkämpfen muss, weil ständig Dinge kaputt gehen oder schlecht zu hören sind ode sonst irgendwas. Das ist sehr gemein: Wir wollen nichts lieber, als unsere Songs zu genießen, sie als feines Geschenk vor uns zu werfen - aber heute fühlen sich viele Stücke an, als wären sie aus Blei. Erst gegen Ende wird alles lockerer und wir fangen an, unsere Sorgen zu verlieren. Ganz zum Schluss spielen wir "The Book Of Love" von den Magnetic Fields und die Klez_e's überreichen Björn einen flugs zusammengestellten Blumenstrauss. Dieser ausserordentlich schöne Abschluss des Konzertes wird davon getrübt, dass sich Björn auf dem Weg zur Bühne, von der er sich ein letztes Mal verabschieden möchte, an einer Türkante fast bewusstlos schlägt. Nun ja - it's a bittersweet symphony, this night.
Später reden wir noch lange untereinander, die meisten Bandmitglieder machen noch einen Spaziergang duch die langsam herannahende Morgendämmerung. Jockel vom Klex begleitet und und erklärt uns die ein oder andere Sehenswürdigkeit während Tobi und Björn Fernsehseriennamenratespiele machen und die Gespräche über Musik und die Freiheit von der wir träumen mit einer Leichtigkeit dahinggleiten, dass keine Nacht lang genug sein könnte um wirklich genug davon zu kriegen. Zurück am Club brechen Klez_e in Richtung Berlin auf, während wir uns in die extrem gemütlichen Betten verkriechen; in uns die Hoffnung, dass das Konzert sich für alle besse anfühlte als für uns. Das hat mit falscher Bescheidenheit nichts zu tun - je öfter wir sie spielen, desto mehr merken wir gerade bei den neuen Songs, wie viel sie uns bedeuten. sie sind unsere talentiertesten Kinder und wenn wir sie in die Welt entlassen, so wollen wir, dass sie sich vor nichts und niemand verstecken müssen. Die Angst, dem, was man schaffen kann nicht gerecht zu werden ist manchmal riesig. Schließlich geht es uns wie unseren besten Freunden bei jedem Ton um unser Leben. Das ist keine Übertreibung.


14.05.2005 Greifswald – Kirch Kogel

Der Morgen ist so, wie wir uns das immer wünschen würden. Da die Sonne scheint, wird unter in prächtiger Blüte stehenden Bäumen im Freien gefrühstückt, es gibt sogar Eier (wenn auch nicht genug, um Bennis Eiappetit zu befriedigen). Danach sehen wir uns zum ersten Mal bei Tageslicht die Innenstadt von Greifswald an, sind entspannt und finden kaum Gründe, jetzt wieder ins Auto zu steigen. Es ist einmal mehr die Gewohnheit, die uns Greifswald aus dem Inneren des Buses zuwinken läßt als sie uns auf die Straße treibt. Kirch Kogel ist leicht gefunden. Es liegt direkt bei Rum Kogel (wirklich). Billige Wortwitze liegen hier quasi auf der Straße (das wäre schon der nächste, wenn auch leicht unbeholfene). Nach der gestrigen routenplanerbedingten Odyssee (falk.de griff auf Straßen zurück, die noch weit von ihrer Fertigstellung entfernt sind) sind wir überwältigt, welche Feldwege dem Internet heute bekannt sind und uns pfeilgerade ans Ziel führen: ein altes Pfarrhaus in der Wildnis. Mobilé haben uns hierhin eingeladen, sie sind gern gesehener Musikgast auf dieser Party, die ein Freundeskreis von Outdoor Type-Familien jedes Jahr zu Pfingsten veranstaltet. Da das Wetter seit morgen finster geworden ist und der Regen anfängt, alles aufzuweichen, kommen wir im Lehm an, in dem auch die Camper mit ihren Zelten und Grillwürsten auf Besserung warten. Da sie ausbleibt, bitten wir Bands darum, nicht im Freien zu spielen; wir fürchten wegen der Feuchtigkeit um unsere Leben, da wir Respekt vor Strom haben (vor Gleichstrom möchte man in unserem Falle sagen und das auch in humoristischer Auslegung, da wir ja AC/DC covern. Herrje! Niklas Hang zum überdrehten Wortwitz hat mittlerweile alle erfaßt.). Also bauen wir uns in einem leeren Raum auf, der so gut klingt, daß wir am liebsten eine Platte darin aufnehmen würden, dann allerdings müßten wir eine Ablenkung für die Unmengen von Kindern schaffen, die zwischen unserem Gerät herumwuseln und uns auf Mauris Schlagzeug oder eigenen Bongos etwas vorspielen wollen und sich nur immer wenige Momente durch Aufträge ablenken lassen, wie herauszufinden, was es für Vegetarier zu essen gibt (woraufhin Weintrauben gereicht werden). Sprunghafte, eilige Wesen! Insgesamt fühlen wir uns aber seit unserer Ankunft etwas verloren. Es scheint nicht, als hätte irgendjemand auf uns gewartet und wir wissen nicht, was wir tun oder wo wir hingehen können. Peer kommt erst verspätet, er ist in der Nähe auf Freizeit mit seinem Chor und übt Lieder vom Schlage 'ein Jäger aus Kurpfalz' für eine Aufführung ein. Das Wiedersehen ist vergleichbar mit einem Aufeinandertreffen von John McEnroe und Boris Becker. Er wird auch bei ein paar Songs mitspielen. Unsere Verlorenheit weicht langsam, aber nicht vollständig. Relativ zeitig, als es draußen dämmert, fangen wir an zu spielen. Die Kinder sollen die Show sehen können, sie haben alle Mittagsschläfe abgeleistet, um sich die Bands ansehen zu dürfen und so gibt es für uns keinen Grund, uns bitten zu lassen. Bis auf ein Mädchen, das beim Satz 'ich glaube, vielleicht muß ich sterben' in In My Life mit erschrecktem Gesicht das väterliche Bein als Zuflucht sucht, haben wir die Ansammlung schnell auf unserer Seite. Vermutlich ist es das ungewöhnlichste Publikum, das wir je hatten. Und vermutlich sind wir die komischste Band, die der Feiergesellschaft bisher untergekommen ist. Aber alle im Raum sind plötzlich verbunden durch Lust auf die Musik, die wir spielen. Björn läßt in Radio Edit Kinder sein Gitarrensolo spielen und lockt mit dem Versprechen, daß sie noch mehr Schlagzeug spielen dürfen, es wird mitgeklatscht, -gesungen und –getanzt (eventuell werden sie auch instinktiv von seiner Tingeltangel-Bob-Frisur mitgerissen), viele der Kinder übernehmen geschmeidig den Tanz, den wir ihnen beibringen: enthemmtes auf- und abspringen auf der Stelle, wie nicht nur Niklas es seit Jahren trainiert und mittlerweile zur Perfektion beherrscht. Die Kautschukimplantate in seinen Knien bringen ihm einen Vorteil, aber seine Sprungkraft ist auch von seiner Anlage her besser als bei herkömmlichen Menschen. Das Konzert scheint sehr kurz zu sein und wir genießen es heute sehr, von diesem Ort, von dem wir nicht wußten, was uns erwartet, so überrascht zu werden. Wir spielen Zugaben und sehen nur in fröhliche Gesichter. Nach dem Konzert schreiben wir wie im Marathon Autogramme und verkaufen unsere Sachen. Der Markt für Buttons ist ausgesprochen gut. Das Konzert von Mobilé ist eines der lautesten, das es gibt. Zwar sind die meisten Kinder jetzt weg, die Eltern dafür fast schon gefährlich entfesselt. Sie tanzen ihre eigene Auslegung von Pogo; vor der Menschenmasse, die wie eine Art Lava aus Lebenslust und Trinkfreude durch den Raum mäandert, beschützen Benni und Björn breitschultrig Stefanie und ihre neue Freundin Lara. Diese geht Stefanie ungefähr bis zur Hüfte und sie halten sich an beiden Händen, um den neuen Tanz eine Stunde lang durchzuhalten. Aus Versehen schlägt Niklas beim Sprungtanz (wir nennen ihn Pongo) mit seinem kahlen Schädel ein Loch in die Decke, aber von dem Genuß der Band in Ekstase versetzt merkt er es nicht einmal und weiß bis heute nichts davon, denn das Loch verschließt Benni in seiner rührigen Managerart direkt mit etwas mitgebrachtem Rigips. Das sollte er auch mit Peers Finger, er hat ihn sich beim Gitarrespielen aufgeschnitten, die Gitarre ist blutverklebt. Nach dem Konzert gehen alle an das große Lagerfeuer und lassen die Stimmung auf sich einwirken. Irgendwo im Hintergrund wird Wandergitarre gespielt, dazu Trompete, Mundharmonika und Bongo und es warten noch immer Berge von Würsten und Fleisch auf gierige Münder. Für uns alles völlig unalltägliche Szenen. Wir sitzen noch etwas und ziehen uns irgendwann zurück auf unser Zimmer. Wir können es nicht ganz genau erklären, aber der Abend war großartig. Wir sind froh, daß Mobilé uns eingeladen haben und ziehen unseren Hut vor der Offenheit und Aufmerksamkeitsspanne der Pfingstcamper vom Kirch Kogel. Vielen Dank.


15./16.05.2005 Kirch Kogel – Ballwitz – Rollenhagen – Ballwitz – Köln

Das Wetter ist über Nacht schlechter geworden. Es ist sehr kalt und naß, dennoch geht Niklas in Feldern spazieren und Rehe beobachten. Manchmal träumt er davon, selber ein Reh mit Flügeln zu sein und vor einem Hintergrund von Regenbögen zu fliegen. Da er im Schlaf spricht, ist es kein Geheimnis. Das Frühstück wird schnell mitgenommen, Björn schneidet sich beim Zerteilen seines Brötchens gekonnt den nächsten Finger an. Nach und nach möchte er sie alle anschneiden, um bessere Hornhäute fürs Gitarrenspielen zu bekommen, Peers Unfall gestern abend war allen eine Lehre, wozu zu weiche Finger führen können. Als wir zusammen mit Mobilé unsere Sachen abbauen, fängt Frank an, eine Art Wochenmarkt aufzuziehen und zu ungewohnt früher Stunde Merchandise zu verkaufen. Wir wollen mit in den Markt und Benni macht auch einen Stand auf. Fast bis zur Ohnmacht wird verkauft und signiert, einmal mehr denken wir: jeder Morgen könnte gerne genau so beginnen. Wir laden ein, sagen Mobilé und unseren neuen Freunden Lebewohl und schaffen es trotz Lehmbodens ohne Probleme den Berg hoch. Auf der Fahrt wird Niklas müde und läßt sich als Fahrer ablösen, sehr ungewöhnlich. Wir sind viel zu früh dran, wer konnte schon ahnen, daß auch nach Ballwitz jede noch so miese Straße genau so stimmt wie auf unserer ausgedruckten Route. Wir sind bei Birgit untergebracht, einer Bekannten von Ulf, dem Chef der Feldsteinkirche Rollenhagen und verbringen die Nacht in der Einliegerwohnung, die bis zu diesem Moment ihrer jetzt ausziehenden Tochter zustand. Die viele Zeit bis wir in der Kirche sein müssen nutzen wir mit duschen, ruhen und fernsehen. Einer von Bennis Lieblingsfilmen, der Superstau, läuft, Niklas wird vom Gruppenzwang überwältigt und Mauri mag generell alles, was im Fernsehen läuft und mit Autos zu tun hat, zB den Film Daddy's Cadillac mit Corey Haim oder Formel 1. Außer ihm und seinem Freund Andi hat vermutlich niemand sonst in Deutschland Daddy's Cadillac gesehen, er jedoch spricht selten von etwas anderem. Zur Kirche sind es vielleicht 15, vielleicht 25 Kilometer, gefühlt aber 200 und diese über Wege wie aus Kriegsfilmen. Gerädert, geschüttelt und zerwühlt kommen wir an, essen etwas Salat und Brot, Äpfel und Möhren und sehen Cocoloris Diaboli beim Soundcheck zu, einer hochgradig in eigener Welt lebenden Gruppe, die auf altertümlichen Instrumenten geschätzt mittelalterliche Trinklieder und Hexentänze spielt. Für aufrichtige Exzentriker mit einem wirklichen Schuß haben wir ein großes Herz, selbst wenn ihre Ausrichtung anders sein mag als unsere eigene. Das alles ist von den Bärten bis Instrumenten hin in sich stimmig und wir völlig einverstanden. Während wir aufbauen, kommen Schrottfisch aus Berlin dazu, die Vorband. Bereits im Vorfeld haben sie uns angeboten, ihr Schlagzeug gegen einen Aufpreis 'den wir uns sicherlich nicht leisten können' mitzubenutzen. Da wir selber das beste Equipment haben, das wir uns selber vorstellen können, lehnen wir ab. Wir haben selten ein so nicht vorhandenes Verhältnis zu einer anderen Band gehabt und als sie spielen, sind wir erleichtert, nicht einmal guten Tag gesagt zu haben. Es ist ungefähr der größte Blödsinn, mit dem wir je gespielt haben. Teilweise bekleidet mit T-Shirts der eigenen Band. Der Sänger ergeht sich vor und nach jedem Song in minutenlangen Ansagen, in denen er versucht witzig zu sein und das, was er sich unter ironisch vorstellt. Er spricht mit dem Publikum, als sei es so bescheuert wie die Stücke, die er mit seiner Band spielt und glaubt, daß es eine gute Idee ist, Dinge zu sagen wie 'als arroganter Großstädter denkt man ja immer: auf dem Land geht nix. Aber hier geht ja doch was!'. Spitzenidee, Leuten zu sagen: wir dachten, hier seien nur Idioten, ihr seid ja doch keine. Moderationstalent wie Kindergärtner. Was mag bei Schrottfisch 'so gehen', wenn sie in einer Stadt spielen? Well. Die Songs handeln im wesentlichen von Tieren, Märchen und Mädchen und sind so peinlich und uncool, daß Westernhagen und Blümchen eine Offenbarung dagegen sind. Da unser Backstagebereich ein Balkon ist, von dem man besonders gut (statt gar nicht) das Konzert sehen kann, müssen wir durch. Immer noch eine Ansage mehr und immer ist sie noch ein bißchen blöder als die zuvor. Als arroganter Großstädter bläbläblä und dann sitzen wir mit unserem Märchenbuch im Kerzenschein bläbläblä. Schrottfisch sind unfaßbar langweilig und spießig, es ist zum Verrücktwerden. Da der Schlagzeuger (nur Gastmusiker und erstaunlicherweise der einzige, der nett wirkt) eigentlich ziemlich gut spielt, wird umso deutlicher, was für einen Kram die Gitarristen treiben. Wir glauben, daß so eine Band einen Majorvertrag braucht.
Sonst ist es nicht unsere Art, solche Worte zu verlieren. Über niemanden. Aber wir wollen aktiv dazu beitragen und alles daran setzen, nie wieder irgendwo dieser Band zu begegnen. Sollte das jemand lesen, der die Auffassung nicht teilen kann: es ist nur Geschmack, um den es hier geht. Um unseren.
Unsere eigene Show dann. Beim Soundcheck war alles toll und der Raum großartig, jetzt ist es nicht ganz so gut wie vorher (vermutlich haben Schrottfisch etwas damit zu tun, haha), aber es geht. Vor der Bühne scheint es gut zu sein, aber auf der Bühne hören wir jeweils nur das eigene Instrument, Gesänge und die anderen jeweils nicht laut genug. Da dieser Abend eine Abschiedsparty ist und Ulf danach keine Konzerte mehr in seiner säkularisierten Kirche veranstalten will, ist die Stimmung ausgelassen-gedrückt. Ab der Mitte des Raumes stehen viele Leute, die sich das Konzert anhören wollen, in der vorderen Hälfte wird etwas zu inbrünstig körperbetont getanzt und gebrüllt, eine Frau kommt vor die Bühne und verlangt 'mehr Pfeffer' (sie wird später anmerken: ihr müßt euer Mädel mehr in den Vordergrund schieben!'. Warum wissen solche Leute immer so genau, was man machen muß und was der Abend verlangt? Hut ab!). Natürlich ignorieren wir so einen Unfug. This is our show und wir haben uns etwas bei der Reihenfolge der Stücke gedacht, die wir heute spielen. Eine Traube von Leuten, die unsere Musik kennt, fordert unanständig laut ein, daß wir Manchmal bin ich glücklich spielen, was sie vor Wochen schon per email taten und heute vor dem Konzert. Wir haben den Song noch nie live gespielt und das mit gutem Grund: er funktioniert nicht. Wir haben letzte Woche noch getestet, ob wir diesen Wunsch erfüllen können, aber wir sind nicht zufrieden mit dem Ergebnis gewesen. Durch Alkohol und die ganze Feier aufgepeitscht, werden die Rufe lauter und aggressiver und um überhaupt noch unser eigenes Konzert ungestört zu Ende bringen zu können, spielen wir es in reduzierter Version und entschuldigen uns bei allen Leuten außerhalb besagter Traube. Wir sind abgekämpft und froh, als wir von der Bühne gehen. Froh, weil es eigentlich ein schönes Konzert war, aber auch froh, daß es vorbei ist, weil es anstrengend war. Ärgerlich, daß man manchmal wegen ein oder zwei Galgenvögeln, die sich daneben benehmen, fast übersehen könnte, daß sonst fast nur nette Leute im Raum sind. Kinder mitt Locas-Shirts zum Beispiel oder viele andere, die einfach nur da sind und sich das Konzert anhören, so wie wir selber auch Konzerte anhören: der Band zuhören und zusehen, wie sie spielt. Danach die Mittelaltertruppe. Wir stehen vor der Kirche und unterhalten uns gemütlich mit Leuten. Es sind so verdammt viele Leute hier heute Abend. Und wirklich viele sind sehr nett und eine angenehme Gesellschaft. Besonders Carl-Johan und Laura, 4. und 5. Klasse, und Mirko, den wir schon kannten, sind ganz kurz davor, in unsere Gang aufgenommen zu werden. Kinder und sehr junge Leute sind unser neues Ding. Vielleicht, weil sie nicht betrunken sind? Die Rückfahrt nach Ballwitz ertragen wir wie Soldaten und legen uns schnell hin. Wir müssen früh aufstehen.
Das Frühstück ist gut, es gibt Rührei. Birgit und ihre Familie haben einen Tisch in ihrem schönen Garten aufgebaut, wir befassen uns mit ihnen und ihren fröhlichen Haustieren. Niklas fährt danach bis Oranienburg, steigt dort aus und fährt mit dem Zug nach Berlin. Sein Soloprojekt durchziehen. Eine geile Ambient- / Trance-Vertonung von Novalis-Gedichten. Vielleicht hat er auch andere Pläne, er ist verschlossen. Die anderen fahren lange zurück, machen eine Essenspause und organisieren Dinge per Funktelefon. Abends sind wir wieder in Köln.
So ungefähr waren diese Tage.

3. Teil (25. bis 26. Mai 2005)

25.05.2005 Münster/Köln - Warendorf (Jugendzentrum HOT)

Anders als sonst begeben wir uns nicht zusammen zum Konzert und auch nicht in unserem Bus. Der ist (inklusive des Locas-Equipments) mit Björn unterwegs, der seit einigen Tagen Star Collector auf ihrer England-Deutschland-Holland-England-Konzertreise begleitet, eine kanadische Hardrockband, die sehr nett ist, aber ihm oft Tage und Nächte von Autofahren abverlangt. Er hat 40-Stunden-Tage, fährt davon an jedem Tag im Schnitt 500 Kilometer, baut auf, macht den Merchandisestand, all die Dinge, für die er sonst selber Leute angestellt hat. Die Band hat bereits seinen Verstärker von 1964, eine in London gekaufte New Order-12", ein Schlagzeugbecken und diverses mehr kaputtgemacht oder beschädigt. Und der leicht nervtötende Männerrock, der die ganz großen Momente zwischen Motorrädern, schönen Frauen und echten Gefühlen in nahezu jedem Akkord zelebriert kann ihn nicht ganz dafür entschädigen, daß er seine Lebenskraft genauso verschenkt wie die Chance, eine Autofahrt mit seiner lieben Band zu verbringen. Diese kommt im geliehenen Miniauto nach Warendorf, fast wäre Niklas nicht mitgekommen, weil der Employee of the month im Wanderladen eine motivational speech vor seinen Kollegen halten musste, die vor lauter standing ovations länger und länger wurde: der Preis des Ruhms. Björn wartet tapfer mit Benni, der seit einer Woche in Warendorf das Konzert promotet und organisiert und gestern Björn und Star Collector in Münster besuchte, als diese für Koufax eröffneten (was musikalisch sehr gelungene Abwechslung war). Nachdem der Abend in der Lunabar ausklang, noch vor kurzem von den Locas mit Freude und Erfolg bespielt, nahm Benni seinen stolzen aber angeschlagenen Freund mit in sein Elternhaus, was dieser sich zwecks Normalisierung durch Nähe zu seinem Manager, Geschäftspartner und mittlerweile auch Freund von Herzen wünschte. Die Distanz zu den zugereisten Musikern, ein Wannenbad und ein opulentes Frühstück, wie es nur hohe Tiere einnehmen (ein Stück Himbeersahnetorte etwa) und die Führung durch Warendorf Mitte um 4 Uhr morgens bringen den entkräfteten Sänger wieder fast zurück ins Wohlbefinden. Die Restlocas kämpfen mit Staus und der Zeit. Sie kommen zeitig genug an, das Wiedersehen ist voller An- und Entspannung. Wir gehen als erste auf die Bühne und setzen den Opener in den Sand, weil Björn mehrmals dieselbe Strophe zu singen beginnt, die die falsche ist, aber die richtige wird ihm erst nach dem Konzert wieder einfallen. Wir hangeln uns durch die Show, die in Ordnung ist, nicht großartig, aber gut. Besucht ist es mittelgut, in Ordnung aber. Es gibt eine Zugabe und nach 'Our Hearts' haben wir das Gefühl, doch eine ganz solide Leistung gebracht zu haben und ziehen uns in den geräumigen Backstageraum zurück. Star Collector nach uns kommen gut an bei den urigen Warendorfern, wir selber sind zu müde um uns wirklich alles anzusehen, dasselbe gilt für No More Lund, eine Schülerband, die den Laden ordentlich aufräumt, also leerspielt. Ihre Mischung aus circa alles und nichts erinnert an Clawfinger und Wave-Bands vom Dorf. Wir schlafen in extrem angenehmen Hotelzimmern.


26.05.2005 Warendorf - NL-Enschede (De Kikker)

Um überhaupt mal außerhalb von Deutschland aufzutreten haben wir die Einladung von Star Collector gerne angenommen, ihre Vorband in Enschede zu sein. Das Frühstück in Warendorf ist ausgezeichnet, Benni holen wir aus seinem Elternhaus ab und dürfen noch eine halbe Stunde im Bürgermeistergarten entspannen. Björn wünscht sich, statt Tourbegleiter für Star Collector Wahlkampfhelfer oder Redenschreiber für den sympathischen und baumlangen Politiker zu sein. Einer der ganz wenigen Männer, bei dem ein Schnurrbart irgendwie gut aussieht. Weitere Kandidaten: Lee Hazelwood, Otto Schily. Aber nach einem Glas Apfelschorle geht es schon weiter. Wir kommen viel zu früh in Enschede an und gehen aufgesplittet in Gruppen spazieren. Die Locas Five kaufen sich Snacks im Supermarkt und auf Niklas Drängen hin Fritten, die sich aber nicht ganz auf dem landestypischen Niveau befinden. Björn und Stefanie trinken mit Strohhalmen einen ganzen Liter Vla alleine, einen leicht flüssigen Vanillepudding. Der Veranstalter heißt Arris, was arisch ausgesprochen wird. Hi, I'm arisch. Arris ist sehr aufmerksam und ungefähr der erste, der einen Nudelstrudel mit Käsedach aus dem Ofen holt, der die Betonung auf gut schmecken und nicht gut stopfen legt. In seinem kleinen Garten fühlen wir uns wohl. Er ist Comicfan und zeigt Stefanie und Björn seine Sammlung. Die beiden sind natürlich deutlich besser sortiert, aber dennoch beeindruckt und erfreut, denn es passiert ungefähr nie, Leute zu treffen, mit denen man über Comics reden kann. Oder die selber welche haben, die man sich ansehen kann. Das ist deutlich schwieriger als Leute mit interessanten Plattensammlungen zu finden. Ins De Kikker zu fahren ist nur halblegal, da die Innenstadt wochenends gesperrt ist. Wir mogeln uns durch, bauen auf und machen das Übliche. Der Raum klingt gut und ist angenehm klein. Dann warten wir ab, was passiert und trinken Biere. Stefanie hat ihren Jungs heute das Wichtigste eingetrichtert, was sie brauchen, um sich in Holland durchzuschlagen. Mauri stellt sich unentwegt vor: Ik heet Roy Makaay. Die anderen waren aufmerksamer im Unterricht und können mehr sagen als solche Flunkereien. Daß sie es loek finden, also spitze, hier oder auch daß es schade ist: wat Jammer. Wat Jammer ist, daß es extrem heiß ist heute. Ein perfekter Tag, um in der Stadt herumzusitzen, ein Eis zu schlecken und Bier zu trinken. Aber sicher keiner, um sich mal ein Konzert von zwei unbekannten Bands anzusehen, die in einem Klub spielen, der ca. 38 Grad warm ist und eine Luftfeuchtigkeit von ca. 90 Prozent hat. Bei unserer Show sehen ungefähr 15 Leute zu und man kann nicht sagen, daß wir sie begeistern. Apathisch und überhitzt warten sie ab, was passiert, klatschen manchmal ein wenig. Wir haben das Gefühl, sehr gut zu klingen und zu spielen, aber viel Befriedigung lässt sich aus diesem Wissen allein nicht ziehen (obschon es von einem mies besuchten Konzert isoliert schön ist, wenn eine Band das von sich weiß). Bei Star Collector ist es noch heißer im Raum, ungefähr zehn Leute bleiben standfest, wir selber sehen von draußen zu. Je später es wird, desto elender fühlt sich Björn. Er will sich nicht von seiner Band verabschieden, deren leisen Vorwurf, seine Energie für eine fremde oder gar falsche Band einzusetzen, er nicht entkräften kann und er will nicht mit der Station Köln, um das Equipment auszuladen nach Calais und von dort wieder nach London fahren. Alles ohne wirklichen Schlaf. Gegen Mitternacht ist es soweit, die Locas ärgern sich, nicht auf Tour zu sein, sondern nach zwei Konzerten gerade mal warm, wieder nach Köln zurückzukehren. Mit Tränen in den Augen, aber immerhin mit Stefanie an seiner Seite fährt Björn los. Star Collector wollen den Druck von ihm nehmen und bitten ihn, sich zu entspannen, selbst wenn man dann eine Fähre später nehmen müsse. Irgendwann am Morgen, in Belgien oder Frankreich, springt Stefanie eine Stunde als Fahrerin ein und die Fähre in Calais wird zwei Minuten vor Zapfenstreich erreicht. Björn sieht aus als wäre er über 40 und starker Alkoholiker mit saisonalen Depressionen. Diese verrückte Tour wird ihm und Stefanie noch lange in den Knochen sitzen und in die von der Schlaflosigkeit verpickelten Gesichter geschrieben sein. Sonderbar, eine Locas-Tour wirkt immer wie eine Nacht auf der Ladestation für ein tragbares Telefon. Eine Fremd-Tour wie diese hier wirkt wie – ähm – das Gegenteil genau davon.


4. Teil (24. bis 26. Juni 2005)



23./24.06. Köln - Mühlacker - A-Wien (Donauinselfest)

Nachdem die letzten Konzerte allesamt Karpatenshows waren, sind wir erleichtert, nach einem Monat endlich wieder zu spielen. Wir haben schon wieder neue Songs gemacht und die folgenden drei werden unsere letzten Konzerte sein, bevor wir ins Studio gehen, deshalb brennen wir darauf, die Sachen der Liveprobe zu unterziehen. Außerdem ist es unser zweites Auslandskonzert und unser erstes in Österreich. Nur ist Wien verdammt weit weg. Wir denken uns die Variante aus, abends Stefanie von der Uni abzuholen und dann nach Mühlacker zu fahren, dort um 6.30 aufzustehen und nach Wien aufzubrechen. Alles geht gut los, die einzige Verzögerung beschert uns Mauri, der über eine halbe Stunde braucht, um sich eine Cola zu kaufen, angeblich weil der gesamte Supermarktbetrieb durch einen Ladendieb aufgehalten wird. Dennoch läuft alles wie geschmiert, die A3 runter und dann über Karlsruhe in den Süden können wir inzwischen mit geschlossenen Augen. Gegen 24 Uhr kommen wir an, Stefanie geht unter die Dusche und Björn tischt seinen Freunden einen Nachtsnack zum Dosenbier von der Esso-Tankstelle in Niefern ganz nahe der Halle, wo er jahrelang Tischtennis spielte, auf. Spiegelei für Benni, Käseplatte und was ölig Eingelegtes mit Brot für die anderen. Benni liebt Eier, er will so viele essen, bis ihm selber Federn wachsen; er hofft, sich mit diesem Feature interessant machen zu können. Björn geht dann ebenfalls nach oben, die anderen befassen sich noch mit ihrem Bier auf der Terrasse von Sonnenbergs, Familie Raiser nebenan feiert heute abend ebenfalls. Am Morgen dann so frühes Aufstehen, wie wir es als Band bisher nicht kannten, Frühstück mit frischem Gebäck, Brote streichen und schnell auf die Autobahn. Die Fahrt ist lang wie ein Genesis-Konzertmarathon, bei dem die Band in 24 Stunden auf jedem Kontinent ein Konzert gibt. Oder war es Def Leppard? Die Technik: Jet Lag. Also Time Shift. Wir bewegen uns leider in Echtzeit, verursachen einen Miniaturunfall, bei dem ein Nummernschild eingedrückt wird und sind vor gutem Wetter, Übermüdung und Vorfreude überdreht. In Wien finden wir sehr lange nicht ans Ziel, die Stadt ist groß. Am Festivalgelände werden uns die Ausmaße des Festivals noch lange nicht bewusst. Wir warten auf das Elektrowagerl, eine moderne Form der Pferdekutsche (Fiaker?), das unser Equipment an die Bühne fahren soll. Die Organisation ist spröde, zu wenige Wagerl sind im Einsatz. Stefanie, Mauri und Björn laufen zur SJ-Bühne, wo sie noch das Konzert der Blumen im Regen sehen wollen, als sie nach Kilometern ankommen, ist es bereits vorbei. Sie sollen aufbauen. Einzig: es fehlen das zweite Wagerl mit Equipment und mit ihm seine Betreuer Niklas und Benni. Zu unserem großen Glück und persönlicher Freude ist unser Liebling Oliver schon da und begrüßt uns modisch in ein Locas-Shirt gekleidet. Gemeinsam warten wir auf den Rest der Locas, der sogar noch nach Mobilé eintrifft, die in der Gegend touren und den Nachmittag nutzen, um uns zu besuchen. Zwischen so vielen kostbaren Freunden möchte man am liebsten gar nicht auf die Bühne steigen, sondern mit allen in der Donau planschen und danach eine selbstgemachte Eistorte servieren. Aber da der Rest gerade noch rechtzeitig ankommt und die Bühne durch Olivers helfende Hand schnell aufgebaut ist, machen wir es. Es ist heiß und sonnig, aber wir verordnen uns selber 1. Anzüge und 2. keine Sonnebrillen zu tragen, Wien soll unser commitment sehen. Auf der Setlist stehen nahezu nur neue Stücke, es macht Spaß, der Sound könnte besser sein, weil das Schlagzeug furchtbar ist, sonst ist es super hier. Immer mehr Leute bleiben stehen, verteilen sich aufs Areal vor der Bühne oder legen sich dorthin. Von voll zu reden wäre übertrieben, aber gemessen am Angebot des Festes, der Tageszeit (ca. 16.30) und unseres Bekanntheitsgrades in Österreich ist es verdammt gut besucht und als wir mit unserem noch keine Woche alten Screamo-Kracher, den wir als Arbeitstitel Happy End nennen, von der Bühne gehen, gibt es geradezu frenetischen Beifall. Nach uns spielen auf der SJ-Bühne (Sozialistische Jugend übrigens. Das ganze Fest ist von der SPÖ ins Leben gerufen.) eigentlich keine Bands mehr, die uns interessieren. Wir begleiten Mobilé vom Festival weg, essen schlechtes Catering, trinken Bier und Weißweinschorle am Donauufer und hängen mit unseren Freunden Martin und Oliver rum, es könnte eigentlich kein herrlicherer Nachmittag oder Abend sein. Der Plan ist, später noch das Mobilé-Konzert 80 km von Wien zu besuchen, davor ein bißchen umherzustreifen und Kinderzimmer Productions zu sehen, Nu Pagadi haben wir leider verpasst und Nena kann uns nachher direkt gestohlen bleiben. Das Konzert erreichen wir nach einem sehr langen Fußmarsch, als es sich schon dem Ende nähert. Ist aber sehr gut obwohl so kurz. Beim nächsten mal Kiziprod in der Stadt gehen wir hin. Dann zurück zum Bus. Der Weg dauert etwa zwei Stunden, das Festivalgelände ist so groß wie sonst das ganze Land, scheint es. Und ebenso tummelt sich ein erstzunehmender Teil der Österreichischen Bevölkerung auf der Donauinsel. Ginge sie jetzt unter, wäre dieses noble Land um ca. 20 Prozent seiner Einwohner ärmer. Daher dauert der Fußmarsch zwischen ein und zwei Stunden statt wie geplant 15 Minuten und es ist so spät, daß wir es nicht mehr rechtzeitig zum Mobilékonzert schaffen können. Leider müssen wir absagen, fahren in Martins Stadtwohnung, sitzen noch etwas zusammen und fallen müde in uns zusammen. Sonne, Alkohol, die lange Fahrt, das Konzert und die großartigen Eindrücke wollen in einen guten Schlaf verarbeitet werden.


25.06. Wien - Trostberg (Bahnhof)
(Fotos)

Frühstück bei Martin, der üppiger ausgestattet sein könnte, aber außer Benni, der in Gammeltradition als letzter zu Tisch ist, bekommt jeder Saft und einen Flecken Milch. Oliver kommt als Gast und bringt Brötchen, wir fühlen uns wie sich Louis XIV. in Versailles gefühlt haben muß. Hohe Zimmerdecken, wir haben geile Perücken auf, aufgemalte Schönheitsflecken und Klamotten wie Rondo Veneziano, sind inmitten von Freunden, z.B. anderen Königen oder Adeligen und rufen dem Pöbel zu, daß er doch Kuchen essen soll, wenn er nicht genug Brot hat, um satt zu werden (ja, wir wissen, daß es nicht L. XIV war, der diesen Ausspruch prägte. Alle Louisen verschwimmen in diesem schönen Bild voller Prunk und Style eben zu einem). Danach nimmt uns Martin auf einen Rundgang durch sein prachtvolles Veedel. Seinen Kiez. Sein Quartier. Mauri und Benni bleiben natürlich in der Wohnung, um noch etwas 'auszuruhen'. Nach dem schönen Spaziergang laden wir die Twins ein, sagen leise Servus und brechen auf. Auf der Fahrt essen wir das beste Raststätteneis, das es je gab. Die Raststätten Österreichs dürften mit denen Englands die besten der Welt sein. Frankreichs sind übrigens scheiße. Dieses Wissen kann Björn durch die Star Collector-Tour empirisch belegen. In Trostberg spielen Björn und Benni, die ihr schräges Comedy-Duo wahrscheinlich 'Double Bee' nennen werden, Niklas einen derben Streich. Daß er eiskalt erwischt wurde von ihrem infantilen Humor versucht er durch die passive Aggressivität zischend zu vertuschen, die er beim nächsten Streich dieser Art sicher nicht mehr unterdrücken wird. Wir kommen schnell an, der Ort ist klein, und werden freundlich begrüßt. Ein paar der Gäste bzw. Gastgeber kennen wir aus dem April, zwei davon, Josef, der Journalist und Helmut, der Gitarrenbauer, sind die Veranstalter. Für Helmut ist diese Konzertfeier auch die Einweihung seiner neuen Werkstatt, mit der er in den alten Bahnhof gezogen ist, der aber noch als Haltepunkt für Züge genutzt wird. Züge finden wir alle gut. Wir fühlen uns wohler als wohl, das Essen ist gut, extra für uns wurde Bulgur mit Pfifferlingen gekocht und es gibt ein Buffet mit Salaten, für Mauri und andere Gäste werden diverse Würstel und Steaks gegrillt. Das Bier wird in einem Bassin gekühlt, die Bühne bauen wir in einer Garage vor Bierbänken auf, es ist eng, klingt aber gut. Es wird immer schwüler, wir fühlen uns wie Hunde im Auto auf dem Supermarktparkplatz und laufen mit heraushängenden Zungen umher. Dann plötzlich fängt ein schreckliches Gewitter an zu toben. Es werden Plastikplanen als Regenschutzdächer gespannt. Der Regen hört nicht auf, aber wir fangen an. Es läuft von Anfang an gut, durch das Gewitter müssen die Gäste wohl oder übel dichtgedrängt zuhören, der einzig trockene und sichere Platz ist der unmittelbar vor uns. Dadurch ist es gesteckt voll und die Leute sind allesamt hochaufmerksam und bereit, so unterhalten zu werden wie nie. Wir geben alles und es ist einfach herrlich, manchmal blitzt es, der Regen ist fast so laut wie wir und alle haben gute Laune. Konzert und Gewitter ergeben zusammen ein Spektakel, eine feine Melange aus der Kunst Gottes und unserer eigenen. Wir müssen ungefähr fünf Zugaben spielen, bis wir uns endlich weigern, weiterzumachen, da wir einfach keine Songs mehr haben. Den Rest des Abends und der Nacht legen Josef und seine Freundin ganz großartig auf, selten so geschmackvolles DJing nach einem Konzert gehabt (besonders nicht im April, Jesses, wurden da Sachen gespielt manchmal). Das Wohlbefinden ist auf einem Höhepunkt, ginge es nach uns könnten wir hier einziehen und jeden Abend feiern. Es wird lange getrunken und geredet, Markus von Freizeit 98 ist ebenfalls gekommen und erzählt die neuesten Schoten aus Waldkraiburg, Niklas und Björn machen Listen, welche Salate sie am besten finden und essen sie dann der Reihe nach auf. Manchmal gibt es nichts Schöneres als unterwegs zu sein und mit den richtigen Leuten am richtigen Ort zusammenzukommen. Als wir uns in unsere Schlafgemächer zurückziehen, spielen wir, daß wir eine WG sind, in der Marius Müller Westernhagen, Tilman Rossmy, Tom Liwa und diverse andere Größen des Deutschrock wohnen und wirken. Heute ist einer der Tage, an denen wir es gut finden, an wunderlichen Orten Auftritte zu spielen und danach ein Matratzenlager zu machen, wo sich alle in einen Raum quetschen müssen. Keine Sehnsucht nach randvollen Hallen und Stadien und noblen Hotelzimmern mit monogrammbestickten Morgenmänteln. Berauscht von Bier, Nähe, Musik, tollen Leuten, dem Buffet und unserer eigenen Albernheit singt uns der Schwoberocker noch seinen Hit Wurschtfescht in Mühlacker und alle machen mit, Mauri wird vom Interpreten persönlich wachgetreten, um mitzusingen. Dann schlafen wir ein und träumen wirr.

26.06. Trostberg - Regensburg (Büro/Bürgerfest)

Aufwachen im Bahnhof, die Laune ist noch immer gut. Josef, der gestern drei oder vier verschiedenen Hemden trug, hat sich mittlerweile auf sein Led Zep-Shirt festgelegt. Es gibt Brötchen, resche (=krosse) Brez(el)n und Eier, Björns ist faul und innen grau, es schmeckt schrecklich, aber trotzdem: Laune bleibt. Duschen und fertigmachen dauert heute ewig, Helmut richtet etwas an unseren Gitarren, Niklas und Björn spielen auf den Zügen auf dem Abstellgleis und posieren wie Pfauen für die Kameras. Wir drücken uns um die Abreise, weil es dermaßen angenehm ist in der Runde. Irgendwann dann eben los, Regensburg ist nicht ganz so weit. Der Veranstalter heißt auch heute wieder Helmut, der Klub ist schön, die Bühne so klein, daß Björn quasi neben ihr steht, durch eine Säule von den anderen abgeschnitten. Was das wohl geben mag. Bei Helmut zuhause essen wir Mousaka, sehen fern und spielen im Garten. Zum Konzert brechen wir in zwei Gruppen auf, die erste kommt irgendwann zurück und holt die zweite zum gemeinsamen Aufbruch ab. Unsere Vorband heißt Starterkid, einer davon ist Spruce, von dem Mawe mal ein Foto gemacht hat (an dem Abend hier im Graz, 2003), auf dem er aussieht, wie eine Schaufensterpuppe. Die beiden spielen 4 Songs, eine Art langsamer Akustik-Emo für zwei Gitarren, sehr hübsch. Wir können danach nicht direkt anfangen - obwohl der Laden sehr voll ist und wir nur den Rahm abschöpfen müssten - weil jetzt das Feuerwerk auf dem Bürgerfest ist, das alle sehen wollen. Pff. Niemand ist mehr im Klub. Wir haben Angst, daß es so leer bleibt. Allmählich kommen aber wieder Leute, Archie Müller, der große, feine Mann sagt uns an. Wir freuen uns, daß er da ist. Er ist eine Art Monument. Ein Denkmal. Er steht für alle Werte und alles, was gut ist an Indie. Er sagt uns an, das zieht den ersten Schub Leute vor die Bühne. Es ist erst nicht leicht, weil wir die seltsame Situation haben, daß Björn weder zu sehen noch zu hören ist für seine Kollegen, außer wenn er in Passagen in denen er nicht singen muß einen Besuch auf der anderen Seite der Bühne abstattet. Wir finden uns einigermaßen rein und es wird immer etwas voller, es macht Spaß. Der Laden ist heiß und voll, aber die Leute bleiben da. Bei 'Wir fangen von vorne an' fällt Björns Gitarre aus und er gebärdet sich wie Henry Rollins im Moshpit, eigentlich fühlen wir uns sehr wohl. Wir geben zweimal Zugaben, als letztes Our Hearts, bei dem der Laden dann richtig voll ist, der bedingungslose Krach, den Stefanie und Mauri ganz stoisch und Niklas und Björn durch reinste Gewalt mit Gitarren machen (besonders Niklas ist heute außer Rand und Band und wirbelt wie ein Zeremonienmeister vor der Bühne umher und verletzt sich die Hand dabei, wie er später feststellt), kommt gut an. Wir waren schon nach wenigen Minuten extrem verschwitzt, jetzt können wir nicht mehr. Mauri und Björn haben klitschnasse Hemden. NASS. So naß, daß sie am nächsten Mittag noch naß sein werden. Ekelhafte Ekstase! Das Konzert hat viel Spaß gemacht, wir sind sehr glücklich, trinken die feinen Sachen, Maracujasaft, Cocktails und warten einfach ab, was passiert. Niklas braucht ewig für die 10-Minuten-Fahrt, in der er den Bus holt, aber tut so, als hätte er sich nicht verfahren. Um ihn nicht zu kränken, fragen ihn die anderen nicht, wo er war. Vielleicht hat unser Träumerle auch bloß eine schöne Blume gepflückt, einen Enzian oder Edelweiß und musste dafür erst etwas kraxeln? Wir bekommen alle Sorten von Freigetränk, die wir uns ausdenken und außerdem so viele Packungen resche Salzbrezeln als Snack und Proviant, wie wir mögen (noch zwei Wochen später werden wir den Proberaum damit vollkrümeln können). So sitzen wir noch vorm Klub und danach noch kurz bei Helmut in der Wohnung, bevor wir uns ins Bett legen und uns wie nach jedem Konzertausflug ärgern, daß er nicht lang genug war. Morgen müssen wir um 8 Uhr weg, Niklas muß unbedingt um 14 Uhr in der Uni sein. Ein schnelles, aufregendes Leben führen wir.