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Winter 2004


19.+20.11.2005 (Burghausen, Augsburg)


Wieder zurück von unserem Ausflug nach Bayern schnell alle Erinnerungen notieren, bevor sie weg sind. In der "Wegwerfgesellschaft" und in Zeiten von "Ekel-TV" und "Gaga-Shows" im "Free-TV" leben auch Erinnerungen auf der "Ãœberholspur des Datenhighways".
Abfahrt nach Burghausen ist 8 Uhr früh, Benni hat leichte Verspätung. Insgesamt größere Müdigkeit, Mauri schläft auf dem Beifahrersitz für mehrere Stunden ein, erst sein zweiter Schlaf auf einer Fahrt (for the record: das erste Mal war auf der Fahrt Genthin-München im Mai), ansonsten sind die ersten Stunden eine Mischung aus soften Witzen, kürzeren Schlafeinheiten und dem Verzehr mitgebrachter Jausen und gelegentlichen Pausen. Die Fahrt läuft besser als gedacht und wir sind viel zu früh in Burghausen, Mauri hat Schwierigkeiten, das Bayerische in dem Tempo zu verstehen, in dem es gesprochen wird und reagiert nach Gefühl mit Nicken oder freundlichem Lachen, sein jeweiliges Gegenüber hat keine Ahnung, daß er kein Wort versteht. Das FZH Burghausen ist eines der von den meisten Bands geliebten bayerischen Jugendzentren in Häusern mit mehreren Etagen. Ohne es empirisch beweisen zu können sind z.B. in Baden-Württemberg viele Jugendhäuser in flachen Bungalows und eher traurige Buden, wo flegelhafte Halbstarke den Turf verteidigen, in Bayern sind es häufig schöne Gebäude, stolze Häuser mit zwei bis drei Geschossen, sauberen Aufenthaltsräumen, Tischfußball (dort genannt: Kickerkasten), Billard und Jugendlichen, die sich so für Stoiber und seine Mischpoke schämen, daß sie Fremden gegenüber (also Nichtbayern), umso höflicher sind und verwundert fragen: was, wenns ihr aus Köln seids, seids ihr dann extra runtergfahrn?. Natürlich; und wir würden es jederzeit wieder tun. Außerdem haben wir auf Empfehlung des Kandidaten Lorenz Limmer an der Wahl zum Jugendrat teilgenommen, der aber, wie sich später herausstellt, zu seinem Vorteil unzureichende politische Aufklärung betrieben hat. Es sei ihm verziehen. Das Essen hat leider zu sehr Snackcharakter, um die ganze Band satt und zufrieden zu machen.
Als erste gehen Monophox auf die Bühne, alte und liebe Freunde aus Dackelzeiten, die in den vier Jahren seit die Freundschaft besteht interessanterweise kein bißchen gealtert sind; sehr erstaunlich. Der Mischer legt sich nicht über Maßen ins Zeug und füllt den kleinen Raum statt mit ausgewogenem Klangbild mit brechender Lautstärke, daß es leider schwer ist, ohne Kopfschmerzen zu bekommen die schönen Songs aus dem Lärm herauszuschälen. Erich wird die Band verlassen, es ist schade.
Als nächste sind Freizeit 98 dran, Markus betont häufig, daß er erkältungsbedingt Probleme mit seiner Stimme hat, aber eigentlich merkt man nichts, vielleicht ist es nur ein Schwindel? Die Band ist gut, die Songs auch, außerdem kurz, was ja den Vorteil hat, daß die ganze Zeit was passiert.
Das Publikum ist bei den ersten beiden Bands noch zurückhaltend, es unterkühlt nennen wäre zu wertend, obschon es rein temperaturbedingt jedes Recht hätte, dies zu sein. Wir machen ganz normal, was wir immer machen. Björn hat zum ersten Mal seit seinem Anfall im Sommer ein Glas Rotwein getrunken. Im Publikum sind die obligatorischen zwei 'nicht reden, spielen'-Brüder. Sie langweilen uns und professionell schmettern wir ihre Einfallslosigkeit mit einer Mischung aus Haß, Häme, Härte und Nichtbeachtung ab. Es macht mit jedem Song mehr Spaß, zu spielen, vor der Bühne ist es voll, die Leute haben gute Laune, wir ebenso, der Raum birst beinahe vor Coolness. Um 24 Uhr fangen Monophox an, Björn ein Geburtstagslied zu singen, das Publikum macht mit und der charismatische Frontman des vielversprechenden Rockacts ist vor Rührung nahezu sprachlos, beim anschließenden 'Stefanie Sagt' ringt er mit den Tränen. Wegen eines Drüsendefekts, behauptet er bei der späteren Pressekonferenz. Da wir nicht dachten, daß nach 'Our Hearts...' noch jemand möchte, daß die Band noch einmal auf die Bühne kommt, gehen wir einigermaßen unvorbereitet und mit vom Gitarrenmassaker verstimmten Instrumenten in unsere Zugaben, retten uns aber dezent und müssen mit Nachdruck beteuern, daß jetzt Schluß ist. Die Burghausener sind äußerst liebenswert, die Aftershow ist toll, es gibt viele Küsse und Glückwünsche wegen Geburtstag und Konzert. Freizeitgerhard fährt seine Geschwindigkeit durch das viele getrunkene Bier herunter und seine Laune hoch. Am laufenden Band lädt er uns nach München ein in seine Wohnung, in der die Dackel 5 letztes Jahr schon schlafen durften. Durch eine zusätzliche Couch hat Gerhard nun mittlerweile sowohl mehr Komfort für die Gäste als auch größere Unabhängigkeit von seinem Mitbewohner.
Irgendwann aufräumen, verabschieden und ins Elternhaus von Freizeitmarkus fahren. Komfortable Unterbringung, allgemeines Hochgefühl. Die Nacht ist gut.
Samstag früh hat Björn kurz schlechte Laune: die Warmwasserversorgung ist nicht optimal und der kontrovers diskutierte Entertainer und Rocksänger aus Köln muß kühl duschen, was er so sehr haßt wie die Unehrlichkeit und Gottlosigkeit in der Wegwerfgesellschaft. Aber seine Geburtstagsgeschenke einerseits und der von Andi und Markus hingebungsvoll vorbereitete Frühstückstisch (inklusive Backbohnen, einer Melone und den von Benni beim Burghausener Catering vermißten und angemahnten kleinen Bananen) andererseits drehen seine Laune innerhalb weniger Sekunden. Die Locas-Vorhut mit Niklas, Stefanie und Björn ißt rauhe Mengen, ihre berühmte Bescheidenheit finden sie angesichts des Angebots heute selber völlig uninteressant. Die "Gammel-Twins", wie Mauri und Benni von vielen Fans gerufen werden, kommen später dazu und machen sich Stullen mit den Resten der anderen. Bis zur Abfahrt nach Augsburg ist noch viel Zeit, die mit dem Fernseher totgeschlagen wird. Im ersten Programm kommt eine Art Märchenfilm, völlig unverständlich und abgedreht, zusammenhanglose Fischhunde, die derangierte Prinzessinen spazierenreiten, die wiederum Jagd auf irreführend durch ein Höhlenlabyrinth schwebende Liliputaner machen. Wir kommen uns vor, als hätten wir Drogen genommen und Lachen aufgekratzt. Die ORF-Serie 'Meine Familie – voll peinlich' (sinngemäß) ist hingegen in einem Maße verwirrend und zusammenhanglos, daß es eher traurig und enervierend ist. Markus Eltern, vor deren elterlichem Ãœberengagement er uns mehrmals gewarnt hat, finden wir spitze. Sein Vater erzählt eine Schote, in der Peter Maffay (eine Art sehr entfernter Bekannter der Familie) auftaucht und seine Mutter schenkt uns eine Tüte Obst.
Die Fahrt nach Augsburg ist kurz und unspektakulär, wir hören eine in Burghausen gefundene ALF-Kassette, auf der der "pelzige Außerirdische vom Planeten Melmac" die deutsche Sparche und ihre Dialekte zusammen mit der Computerstimme ILF erkundet. Das Ganze ist ein unerträglicher Mix aus Tommi Pipers anstrengenden Mundartwitzchen und Songs, die ALF singt, die so lieblos getextet sind, wie die Dance-Stomper vom Mo-Do, falls man sich noch an den italienischen Sänger erinnert. ALF singt zB 'Bahn und Post machen blau und gehen zu Alfis Superschau', dann der Chor: Al-Fi! ALF ist unser Superstar. Wir schalten bald aus. Und machen stattdessen TKKG an, ein weiteres Fundstück aus Burghausen. Ob es jemals aufhört, daß man TKKG für ihren Sexismus, ihre Stumpfheit und Boshaftigkeit haßt? TKKG könnte man als eine Art fiktiven Action-Detektivflügel der Jungen Union bezeichnen. Ähnliche Weltanschauung, nur weniger geschwätzig. Tarzan haut direkt zu und ersetzt anstrengende Ermittlungen durch Denunzieren, Einschüchtern und rohe Gewalt.
In der Kantine sind wir natürlich die ersten. Wir spielen mit den Flippern, Addams Family und Twilight Zone, als Anajo dazukommen. Die Begrüßung ist voller Zärtlichkeit, gegenseitigem Respekt und aufrichtiger Freundschaft. Essen vom Bringdienst. Weil Anajo in Augsburg ungefähr so sind wie die Beastie Boys in New York oder DJ Tomekk überall, wo es darum geht, Possetracks zusammenzuschustern, also eine Institution, an der keiner vorbeikommt, ist die Kantine ausverkauft. Schön dabei ist, daß es gerammelt voll ist, anstrengend, daß so viele Leute in bester Laune ein Konzert zu einem Kampf gegen die Plauder- und Feierlaune des Publikums machen können. Freizeit 98 eröffnen und sind ganz außer sich, als sie von der Bühne gehen, wir haben sie leider nur halb aus dem Backstageraum miterlebt, es ist zu voll, um entspannt zwischen dieser wegen ihrer Ruhe und Intimität für uns Künstler geeigneten Zone und dem normalen Klubbereich hin- und herzupendeln. Der Eindruck ist, daß sie es gut gemacht haben.
Die Bühnenmodule sind nicht formvollendet, weshalb zB Björn auf zwei separaten Würfeln steht, die ein klein wenig wackelig sind, ansonsten ist es schön auf der großen Bühne und wir haben uns so aufgestellt, daß Mauri nicht verdeckt wird. Das Publikum ist gleichermaßen euphorisch und voller Jubel wie auch unaufmerksam und pardylaunig. Der Bühnensound ist schwierig, wir haben keine Ahnung, wie es beim Zuschauer klingt, was wir auf der Bühne spielen. Vermutlich in Ordnung. Björn bekommt heute ein liebevolles Raunen und Ansätze von Gesang zum Geburstag, Niklas macht eine Art Indierock-La-Ola (er bittet Steffen, der das Konzert abmischt, mehr Publikum auf seinen Monitor zu bekommen, worauf das Publikum (man muß sagen: ziemlich smart) reagiert mit etwas lauterem Jubeln) und bei seinem neuesten Hit wird der Takt mitgeklatscht. Es sind viele Handys in der Luft, mit denen Fotos gemacht werden, gottseidank sind es keine Laserwaffen. Um zu schocken, gehen wir natürlich mit 'Our Hearts' von der Bühne. Das Publikum ruft Steffi! Steffi!-Sprechchöre. Vom kompletten Konzert gibt es schöne Fotos auf <a href="http://www.roteraupe.de">roteraupe.de</a>, auf denen Björn zb aussieht, als würde er gleich explodieren und Niklas, als wäre er vom Teufel besessen. Außerdem war endlich mal jemand so feinsinnig, unsere Bodeneffekte und Hardcases zu fotografieren.
Anajo sind danach eine Art Ãœberband, sie erinnern an Kiss und Pink Floyd in der Weise, wie das Publikum wie mit einem Zauber belegt verrückt spielt zu ihren Tunes. Jockel, ihr Manager und Booker läuft mit traurigem Gesicht durch die Kantine: er ist ratlos und weiß überhaupt nicht, wohin mit all dem Geld, das sie heute abend einnehmen werden und schenkt deshalb jedem Zuschauer zum Abschied 100 Euro. Die Fans wiederum flippen deshalb derart aus, daß sie 200 Euro am Merchandisetisch ausgeben. Merchandisetisch heißt im Falle dieser eindrucksvollen Newcomer wohl eher mobile Boutique: in der jugendlich-charmant mit einem Touch vom Karibik eingerichteten Ladefläche eines Lastwagens verkaufen sie all ihre Fanartikel: Schmuck, Regenschirme, Meerschaumpfeifen und Replika ihrer ersten goldenen Schallplatte; für die Fans, die sich für den neuen Anajo-Jogginganzug interessieren, haben sie Umkleidekabinen bereitgestellt. Wir kaufen uns alle edelsteinbesetzte goldene Anajo-Armbanduhren und lassen uns mit der Band fotografieren.
Nach dem Konzert geht es endlos weiter. Es dünnt mit der Zeit ein wenig aus und im großen Raum, wo jetzt DJ-Action ist, kommen bierselige Evergreens zum Schunkele, zB. die perfekte Welle oder Selig. Da Björn und Niklas unter den ca. 600 Anwesenden vermutlich die einzigen sind, die nahezu nüchtern sind, werden die ungleichen Brüder mit Hang zum Grüblerischen immer ernster und verschlossener. Sie denken viel nach über die Wegwerfgesellschaft. Irgendwann am Morgen schließt die Kantine und mittlere Häufen Schutt werden auf dem Boden zusammengekehrt, es stinkt nach Essig, kaltem Zigarettenrauch und verfeierten Menschen, leider nicht wie uns versprochen wurde nach frischgebackenem Brot. Die Nacht verbringen wir aufgeteilt auf Steffens und Michis WGs. Von Freizeit 98 verabschieden wir uns noch am Abend. Gerhard lädt uns erneut nach München ein, wir beginnen zu verstehen, daß es eventuell mehr Drohung als Einladung ist. Da Andi und Markus es mißverstehen könnten, wenn wir sie küssen, drücken wir ihnen, obwohl hier eine Menge Gefühle im Spiel sind, gleichsam männlich und zärtlich ihre Künstlerhände zum Abschied.
Sonntag machen wir ein Frühstück mit Jockel und Steffen, die anderen Anajos sind kaputtgefeiert, Oliver etwa hat die zweite Hälfte des Abends mit angetrunkenen, halb geöffneten Augen verbracht, was traurig und geheimnisvoll wirkte an dem begabten Gitarristen, dessen Markenzeichen sonst stets seine strahlenden, weit aufgerissenen Augen sind. Weil Stefanie und Björn sich selbst ein Geldausgabeverbot auferlegt haben, müssen ihnen die anderen vom Frühstücksbuffet Sachen klauen, die sie heimlich unter der Tischplatte in mundgerechte Stücke reißen und sich in Momenten in den Mund stecken, in denen keine Bedienung etwas davon sehen kann. Man merkt es ihnen an: sie waren schon in der Schule Lausebengel erster Kajüte, daß selbst Pepe Nietnagel mit den Ohren schlackert. Ein Abschied unter der Augsburger Wintersonne, ein letztes Mal singen alle zusammen das Pfadfinderlied 'Nehmt Abschied Brüder, ungewiß'.
Die Heimfahrt ist zäh, da lang. Ein drittes Hörspielfundstück ist das Schloß-Trio, eine mindestens dreiteilige (wir vermuten: gefloppte) Serie von Red Geller, die sich in solider EUROPA-Hörspielqualität, aber auch pointenfrei und inkohärent geschrieben im oberen Durchschnitt einfindet. Sonst passiert wenig.
Vielen Dank an das komplette Anajo-Kompetenzteam, Oliver, Michi, Ingolf, Jockel, Steffen und Franzi, an Markus (samt Eltern), Gerhard und Andi von Freizeit 98 und an alle, die da waren und zu diesem großartigen Wochenende beitrugen. Bis bald.


8.-10.12.2004 (Magdeburg, Chemnitz, Berlin)


Als wir letzte Nacht auf der A13 den Nebel von Chemnitz hinter uns ließen, schien es, als würden wir eine andere Wirklichkeit verlassen, in der wir die letzten Tage verbracht hatten. Vielleicht liegt es an dieser Erleichterung, dass wir in jenen Stunden wohl die einzigen Menschen waren, die in kurzer Folge Simon & Garfunkel und Rage Against The Machine Lieder sangen während draussen Berlin immer näher rückte. Ach, Berlin. Chemnitz war schrecklich kalt und der Nebel der auf diese Stadt nieder drückte kam direkt aus der Trickkiste von Horrorfilmmachern. Viel zu früh in dort angekommen, und nach einem deprimierenden Ausflug in eins dieser modernen Einkaufszentren, hatten wir auf einem Parkplatz Breakdance geübt, leider keine Mülltonne zum Anzünden gefunden, statt dessen vor dem Karl Marx Monument posiert und uns über die Frisur des alten Steingesichts mokiert. Wenig später saßen wir im Café Moskau, einem völlig unwirklichen Billiard & Kuchen Café, in dem man hinter jeder Ecke - oder an jedem der 36 ungemein gepflegten Billiard Tische - russische Agenten vermutete. Weit wirklicher wirkte da das Subway To Peter, in dem seit neun Jahren Bands aus aller Welt einkehren. Street Punks aus Israel, die das Duschen konsequent verweigern, übermotivierte Brasilianer und ein persönlicher Freund von Ricky Ramone. Und nun wir, die wir offensichtlich weder ungeduscht noch tätowiert genug waren, um mehr als ein höfliches Klatschen und die nachträgliche Entschuldigung für eben diese Zurückhaltung zu gewinnen. Ähnlich unwirklich war es am Abend zuvor in Magdeburg, einer Stadt, die uns nicht bloß von den guten Geistern sondern eigentlich allem verlassen schien. Inmitten brach liegender Strassen hieß uns dort Mikro willkommen, der das Mikrokosmos so betreibt, wie ein Club betrieben werden sollte. Tolles Essen für die Bands, ein prima DJ vor dem Konzert und allgemein eine recht freundliche Behandlung. Trotzdem war es unser bislang einsamstes Konzert überhaupt. Ein weiterer Grund sich über all die Mails von Menschen zu freuen, die heute Abend in die Garage Pankow kommen wollen, uns zu beweisen, dass wir nicht endgültig in einer Schattenwelt angekommen sind, in der die Welt, die man zu kennen glaubte nur noch schemenhaft zu erkennen ist.
Guten Morgen Berlin, und, weißt Du, es ist schön mit Dir. Ein paar Meter weiter liegen Steffi und Björn und stellen erstaunt fest, dass sie beide von Benny geträumt haben. Benny, der gestern plötzlich auf der Bühne stand um das Ende von "Rette Unsere Seele" zu singen. So wie ein paar Minuten später das Publikum "Lovesongs Gegen Das Schweinesystem" gesungen hat als hätte es zuvor geschlossen geübt und sei gerade erst von der Chorprobe zurück. Dabei war es nur Peer, der von der Gesangprobe durch die Berliner Nacht geeilt war, um gerade noch pünktlich mit seiner Bratsche auf die Bühne zu kommen als wir bereit waren uns zu "Our Hearts & The Real World" in Feedback fallen zu lassen. Und ungefähr während dieses Stückes, während Steffi den Bass lauter drehte, während Mauri wütend schreiend auf die Snare starrte, die schon beim zweiten Stück versagt hatte und Björn wie von Sinnen um sich brüllte waren Locas In Love die glücklichste Band auf der Welt. Und weil sich Glück nicht weiter erklären lässt können wir nur nochmal Danke sagen. Danke Lisa für das super gemischte Konzert, danke Annette und ihren Kolleginnen und Kollegen in der Garage Pankow deren Namen wir leider vergaßen. Danke Beautiful Kantine Band, danke Sebastian für die Musik nach den Konzerten, ach, einfach: Danke, alle.

Jahresabschluß: 17.+18.12.2004 (Reichenau, München)

Aufbruch wie üblich, vielleicht nicht ganz so früh wie sonst, aber da wir nicht wie letzte Woche das Auto durch selbstausgedachte Reparaturmethoden lahmlegen, sind wir im Plan. Obwohl Mauri einst von sich behaupten konnte, in fahrenden Autos nie zu schlafen, hat er mittlerweile ein System entwickelt, elegant auf seinem Sitz in sich selbst zusammenzufallen und die Stunden nachzuholen, um die den Slacker aus Überzeugung seine Band bringt. Wir machen weniger Pausen, stehen dafür mehr im Stau als sonst, zB bei Stuttgart. Als wir ankommen, macht die Kantineband wieder ihren auf Probelänge ausgedehnten Soundcheck, was uns heute aber gelegen kommt. Wir fühlen uns wie an der Nordsee, die Kurorthaftigkeit und gespürte Nähe großer Wassermassen macht es. Draußen wächst nach und nach eine Art Orkan zusammen, Stephan, der Chef der Kneipe, fürchtet, daß seine Gäste bei diesem Wetter zu Teilen zuhause bleiben werden. Das Bütezettel wird von einem Brüderpaar betrieben, die sich im Gegensatz zu den Klitschkos nicht sehr ähnlich sehen. Auch sonst haben sie mit den vergnügten Boxern nicht sehr viel Ähnlichkeit. Wir essen Käsespätzle bzw. Niklas und Mauri bekommen eine Art Schweinelendle und Krokettle und endlich bekommen wir mal ein Salätle vorneweg, ein besonders gutes obendrein. Viele Veranstalter vergessen, wie wichtig gutes und gesundes Essen für Bands ist, für sie ist leider Nahrhaftigkeit Top-Priorität. Zwischen Essen und Auftritt gehen wir in unsere eine Gehminute entfernte Pension. Wir haben eine Suite, zwei Zimmer, die miteinander abschließbar verbunden sind und eine kleine Küche. Steffi und Björn bekommen das Zweierzimmer, Mauri, Niklas und Benni das Dreierzimmer mit Kinderbett; sollte einer von ihnen diese Nacht werfen, kann das neugeborene Kind direkt gemütlich liegen. Das schönste sind für uns die Fernseher und die Programmvielfalt. Wir sind total entspannt und versucht, kein Konzert zu spielen, aber die Gewohnheit treibt uns auf die Bühne. Es ist in der Tat nur höflich gefüllt, aber das Publikum tut, als sei es mindestens doppelt- bis dreimal so viel wie es eigentlich ist. Björn bekommt für seine Getränke ein elegantes Beistelltischlein auf die Bühne und wir hangeln uns durch eine sehr schöne Show. Die Leute sind aufmerksam, höflich, gutgelaunt und eines der besten Publiki, vor allem gemessen an ihrer, äh, Manpower, also Anzahl, das wir in letzter Zeit hatten. Die Kantineband hat ihre Instrumente extrem laut, weshalb ihr Gesang eher wie eine gut einstudierte Pantomime wirkt. Ihr Auftritt geht sehr lange, wir trinken heiße Schokoladen und alles, was wir sonst von den liebenswerten Brüdern hingestellt bekommen. Wir brechen unseren Merchandiserekord zumindest in der Relation 'dagewesene Leute-verkaufte Dinge' eindrucksvoll. Eine Mutter bringt ihrer Tochter unsere Platte und ein Hemd mit, das wird dann, sagt sie uns, unter dem Weihnachtsbaum einen Platz zwischen den Toten Hosen und Juli bekommen. Wir wüßten gerne, wie wir uns letztendlich auf diesem Platz machen, den wir sehr gut finden.
Zurück im Hotel S'Hobelbänkle sehen wir fern, wie Thomas Gottschalk bei Leuten am Tisch sitzt und eine Guggenmusik gespielt wird, dann sagt der goldgelockte Showmaster: ich habe auch was vorbereitet, ich komme ja mehr vom Pop und daher... dann kommt DJ Ötzi in den Raum, johlt einen seiner kolossalen Stomper und serviert röhrend und rülpsend irgendeinen Schnaps. Das würde mir persönlich vielleicht gar nicht so gut gefallen, wenn DJ Ötzi jetzt in unsere Suite liefe, weil wir aufgedrehte Späße machen, die auf Fremde vermutlich schlechte Wirkung zeigen würden. Wir sehen also fern bis spät in die Nacht, duschen und fotografieren uns gegenseitig halbnackt. Mauris wiederentdeckte Polaroidkamera ist defekt oder der Film zu alt, die Fotos, wo die komplette Band sich nackt auf dem Bett aalt, werden daher für immer ein modernes Märchen bleiben. Der Abend war großartig. Stephan (von den Klitschkos) hat jedem von uns ein Päckchen Radieschensaat geschenkt und eine Landkarte der Bodenseeregion. Damit werden wir Reichenau wiederfinden. Bitte buchen Sie schon mal die Suite im Hobelbänkle.

Diszipliniert wie wir sind, stehen wir zeitig auf. Das Frühstück ist gut. Es gibt die üblichen Frühstücksflocken, Brötchen und Eier, aber daß es das alles gibt, ist eigentlich eher unüblich. Wir essen viel, vor allem Eier. Wir interessieren uns für den sogenannten Eierschock, eine Art geiler Drogenflash, der durch starken Eiergenuß eintreten kann. (Nicht verwechseln mit der gefährlichen Eiervergiftung, einer klassischen Überdosis, nur eben mit Ei.) Beim Verlassen des Bodenseeterrains plant Benni, mal eine kleine Reise hierhin zu machen. Er weiß noch nicht, ob er sich eine Woche in derselben Pension einmieten soll und dort im Frühstücksraum auf interessant machen will, oder ob das Prinzip seines Urlaubs sein soll, jeden Tag eine frische Pension zu beziehen. Wir fahren einen kleinen Umweg, Benni will seinen Cousin besuchen, der sich nach einem schrecklichen Verkehrsunfall jetzt in einer Rehaklinik erholt. Während des Besuchs gehen wir anderen am Rhein spazieren. Schaffhausen ist nur 9 Kilometer entfernt. Wir wollen hin und zu Oliver ins Studio. Wir beschäftigen uns mit Steinen, die wir erst nur unmotiviert ins Wasser werfen, dann entdeckt Niklas ein Sprungbrett im Fluß, das im Sommer zu einer Art Freibad gehört. Er will einen Damm bauen, um die ca. 2-3 Meter Wasserweg zum Sprungbrett trockenen Fußes zurücklegen zu können und auf den Turm zu klettern. In seiner charmanten affenhaften Art will er auf alles klettern, was mindestens die doppelte Höhe seines eigenen stolz gewachsenen Körpers hat. Seine Freunde unterstützen ihn und sammeln ebenfalls affenhaft schöne große Steine. Leider gibt es nicht genug davon, das Bauvorhaben wird zunächst auf 2005 verschoben.
Die Fahrt nach München ist so wie alle Fahrten. Wir sitzen im Auto und erzählen uns gegenseitig, welche Süßigkeiten wir gerne essen und was wir uns heute abend zu essen wünschen.
In München angekommen, werden wir so empfangen, daß wir glauben, wir seien gestorben und jetzt im Paradies. Es gibt ein kaltes Buffet, an dem die dicken weißen Bohnen liegen, von denen Niklas seit zwei Wochen träumt. Der Soundcheck verläuft nicht reibungslos, irgendwas stimmt nicht und brummt. Danach ziehen wir uns zurück in unsere Künstlerwohnung, eine Art Jugendherbergsflur. Essen, rumhängen, Interviews und irgendwann nach gegenüber ins Orangehouse, wo uns der Raum auf einmal entsetzlich groß vorkommt. Die Befürchtungen der Veranstalter sind eingetroffen und weil gestern von denselben M94,5-Leuten die Jahresabschlußparty war, ist ein Teil des Stammpublikums nicht heute noch zu einer zweiten Feier derselben Leute in Folge bloß mit Band gekommen. Daher ist es erschreckend leer. Die Leute sind dafür verblüffend höflich. Vielleicht sind sie müde, vielleicht haben sie auch Mitleid mit uns, ihre Zurückhaltung ist jedenfalls auf hohem Niveau. Es wird zwar schon zugehört und geklatscht, aber wir schaffen es nicht, daß zwischen uns und ihnen etwas passiert, so wie gestern etwas zwischen uns und den Reichenauern passierte. Unsere Technik ist zudem heute einmal wieder gegen uns, was lange nicht mehr vorkam und macht uns noch hilfloser. Es ist ein kräftezehrendes Konzert, sehr anstrengend. Erst gegen Schluß wird alles ein wenig lockerer, wir finden halbwegs zusammen und spielen ein schönes letztes Drittel. Es ist eben einer dieser Abende. Schade, daß das gerade passieren muß, wenn der Rahmen so schön ist, das Essen gut, die Behandlung angenehmen und die eigene Stimmung auf dem Höhepunkt. Whatever. Sehr schöne Fotos vom Konzert haben die In-Foto-Styler von roteraupe.de geflasht (typ. Szenejargon).
Der Abend wird noch sehr lang, wir haben Gäste auf unseren Zimmern: Su und Jonas. Jonas versucht, seine verrückten Ansichten zu erklären und Su ist von einer Mischung aus Erkältungsmitteln und Unmengen süßen Alkohols völlig überdreht. Benni ist eine Art moderierender Daddy O, der die Runde mit Gewandheit und interessenten Zwischenfragen strukturiert, seine Begeisterung für Florian Silbereisen, von dem er auffallend häufig als einen der letzten großen Entertainer in Peter Alexander-Tradition (kann moderieren, singen, tanzen UND imitieren) spricht, hat auf ihn abgefärbt, er selber ist mitlerweile ein talentierter Moderator. Wird der gepflegte Sohn des Bürgermeisters etwa der "neue Kerner"?
Am nächsten Morgen liegt wunderschöner Neuschnee. Niklas, Steffi und Björn sind wie üblich als erste wach und gehen spazieren. Brötchen finden sie keine, alle Bäcker haben zu, erst später, als sie mit dem Auto losfahren, bekommen sie welche beim selben Bäcker wie letzten Mai. Alles, was nicht angenagelt ist, wird zum Frühstück aufgegessen. Benni macht ein angewidertes Gesicht mitten in einer konzentrierten Kaubewegung. Ihm ist übel. Zwischen Niklas und Björn entbrennt eine quasi blutige Scheeballschlacht, die einen hochinteressanten Charakter zwischen zärtlicher Homoerotik und garstigem Vernichtungskrieg hat. Wir legen noch Schneebälle ins Eisfach für die nächste Band und verlassen München. Die Fahrt wird lang, wir sind müde und unser Konzertjahr ist vorbei. Vielen Dank für alles.