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An American Night With Locas In Love (Januar 2009)
Welcome to the white house, President Locas!
Aufgeschrieben von Björn, Erstveröffentlichung als täglicher Blog bei musikexpress


Vorrede an die Academy:

Lieber Leserin, lieber Leser, hallo me-Fans

der Bereich 'online' wird heutzutage meistens vernachlässigt. Doch die Band Locas In Love und die Zeitschrift Musikexpress (me) finden, daß dort ein großes Potential schläft und wollen es deshalb zusammen ausschöpfen. Entgegen der Meinungen der meisten Leute, Mediendienstleister (Print, TV, Funk usw) und Plattenfirmen glauben wir eben nicht, daß in ein paar Jahren schon keiner mehr vom Internet spricht, sondern daß das Gegenteil eintreten wird und begeben uns forsch auf die Überholspur.
Wir (LIL) sind seit Samstag in New York (NYC) und bleiben für zwei Wochen hier. In dieser Zeit (t) werden wir regelmäßig und exklusiv für musikexpress (me) berichten, was wir erleben. Auf unserem Programm steht eine kleine Tour von 5 Konzerten durch Städte an der amerikanischen Ostküste (East Coast), eine Ausstellung zum Thema Monster, in der Stefanie auch etwas ausstellen wird (eine Art Diptychon mit Musik). Außer diesen Dingen planen wir Ausflüge, Tourismus und Rumhänge-Aktivitäten, von denen wir hier erzählen werden. Wir hoffen, Sie alle werden viel Freude an unserem Reisebericht haben. Herzlich willkommen in der Welt des Web,

Björn Sonnenberg für Locas In Love


   

TAG 1 & 2, 10. / 11.1.2009 Köln – Frankfurt – New York – Brooklyn

 

Wir fliegen diesmal nicht direkt von Düsseldorf, sondern von Frankfurt, weil wir so gelangweilt von der LTU sind. Wir fliegen mit Delta in einem Flugzeug, das ganz leicht altertümlich wirkt – ich verstehe einiges von Flugzeugen, da ich erst vor wenigen Tagen mein Revell-Modell einer Aer Lingus-Maschine fertiggestellt habe. Aber es ist nur der Schein, die 'Maschine' bringts. Wir haben jeder einen eigenen Fernseher mit einer sehr guten Auswahl, selbst der neue Film von Woody Allen läuft, obwohl er noch Kinomaterial ist. Die Zeiten, wo auf einem Schirm in der Mitte des Flugzeugs 'Eine Familie namens Beethoven' und 'Der Duft der Frauen' gezeigt wird, sind endlich vorbei. Selbst das Essen ist in Ordnung. Sonst bekommt man als Vegetarier eine Lasagne mit eitriger Soß, heute bekommen wir Ratatouille, Reis und blanchierten Spinat, als Snack später noch ein Sandwich mit Pesto und gegrilltem Gemüse. Die anderen bekommen Chicken or Pasta und später eine Pizza, die wie ein Scherzartikel aussieht. Selbst wenn man Fleisch ißt, ist man verrückt, im Flugzeug nicht das vegetarische Essen zu nehmen, es ist IMMER besser und bekömmlicher als der überbackene Schrott, den man sonst kriegt.
Das Eindringen ins Land ist eine Geduldsprobe, wir stehen etwa zwei Stunden blöd in einer Schlange am Zoll herum. Es gibt eine neue Regelung, daß von jedem, der ins Land kommt, am Schalter eine Karikatur angefertigt wird von einem Montmarte-Zeichner, deshalb dauert es so lang. Bei der Autovermietung dürfen wir uns aus sechs verschiedenen eines aussuchen, wir nehmen einen überporportionierten Minivan von Chrysler, der innen wie ein Raumschiff aufgebaut ist. Wir fahren ins Haus von Julie und Sam, dem Ort, wo wir vor etwa drei Monaten große Teile unseres Albums WINTER aufgenommen haben. Sie haben gute Fortschritte an der Hausfront gemacht, es stimmt schon nicht mehr mit dem Satellitenbild von googlemaps überein, so sehr haben sie es weitergetrieben.
Mittlerweile ist alles von Schnee überzogen, ein großer Schneesturm setzt in exakt dem Moment ein, in dem wir das Delta-Terminal verließen. Die beiden haben sich verspätet, deshalb gehen wir nach nebenan ins Gasthaus 'Northeast Kingdom', das ein wenig an den Film 'Blue Velvet' von David Lynch erinnert, wenngleich ich nicht mit dem Finger darauf zeigen kann, worin genau die Ähnlichkeit besteht. Später laufen wir die Flushing Ave. entlang durch den Schnee, Mike und Michelle geben eine Willkommensfeier für uns, es gibt ein Bier, das 'Dead Guy' heißt, auf dem Etikett ein fröhliches Skelett. Sie haben drei Katzen, von denen zwei geformt sind wie Eier oder Barbapapa.
Am Sonntag liegen noch Schneereste und die Sonne scheint. Der Schnee ist zwar zu Eis verkrustet, aber es sieht wunderschön aus, wir nutzen es für einen Gang durch den Central Park, fangen aber viel weiter oben an als gewöhnlich. Dort sind die Wege kaum geräumt und viele Stellen sind unberührt, keine Spuren, niemand scheint hier gewesen zu sein. Es ist glatt und herrlich. Wir sehen Eichhörnchen und Vögel mit knallroten und blauen Köpfen, die alle in einem bestimmten Baum sitzen und klappernde Geräusche machen, wenn sie versuchen, die gefrorenen Beeren zu essen.
Nach einem Mittagessen laufen wir weiter durch Manhattan, einfach nur um touristisch in den Rhythmus der Stadt zu finden. Am Times Square werden wir dazu überredet, Tickets für five star comedy zu kaufen, die von 15 auf 10 Dollar runtergehen. Der Verkäufer hat als Ansprech-Gag 'hey, do you like Japanese opera?'. Wir: 'we don't really know, maybe'. Er: 'good thing I don't sell tickets for Japanese opera but for the funniest comedy in town!'. Wir bekommen am Ende sogar seine Telefonnummer, die Niklas unter 'Comedy Stefan' abspeichern soll. Und auch tut. Wäre es wohl in Ordnung, sie hier zu veröffentlichen, damit alle, die dies lesen, ihm eine SMS schreiben können? (Ich denke schon, probieren wir es doch: +19177339167. Niklas) (Nachtrag im Februar: hat mal jemand Kontakt zu ihm aufgenommen?)
Wir sehen eine riesige Demo gegen die Vorgänge in Palästina, ein Transparent sagt 'I Love Gaza', was eigentlich ein schöner Ansatz für eine Demonstration ist. Nicht immer nur ausdrücken, wogegen man ist, sondern stattdessen betonen, was man liebt. Es sind bestimmt tausende von Menschen. Vor zwei Jahren erlebten wir einmal eine Anti-Bush-Demo mit und eine Passantin, die neben mir lief, aber nicht an der Demo selber mitmarschierte, murmelte vor sich hin: 'kill the motherfucker'.
Den Rest des Tages laufen wir herum, trinken etwas Heißes, kaufen Handschuhe und warme Strümpfe und kehren nach Bushwick zurück, wo Sam und LD eine Probe halten. Niklas geht mit LD noch ins Life Café, aber ansonsten klingt der Tag aus wie ein schöner Sonnenuntergang, friedlich, ohne Überraschungen und sanft.


Björn, Sam, Julie und Stefanie in der Küche.
 
   

TAG 3, 12.10.2009, Bushwick - Williamsburg – Manhattan

 

Zusammen mit Niklas habe ich gestern abend noch Corn Dogs besorgt. Eine unterschätzte Delikatesse, die trotz der grundsätzlichen Frittierbereitschaft oder sogar Frittierfreude der Deutschen an sich nie den Weg in unser Land gefunden hat. Da wünscht man sich die Band Slime zurück, auf daß sie BRD, USA, SA und SS nochmal einen Song zu genau diesem Thema entgegenschleudern, der sich sinngemäß daran abarbeitet, daß die Yankeebonzen die ganze Welt mit ihrem Einfluß überziehen, aber das, was wir eigentlich von ihnen wollen, behalten sie bei sich: die Corndogs etwa. Es ist ein Wienerle (Wiener Würstchen, Saitenwürstchen, Bockwurst, Frankfurter Würstchen usw), das auf einen Stock gesteckt wird wie der abgeschlagene Kopf eines verfeindeten Stammesführers oder ein Schleckeis wie Himbi Spezial oder Nogger, dann kommt ein Mantel aus einem Maismehlteig drumherum, das ganze wird kurz fritiert (in unserem Falle gebacken) und fertig ist das Kleinod für Leckermäuler ohne Berührungsängste. In den USA ist man, was fleischlose Nachahmungen von Fleisch angeht, ohnehin so viel weiter, es ist förmlich die Zukunft, die hier bereits angebrochen ist. Selbst wenn in den letzten Jahren auch in Europa eine gute Entwicklung stattfand und Anbieter wie Quorn tolle Leistungen in Sachen Wurst und Filets bringen (auch wenn in der Außenwahrnehmung der Vegetarier am liebsten 'Bratling mit Salat' ißt), ist es eine Sensation, wie gut hier Fleisch in Textur, Look und Geschmack pflanzlich nachgebaut wird. Ein Exkurs, der zugegeben keine größere erzählerische Absicht verfolgt und an den Anfang gestellt evtl. etwas unverständlich Abschreckendes hat wie die Theaterkonzeption von Bertolt Brecht.
Frühstück also mit Corndogs und Bagels, Niklas verspeist zwei und ich mache schöne Fotos von meinen beiden Freunden mit der phallischen Mahlzeit. Mit unserem riesigen Auto fahren wir zu LD, er wohnt quasi um die Ecke, und sammeln ihn ein für einen gemeinsamen Ausflug. Er bringt uns ins Café Fabiane's auf der Bedford Ave in Williamsburg, es gibt Baked Eggs (was in Osteuropa und –deutschland auch gerne 'verlorene Eier' heißt) und kleine Kuchen.
Danach gehen wir Platten kaufen, wir suchen nach The Glove, der Band von Robert Smith und Steven Severin von Siouxsie & the Banshees, scheinbar gab es davon eine Neuauflage. Wir bekommen sie nirgends und kaufen stattdessen andere Sachen, Niklas zB eine Schallplatte mir Radio-Re-Enactmens von Geschehnissen im zweiten Weltkrieg, die den Radiohörern im Zeitalter vor Fernsehen veranschaulichen sollten, was vor sich geht. Boyd Rice wird zornig sein, daß er ihm diesen Fund vor der Nase weggeschnappt hat. Er liebäugelt außerdem mit schrillen High-End-Kopfhörern in knalliger Farbe. Die 'Staaten' haben eine ganz neue flippige Seite in unserem sonst so ausgeruhten Freund geweckt.
Wir spazieren noch weiter umher, kaufen einen Gitarrengurt, Ukulelensaiten und Bücher, Stefanie zB einen riesigen Katalog des Museo La Specola in Florenz, es ist eine Sammlung anatomischer Wachse, die alle aussehen wie Schlachtendarstellungen oder die kontrovers diskutierten Körperwelten von diesem angeberischen Typen, wie heißt er gleich, Gunter von Hagens? Hagen von Tronje? Plastiniertes Innerstes von Menschen schockt die ganzen Spießer aus ihren Sitzen heraus, weil sie finden, daß die einzigen, die das Recht haben, so etwas zu machen oder auszustellen, Gott und maximal noch Jesus sind, aber nicht großmäulige Anatomen mit Joseph Beuys-Look. Wir haben solche Angst, daß auch Stefanie in die Hölle kommt, weil sie von allem Morbiden so fasziniert ist. Die Kurzfilme, die sie mit unheimlichen Puppen vom Flohmarkt dreht, bewerteten wir zunächst als Spleen, aber der verzückte Blick, mit dem sie sich wünscht, möglichst bald nach Florenz zu fahren, spricht eine Sprache so deutlich wie die Sehnsucht eines Kindes in den 70ern, KISS live sehen zu wollen.
A propos KISS: in einem Trödelladen (Love Saves The Day), wo es Tand aus Jahrzehnten gibt, könnten wir ein Make-Up-Set kaufen, das zwar schon sehr alt, aber nicht veraltet und außerdem unangebrochen ist. Damit könnten wir vier uns wie Kiss schminken (Schablonen, Haare, Blutkapseln und alles ist dabei). Wir lassen es am Ende des Tages bleiben, obwohl wir uns sogar schon geeinigt hatten, wer wer sein wird. Niklas hat den schwarzen Peter gezogen und muß die Katze sein, der goldige Peter Criss unserer hart rockenden Einheit.
Wir gehen gegenüber in den Showroom, wo Peter Kato (nicht verwechseln mit unserem Freund Peter Katis, der später noch hier auftauchen wird) bereits den Raum herrichtet. Bei ihm lassen wir Stefanies Original und Drucke, besprechen kurz, wann es weitergeht und verabreden uns grob, zusammen in ein Lokal zu gehen, wo Ninjas bedienen. Nebenan ist eine Bäckerei, von der der herrliche Geruch von frischem Gebäck in unsere auf Eindrücke begierigen Nüstern dringt. Weil wir alle die Reflexe trainierter Hunde haben, werden wir sofort hungrig und wollen bald wieder essen gehen. Vorher sehen wir uns noch Instrumente bei First Flight Music an, wo Stefanie sich einen Avocadoshaker kauft.
Dann eilig gegenüber zu einem Sushilokal, das LD kennt. Wir bestellen viel und schaufeln es wie Dinosaurier fröhlich in unsere Bodies. Einige Zeit nach uns setzt sich ein Pärchen schräg gegenüber, die beiden sind gut drauf, besonders er legt es darauf an, bemerkt zu werden. Er ruft mir zu: 'I had the very same sweater – but somebody stole it'. Ich antworte: 'it wasn't me.' Sie bestellen ein Love Boat, ein ca 80 cm langes Schiff voller Sushi und Dekoration, mit dem Stefanie sie fotografieren darf, was sie noch mehr anstachelt. Sie küssen sich viel, gehen irgendwann im Abstand von ca 15 Sekunden zu den Toiletten und kommen zusammen zurück, auf seinem Gesicht ein triumphierendes Grinsen und er ruft uns ein freundschaftliches 'hey' zum Gruß zu. Wir finden das Pärchen spitze. Die mit dem Love Boat eingeschlagene Richtung in aller Konsequenz weiterzugehen, das muß erstmal einer bringen. Oder ist es unsere kleinstädtische Herkunft, die auch nach vielen Jahren in einer Millionenstadt (Köln) noch immer unser Denken bestimmt, in der Erotik auf dem Klo nicht direkt zur Tagesordnung gehört? Ist es in dem New York, das wir lieben wie den langverschollenen Zwilling, den wir nie hatten, üblich, so gewagte Sachen zu machen?
Aber auch mit uns macht das Essen etwas. Stefanie und ich bekommen Magenkrämpfe und Niklas spricht den restlichen Abend nur noch einsilibig, weil er todmüde geworden ist: sure! yeah! why? oh! Wir essen noch Eis (schwarzer Sesam und Ingwer zB) und gehen in eine Bar, in die alle immer gehen, weil sie mit der Wirtin Lauren befreundet sind. Heute ist stattdessen Jeff da, ein riesiger Mann mit einem riesigen Bauch, der uns zum Abschied herzen wird wie kleine stabile Kätzchen. An der Theke treffen wir Dudley Klute, der wohl wirklich so heißt und ein alter Freund von LD ist. Mit seiner Band Kid Montana hatte er in den 80ern kleinere Hits und auf 69 Love Songs der Magnetic Fields singt er welche von unseren Lieblingsliedern: Luckiest Guy On The Lower East Side, Long Forgotten Fairytale, Underwear... Leider wird uns der Zusammenhang erst später bewußt. Dudley ist laut LD eine Art Wunderkind, der sechs Sprachen spricht, aber sein Sorbonne-Studium abbrach um Popstar zu werden. Er wohnt um die Ecke in einer Wohnung, deren Miete nie erhöht wurde und deshalb den Tarif hat, den er bekam, als in der Gegend noch keiner wohnen wollte. Deshalb macht er seit 20 Jahren nicht viel mit seiner Genialität und seiner wunderschönen Stimme außer Tagedieberei und gelegentlichen Kurzauftritten auf den Platten seiner Freunde.
Dann fahren wir zurück nach Bushwick, Niklas will seine Müdigkeit an der frischen Luft wegspazieren, wir landen aber alle noch lange in der Küche und reden mit Sam und Julie. Julie organisiert gerade die Geburtstagsfeier für ihre Freundin Tanya, die es liebt, für ihre Freunde zu performen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit a capella 'What's new pussycat?' singen möchte. Auch an ihrem Geburtstag wird sie ihre Gäste überraschen, singen, dann hinter einem Vorhang verschwinden und in einem Leopardenanzug wieder hervorspringen. Ihr Talent ist angeblich nicht groß, aber ihre Freude und Begeisterung, den Freunden etwas vorzuführen, immens. Weil es ein runder Geburtstag ist, kommt sogar ihre Mutter aus Seattle geflogen und wird: etwas vorsingen. Morgen sind die Möglichkeiten: Museum mit LD, Ausflug zu Peter nach Bridgeport, Treffen mit Wesley in seinem Büro in Manhattan. Eine spätabendliche Probe mit Sam ist auch schon verabredet, wir müssen bis dahin nur Gitarren auftreiben. Außerdem sollte uns noch ein besserer Bandname für die neue Band einfallen, die wir mit LD gründen wollen, der Vorschlag, der bislang im Raum steht (Megabitch) könnte einengend wirken. Sollte Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, etwas einfallen, wenn sie tatsächlich bis hierhin gelesen haben, schlagen sie es bitte vor, wir werden Ihre Leseleistung und ihr Engagement damit belohnen, daß wir Ihren Vorschlag wirklich abwägen werden. Bis morgen!


All You Need Is Love Boat. Unbekanntes Pärchen bereitet Größeres vor.
 
   

TAG 4, 13.01.2009, Bushwick - Williamsburg – Manhattan

 
   

Wir sammeln LD im Life Café ein und fahren mit der U-Bahn ins Folk Art Museum. Der Name mag Unbedarfte auf die falsche Fährte locken und sie an das Heimatmuseum in Mühlacker denken lassen, wo zB alte Säcke und Ochsenpflug noch zu den besseren Ausstellungsstücken gehören und wo das jährliche Highlight ein Eilight ist. Richtig gelesen, Tagebuchfans, jedes Jahr zur Osterzeit gibt es eine Ausstellung mit den besten Ostereiern der Welt ('Rund ums Osterei'). Nicht Fabergé, gewiß, aber eben auf eine eigene, rustikal-sympathische Weise genauso gut.
Im Folk Art Museum wird Kunst ausgestellt, die nicht von sog. Künstlern hergestellt wurde sondern von Leuten, die zB von Gott oder anderen Gespenstern den Befehl erhielten oder anderweitig das Gefühl hatten, es tun zu MÜSSEN. Es sind alles Dinge, die nie dazu bestimmt waren in Galerien oder einem Museum zu landen, deren Urheber meistens schon gestorben waren bevor sie diesen schönen Ruhm erfuhren, als Americana und/oder Kunst eingestuft zu werden; Gegenstände, die Leute privat gemacht haben, zur eigenen Erbauung, als Beschäftigung oder einzige Möglichkeit, bestimmte Dinge mitzuteilen. Manche Sachen sind rührend und niedlich, andere furchtbar traurig oder verstörend wie etwa die Bilder von Henry Darger. Fieberwahncollagen, in denen kleine Mädchen mit Penissen auf der Flucht vor Erwachsenen (oft Cowboys) sind, die sie foltern, würgen, fesseln wollen. Vieles davon wirkt wie (oder ist) abgepaust aus Kindermalbüchern oder Zeitschriften aus seiner Zeit. Es sind Illustrationen für seinen 15.000-Seiten-Roman, der diese Geschichte umfangreich erzählt. Allen Lesern sei, sollten sie diese prächtige Stadt besuchen, zu einem Gang ins Folk Art Museum angeraten. Es ist verhältnismäßig klein und daher nicht so erschlagend wie zB das Moma oder das Naturkundemuseum, die zugegeben auch schöne Orte sind, aber da gehen doch eh alle hin.
Im Anschluß sehen wir uns im Fashion Institute of Technology eine Ausstellung über Goth-Mode an; der Eindruck, den sie auf uns hat reicht aber nicht weit genug, um noch in die Verschriftung unseres Tages hineinzuwirken, eine bloße Erwähnung muß genügen, um plastisch nachzuzeichnen, was wir treiben. Ein Essen im Diner, das angeblich in sehr vielen Filmen als Diner-Hintergrund zu sehen ist, dann zurück nach Bushwick, wir sind mit Sam zur Probe verabredet. Niklas und ich fahren noch schnell Kabel kaufen, dann geht es los.
Wir sind furchtbar laut, Sam muß seit neuestem mit Gehörschutz spielen, ist aber noch nicht daran gewöhnt, daher spielt er doppelt so laut wie sonst, durch den Schutz klingt es für ihn nach normaler Lautstärke. Wir hingegen haben nie im Leben geahnt, daß ein Mann alleine so laut Schlagzeug spielen kann und müssen dagegen ansingen. Nach etwa 20 Minuten sind unsere trainierten Lungen so matt als hätten wir für Wetten, dass? versucht, jeder eine Stange Rothhändle in weniger als 90 Sekunden wegzurauchen.
Erschöpft setzen wir uns in die Küche, wo wir am Morgen so herrlich mit Mr Bascums, der kleinen Katze, gespielt haben, die ganz verrückt nach Käse ist und mit ihren Pranken danach greift als wisse sie nicht, daß sie keine Daumen hat, um die Brocken zu nehmen. Niklas Stimme ist ungewohnt, ist es die Erschöpfung oder hat er viele Kaugummis im Mund? Ist es seine Art, sich an Amerika anzupassen? Er legt den Kopf schief und betont seine Sätze wie ein Nachrichtensprecher. Ich verdächtige mich selber, diese seltsame Veränderung getriggert zu haben. Gestern früh um 5 Uhr wurde ich wach und sah zwei Vollmonde am Himmel, die ich schnell mit einem Handyfotoapparat festhielt, um den außergewöhnlichen Anblick für die anderen festzuhalten. Im Traum hatte ich eine Art Weisung erhalten und lief also zu Niklas ins Zimmer, kniete mich in sein Nachtlager und als er aufhuschte teilte ich ihm meine Warnung mit: daß vielleicht nicht alles ist, was es scheint zu sein. Später hoffte ich, daß er es vergessen hatte, weil mir die Unsinnigkeit meiner Vision Minuten später bewußt geworden war – und auch, daß meine Warnung so schwamming, ja nichtssagend war, wie das Horoskop im Tip Der Woche. Spätestens als ich Stefanie meine Beweisfotos zeigte, auf denen natürlich nur ein Glob Licht zu sehen ist, waren die Verdachtsmomente groß, daß es sich hier um Bullshit (amerikan.) erster Kajüte handeln könnte.
Zwei Momente mit Musik heute: als der Nikster und ich mit dem Auto losfahren um die Kabel zu kaufen, läuft im Radio eine Musik, die es in sich hat. Etwa 20 verschiedene Genres in 40 Sekunden – eine weitere Wetten, dass?-reife Leistung. Niklas vermutet: ob das Rush ist? Wir beide kennen Rush nur theoretisch, wie es oft im Leben ist. Ich kann sogar zwei Mitglieder auswendig aufsagen – aber den Sound haben wir noch nie gehört. Zum Glück, können wir jetzt sagen, denn es ist in der Tat Rush. Wer hört denn so eine verrückte Musik, da kommt man doch völlig durcheinander! Ich bin nicht einmal in der Lage zu sagen, daß mir Rush nicht gefiele oder ich sie schlecht fände. Der Sound ist so dermaßen bescheuert, daß man mit Kategorien wie 'gut' oder 'schlecht' nicht weiterkommt. An sich eine Leistung für eine Band - wenn man die Musik aushalten könnte. Als wir Sam davon erzählen, erinnert er sich daran, daß Rush ein Stück haben, das 'He's going bald' heißt und ungefähr so geht 'didididididi (onomatopoetisch nachgestelltes Gegniedel)  - BAAAAALD!!!! BAAAALD!!!'. Sein Freund Vinnie verteidigt Rush immer schwer gegen Kritik. Vinnie übrigens hat quasi heimlich im Garten der beiden eine private Tankstelle aufgezogen. In diversen Fässern lagert er Diesel, das er regelmäßig mit Kanistern dort einfüllt, weil er es auf seiner Arbeit 'mitnehmen' kann. Extra deshalb hat er sich einen Diesel-Van gekauft. Wir kennen Vinnie bereits vom letzten mal, er kam alle paar Tage vorbei und brachte zB eine Palette Wasser mit den Worten 'you guys can kill this, I bet you'll love this', eine Wagenladung angegessene Chipstüten von seiner Mutter, eine halbe Packung Müsliriegel usw. Mit einer seiner Bands hat er in den 90ern eine Single auf Frank Koziks Man's Ruin-Label gemacht. Ein spannender Typ, dessen neuester Spleen Umweltschutz ist. Er schickt oft Links mit Fotos von Mülldeponien und warnt seine Freunde, daß sie dazu beitragen mit den Plastiktüten, die sie benutzen.
Durch Rush oder irgendwas anderes erinnert, zeigen uns Sam und Julie bei youtube ein Video davon wie Van Halen Roy Orbisons 'Pretty Woman' covern. Das Video ist ganz schlimm. Alptraumhaft beunruhigend, darin sind Szenen, in denen Zwerge eine gefesselte Frau nötigen und Napoleonkostüme. Eine der schlimmsten Musiken, die wir in unseren Leben gehört haben! (Dies war der zweite angekündigte Moment)
Morgen fahren wir nach Bridgeport und New Haven, um 17 Uhr ist die Generalprobe und ebenfalls morgen kommt Benni angeflogen. Ob es für die Leser seltsam ist, daß laufend neue Leute eingeführt werden, die sie nicht kennen? Ich, der Autor dieses Textes, versichere ihnen aber, daß mich das alles sehr interessiert und ich es deshalb gerne mit Ihnen teilen möchte. Treffen wir uns also morgen wieder hier für ein weiteres schönes Kapitel!

 


Mr Bascums muß immer mehr Käse bekommen.
 
   

TAG 5, 14.10.2009, Bushwick - Bridgeport – Fairfield – New Haven – Park Slope

 
 

Wir stehen alle früh auf, aber das ist ohnehin gang und gäbe. Die Zeitumstellung und der Zustand andauernder Aufregung, den manche mit dem kindlichen Warten auf die Bescherung an Heiligabend in Verbindung bringen mögen, holt uns jeden Morgen zeitig aus den staubigen Federn. Unser Zeitplan ist strikt, wir haben einen großen Ausflug vor und wollen um 17 Uhr zur Probe zurück sein, aber es ist alles sehr gut durchgeplant.
Stefanie und ich ziehen heute um, damit wir nicht zu viert bei Sam und Julie sind, wenn unser freundlicher Kerlke aus Warendorf zu uns stößt. Richtig, Leser! Benjamin Walter, der Schickeriaking vom Barbarossaplatz kommt persönlich angeflogen, um mit uns daran zu arbeiten, daß NOCH mehr Erlebnisse für den musikexpress herbeigeführt werden, denn unsere Rechnung ist: je mehr Protagonisten desto mehr Handlung, ein Blog mit dem Funktionsprinzip der Buddenbrooks, die ja seit dem TV-Mehrteiler (oder Kinofilm?) wieder schwer im Kommen sind. Als Pog, Skateboard-Deck oder einfach nur als geschmackloses Ed Hardy-T-Shirt mit der Aufschrift 'Ed Hardy – The Buddenbrooks'. Es ist so awesome.
Wir essen einen Bagel, den wir alle für den besten überhaupt halten, werfen schnell das Gepäck in die Wohnung am Prospect Park und fahren nach Bridgeport. Ich versuche mit meiner Schwester zu telefonieren, aber es ist so schwer wie Ferngespräche in den 80erjahren. Man sollte meinen, daß durch die weggebrochene Monopolstellung der Post bzw. Telekom ein Konkurrenzkampf entbrannt wäre, der die ganzen Telekommunikationsunternehmen angestachelt hätte, sich mit verbessertem Empfang, Niedrigpreisen, Werbegeschenken und freundlichem Service zu überbieten, aber Pustekuchen, Vodafone arbeiten auf dem Niveau von einem Walkie Talkie, das einer Ausgabe YPS beilag.
Auf der Fahrt hören wir einen Sampler an, auf dem vornehmlich französische Beat-Chansons aus den 60ern sind, aber auch ein Beitrag aus Deutschland. Die Sängerin Inga mit dem Stück 'Dein Spiel ist endlich aus'. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß Inga mit diesem einen Song eigentlich die komplette Karriere der Goldenen Zitronen vorweggenommen hat. Wir müssen es immer und immer wieder hören und entdecken jedes mal neue Lieblingsstellen. Es ist eines der besten Lieder überhaupt. (Erst später ergeben Recherchen, daß es sich tatsächlich um Inga Rumpf von Frumpy handelt. Ihr Mix aus Monks und klarer Ansage in einer sonderbar harten Schlagersprache ist komplett einzigartig. Hoffentlich wird sie auch für diese vergessenen Juwelen noch die Anerkennung erfahren, die ihr gebührt.)
Bei Peter im Studio ist gerade der Sänger einer sehr bekannten Band um sein obligatorisches Singer-Songwrtiter-Soloalbum mit einer Prise Experimentle aufzunehmen. Ich nenne ihn nicht beim Namen, weil er ungefähr die langweiligste Person der ganzen Stadt ist und man aufpassen muß, in seiner Gegenwart nicht umzukippen vor Laschheit, die von ihm ausgeht. Und da eine unserer Maximen ist, niemals öffentlich schlecht über andere zu reden, hätte ich diese Wahrheit nicht ausplaudern können, wenn ich aus dieser virtuellen Phantasiefigur durch den Namen einen Bezug zur wahren Wirklichkeit hergestellt hätte. Das Album wird 'very different from the band stuff – more acoustic guitars' usw, auf dem er alles selber und ganz alleine macht, einfach nur, damit im Booklet hinter dem Namen viele Tätigkeiten aufgelistet werden können. Natürlich ist er perfectly nice und sicher eine anständige Person, aber um solche Langweiler zu treffen, kann man auch gut in Deutschland bleiben. Mit Peter und Greg ist es sehr schön und als wären wir nie weggewesen. Peter ist etwas abgemagert, weil er krank ist und Greg hat Kummer mit Gebrauchtwagen.
Wir sammeln Gitarren ein, die hier hingeschickt wurden, damit wir sie testen und für unsere Konzerte leihen können und fahren schnell weiter in die Mall, ich möchte mir futuristische Turnschuhe kaufen, wie schon letzten Herbst. Leider wurden meine nach wenigen Wochen gestohlen, als ich sie nach einem Dauerlauf vor der Wohnungstür ausgezogen hatte. Nach wie vor liegt der Verdacht nahe, daß es einer der zwei Paketboten war, die im fraglichen Zeitfenster im Haus waren, aber die Polizei hat die Ermittlungen glaube ich nie aufgenommen, auf meine online aufgegebene Anzeige hin kam jedenfalls nichts zurück. Ich frage hier mal pfeilgerade in den Raum hinein: wer stiehlt denn gebrauchte Turnschuhe in 43 1/2, die aussehen als gehörten sie Robocop? In der Liste der Tiefpunkte 2008 ist der Diebstahl der Schuhe ganz oben, einfach, weil ich das Verbrechen nicht verstehe.
Leider reicht die Zeit nicht ganz, um aus der Vielzahl der neuen Modelle das richtige auszusuchen, stattdessen nehmen wir einen Imbiss und fahren weiter nach New Haven, wo wir eine weitere Gitarre abholen und Gitarreneffekte zum Test da lassen, die unser Freund Jan gebaut hat. Kennt Ihr ihn alle? Wer von euch selber Musik macht, möge doch bitte mal sein Sortiment auf orion-fx.com ansehen.
Die Rückfahrt zieht sich ein wenig und wir kommen verspätet an, haben aber noch genug Zeit, um einmal alles durchzugehen. Wir spielen heute leise, was besser klingt und weniger anstrengt. Sam bricht zu einer anderen Probe auf, dann müssen wir nochmal fix in den Showroom und Peter etwas für morgen bringen. Die meisten Sachen hängen bereits und es ist sehr aufregend. Stefanies Hibagon hängt direkt neben einem wunderschönen Bild von Richard Sala, wir sind alle sehr zufrieden. Der Geruch nach Backwaren von nebenan ist erneut wie ein Befehl von Stimmen, die nur wir hören können, essen zu gehen. Weil es auf dem Weg nach Bushwick liegt, gehen wir zu Wild Ginger auf der Bedford Avenue in Williamsburg und jauchzen alle auf wie eine Sportmannschaft, die ein gutes Turnier gewonnen hat, weil es uns so köstlich schmeckt.
Dann fahren wir zum Haus, Stefanie und ich gehen noch ins Life Café, wo LD bereits wartet, kurz darauf kommt Niklas auch noch dazu. Wir trinken Margaritas und sitzen in der Gegend herum, es ist gemütlich. LD hat Stephin Merritt im Verdacht, daß dieser bei seinem letzten Anruf nur deshalb besonders nett zu ihm war, weil er einen Dogsitter braucht, wenn er in die Stadt kommt. Fun Fact: beide wohnten unabhängig voneinander und zu unterschiedlichen Zeiten in einem bekannten New Yorker Gebäude, den London Terrace Gardens, der eine nur ein, der andere fünf Jahre. Dieses Gebäude ist dafür bekannt, daß es einen kompletten Block einnimmt. Auf dem Weg zum Diner gestern liefen wir daran vorbei, es ist ein berückender, furchteinflößender Traum größenwahnsinniger Architekten. Statt wie in Babel einen Turm zu bauen und vor allem auf Höhe hinzuarbeiten, wurde hier die Blasphemie über schiere Ausdehnung angestrebt.
Morgen treffen wir uns um 14 Uhr, um evtl. noch einmal kurz zu proben, zusammenzuräumen und um 16.30 im Showroom zu sein. Große Vorfreude und die Sängerin Inga sind die nachhaltigsten Dinge dieses Tages. Bis morgen.


Vor Peters Haus und Studio in Bridgeport. Der Schnee ist ganz hart und gefroren.
 
   

Interimsmeldung, 16.01.2009

 
   

Da das Internet bekanntlich am Wochenende frei hat, müssen wir uns heute mit einem kurzen Gruß bis Montag verabschieden, an dem dann die Tage Donnerstag bis Sonntag in der gewohnten Weise aufgearbeitet werden. Ich verspreche allen Readers eine spannende Melange aus Details und Action und darf schon durchsickern lassen, daß die Ausstellungseröffnung und unser erstes Konzert all unsere Hoffnungen übertroffen haben wie der junge Boris Becker seine Gegner auf Rasenplätzen.
Wir wünschen ein schönes Wochenende und verbleiben bis Montag früh mit einem herzlichen Gruß.

   

TAG 6, 15.01.2009, Bushwick – Lower East Side

 
 

Der Tag fängt mit softer Ereignislosikeit an. Benni geht auf Unternehmung und ins Folk Art Museum, Stefanie und ich gammeln wie Könige herum und essen poached eggs und Avocado. Niklas fährt mit der Bahn nach Williamsburg und kauft sich Kopfhörer. Nicht die roten aus dem Hause Nixon, um die er seit Tagen herumschleicht wie ein Schakal sondern die grünen, die farblich zu seinem neuen winzigen ipod passen, den er wie eine schöne Brosche am Revers trägt. Er ist aber noch immer fahrig und manchmal abwesend. Gestern fuhr er im Rückwärtsgang gegen ein Taxi beim Einparken, obwohl es hupte. Nichts außer Schreck ist passiert, der Taxifahrer wunderte sich: why did you do that, I honked to warn you that I'm here.
Ab dem Moment, wo wir uns alle im Haus treffen, um noch einmal kurz zu proben, geht alles schief (parallel dazu fällt ein Flugzeug in den Hudson River, es scheint heute etwas im Ungleichgewicht zu sein). Julie braucht ihren Baß heute selber, aber es ist ihr erst eben eingefallen, daher müssen wir schnell einen zur Miete organisieren, die Alternative ist, zu Vinnie zu fahren und seinen roten Hamer-Metalbaß zu leihen und eine Stunde zu spät zu kommen. Niklas wiederum war zu abgelenkt, weil er unangenehme emails bekam, so unangenehm, daß Spam dagegen wie eine ganz liebe persönliche Ansprache wirkt, und so hat er keinen rechten Moment gefunden, mit Sam darüber zu reden, daß wir eine Anlage mitbringen müssen, da wir schließlich in einer Galerie spielen und nicht in einem Klub. Die Probe lassen wir nach einem Song also sein und auf Biegen und Brechen basteln wir an einer klapprigen Lösung, die aber immerhin funktioniert und den Tag weitergehen läßt. Im Showroom geht es gerade so weiter. Ich habe den Akku der Kamera liegen lassen und unser fast zwanghaftes Ansinnen, alles zu dokumentieren, wird gerade heute, wo mal was Ungewohntes passiert, so gefährdet. Der ipod, den Peter Kato bringt, um den Hibagon-Song laufen zu lassen scheint kaputt zu sein und wir müssen noch einen neuen besorgen, was Niklas im Alleingang per pedes erledigt wie Pheidippides, der tapfere Läufer von Marathon. Die Geschichte ist eigentlich sehr traurig, sie erzählt davon, wie ein Mann von seiner Mission hingestreckt wird (aber sie immerhin als letzte Handlung abschließen konnte). Ikarus und Dädalus ist auch eine traurige Geschichte, aber da ist es wiederum das Streben zur Sonne, was den Tod zur Folge hat, also letztlich eine Einzelpersonen-Varition des Turmbaus zu Babel, der hier bereits zur Sprache kam mit einem Touch mehr Fantasy. Mich zB sprechen zwei Typen mit Flügeln viel mehr an als wildgewordene Architektur. Wer braucht Geld, wenn er Federn hat.
Wir setzen uns zu Veselka und essen eine Kleinigkeit. Vor zwei Jahren aßen wir hier schon einmal vor unserem allerersten Konzert in New York, Mauri bestellte sich ein Sandwich, obwohl er 10 Minuten zuvor woanders einen Hamburger gegessen hatte. Zustimmung zum Leben drücken junge Künstler oft durch einen tüchtigen Appetit aus, wie ein großes JA, das nicht nur der Mahlzeit gilt, sondern dem ganzen Moment, der zusammen mit ihr verschlungen wird.
Als wir zurückkommen ist bereits Einlaß und es füllt sich schnell. Es ist wirklich sehr gut geworden, viele der Werke sind beeindruckend, spannend, lustig und unerwartet. Die Ausstellung (ein Flm darüber hier) geht grob so, daß Peter Kato jedem ein Monster zugeteilt hat und ein paar Sätze an Informationen an die Hand reichte. Das Monster durfte darüber hinaus nicht recherchiert werden, google oder wikipedia drückten sich mit neidischen Augen die Nasen an den Fenstern der 66 Ateliers platt und wußten nicht, wohin mit ihren Infos. Ebendiese kurzen Instruktionen hängen wie Täfelchen im Museum bei jedem Monster. Der rote Faden ist gut. Selbst wenn nicht jedes einzelne Stück für sich genommen ein Geniestreich ist, ergibt sich aus diesem Panoptikum der Kreaturen ein wunderschönes großes Ganzes und es ist toll, davon umgeben zu sein. Sogar Claire und ihre Mutter sind gekommen, die beiden besuchen die Stadt, um Urlaub zu machen. Claires Mutter nimmt Stefanie beiseite und erzählt ihr davon, daß sie manchmal Ahnungen habe, Visionen, Eingebungen. Und heute war ihre Eingebung als sie den Raum betrat, daß ein bestimmtes Bild förmlich zu ihr sprach, so daß ihr klar wurde: dieses Bild ist gut und der Künstler wird in New York viel Erfolg haben. Und es war Stefanies Hibagon. Nicht nur, daß Frau Oelkers mir damit ein spitzenmäßiges Tool an die Hand gibt, als musikexpress-online-Exklusivautor neben Babel noch weitere Rückverweise innerhalb dieses mittlerweile sehr umfangreichen Textkonvoluts zu bauen – denn das Thema Vision spielte auf dieser Reise und in ihrer Berichterstattung bereits einmal eine Rolle – es wird sich in wenigen Sätzen noch weiter ausweiten.
Peter hält eine kurze Ansprache, ist aber so gerührt vor Glück, daß er kaum Worte findet und uns das Wort übergibt. Wir spielen nur kurz, fünf Stücke und es klingt zum Glück nicht zersetzend wie noch beim Aufbau. Es macht Spaß zwischen all den Monstern zu spielen, wieder mit Sam zusammen Musik zu machen und generell wieder hier zu sein – und wir sind eigentlich vorrangig deshalb hier, weil wir in einer Band spielen. Band sein ist ein großes Privileg, das vergessen die meisten, sie sehen in Bands freche junge Leute, die dumme Grimassen machen – und haben oft recht. Aber dann wiederum kann man das über fast alle Gruppierungen sagen: Junge Union, Jungliberale, Raver... Im Idealfall ist Band nicht Vorwand, in einer Gruppe Burschen verzerrte Gitarre zu spielen und als Ziel Angehimmeltwerden zu haben, sondern ein besserer Entwurf, eine Ausweitung von Freundschaft, eine Art Verbesserung des Konzeptes Familie unter Weglassung der störenden Faktoren und Zufügen von Sound.
Nach dem Auftritt mischen wir uns wieder unter die Leute. Es ist brechend voll, die Stimmung ist gut, es gibt Singha-Bier umsonst, weil es ein Sponsor ist. Stefanie schließt Freundschaft mit einem japanischen Künstler, der Michael Schenker liebt und mehrere Flying V-Gitarren hat. Beim Herumlaufen entdecken wir plötzlich wie vom Blitz getroffen: ein rotes Etikett wurde zu Hibagon geklebt: SOLD. Überdreht rennen wir zueinander und erzählen es uns. Hibagon war tatsächlich der allererste, der verkauft wurde. Niklas unterhält sich mit dem Käufer, der ankam, weil er die Musik mochte und es uns sagen will, er erzählt Niklas, daß er ihn gekauft hat, aber wußte zu dem Zeitpunkt des Handels nicht, wer die Urheberin ist. Er hat in seiner Jacke einen Scheck gefunden, von dem er nicht wußte, daß er ihn hat, den er dort im Vorjahr beim letzten Einsatz in seiner Winterjacke vergessen hatte. Freudig überrascht davon Geld zu haben, mit dem er nicht gerechnet hatte, beschloß er, es auszugeben. Eine tolle Geschichte. Und sie führt zu Frau Oelkers zurück, deren Voraussage somit eine weitaus akkuratere Vision war als mein Erlebnis mit den zwei Vollmonden. Schade, leider kann man im Internet pro Eintrag nur ein Foto posten, sonst würde ich gerne mal die lächerlichen Fotos davon einstellen, die zwei Vollmonde sind wirklich armselig. Aber die Kamera ist auch einfach nicht sehr gut, so ehrlich muß man es sagen.
Den restlichen Abend stehen wir freudig erregt im Showroom, unser armer Nik kann endlich wieder lachen. Mike und er holen Bier als das Singha alle ist und gründen auf dem Weg die Boogieband Thah Boogie Brahs, eine Mischung aus Boogie Woogie und Fratboys. Ihr Album ist nur einen Song und 17 Minuten lang und hat auch einen sehr boogielastigen Titel, der mir in diesem Moment entfallen ist. 'Time to boogie', glaube ich. Das motiviert ihn unheimlich, Boogie findet er mordsmäßig.
Es gibt noch einen Überraschungsauftritt von einem weiteren Künstler der Show, der als Hummel verkleidet mit Plastikperücke und vier Sonnenbrillen ein paar Lieder spielt, die ziemlich genau die Schnittmenge aus allen quietschbunten überdrehten Klischees sind, die man zu japanischer Gegenwart (Takeshis Castle etc) und amerikanischer haben mag. Für den Auftritt hat er sich eben noch backstage eine Glatze geschoren, seine Lieder erzählen von der Ninja High School usw, es ist wirklich ziemlich gut (seine Band ist Peelander-Z, wer es nachschlagen möchte).
Am Ende des Abends spielen wir noch als Rausschmeißelied 'My Beloved Monster' von den Eels und sagen gute Nacht. Mike, Alex, Michelle und LD fahren voraus und warten im Life Café auf uns aber wegen des Autos, das noch wegzufahren ist, geht Niklas als alleiniger Abgesandter vorbei. Mit einem großen Gefühl von Zufriedenheit verpufft der Tag hinein in die Geschichte. Das beste auf der Welt ist, wenn alles schiefgeht und man einfach weitermacht und es sich dann auf einmal in etwas Positives auflöst. Bloßes Weitermachen ist gewiß nicht das Heilsversprechen, das diesen Effekt sicher herbeiführen kann, das sei damit nicht gesagt; aber WENN es passiert und alles nervig und unpassend ist und nur halb funktioniert, die Geschenisse dann aber eine Wendung nehmen, die wünschenswert ist, das ist etwas Gutes. Am besten wäre es, man würde ein Leben führen, bei dem mehr Tage so befriedigend ausgehen wie heute. Besonders die, an denen es so aussieht, als würden sie überhaupt nicht laufen.


Mike (Boogie Brahs) digs the fine arts.
 
   

TAG 7, 16.01.2009, Bushwick – Lower East Side – Wall St. District – Fort Greene

 
   

Heute stehen keine wirklichen Aktivitäten auf dem Plan, Benni ist bei seinem Bekannten Johannes untergekommen und hat die Nacht daher um die Ecke vom Showroom verbracht. Ihm wurde übrigens gestern die Jacke gestohlen, eine Flanell-Holzfällerjoppe im grünkarierten Grungelook, er hat sie seit 15 Jahren und nun ist sie weg. Ich finde, er kann den Ärger über den Verlust damit abmildern, daß es in New York, diesem Nabel der Welt der coolen Couture, jemanden gibt, der den Lumpen für so schick hielt, daß er ihn auch haben wollte. Daß gerade Benjamin Walter es schafft, Mode von Warendorf nach Manhattan zu exportieren ist etwas, was keiner erwartet hatte, nicht einmal wir, seine Freunde, die es gewohnt sind, daß er uns laufend überrascht.
Niklas, Stefanie und ich müssen noch den Baß zurückbringen und ziehen von dort weiter in die Nähe des Ground Zero, ganz am Anfang des Broadway, wo Wesley und Chris ihr Office haben. Wir haben ein Meeting mit unseren neuen US-Labelbossen und besprechen uns im internationalen Stil. Es geht u.a. um Diebstahl und Wes erinnert sich, daß er ein einziges mal in seinem Leben etwas gestohlen hat, eine kleine Vase als er acht war. Noch heute, 22 Jahre später, hängt ihm die auf einem Flohmarkt in Holland aufgeladene Schuld um den Hals wie ein Mühlstein, er erinnert sich sogar noch detailgenau, wie er sein Verbrechen damals aufgezogen hat: erst schubste er die kleine Vase um, damit sie vom Tisch fiel, dann steckte er sie ein. Als wir fertig sind und uns verabschieden kommt Jason dazu, um uns abzuholen. Wir machen ein Foto im Aufzug, als wir von der 22. Etage nach unten fahren. Es beeindruckt uns, daß eine gesamte Etage in einem Haus auf dem Broadway die Spielwiese für Wes, Chris und ihre Leute sind. Diverse Labels, auf denen wir in Deutschland waren, hatten auch eine Etage oder sogar ein ganzes deprimierendes Haus, aber dennoch immer etwas ganz bitteres, klägliches. Der dicke Nebel des Scheiterns vielleicht, der durch die Gänge wehte, vorbei an goldenen Schallplatten der Randfichten, Lafee, Moby und Coldplay, die wie Menetekel von der Wand riefen: nicht einmal wir können das Ende aufhalten, dieser Laden ist dem Untergang geweiht und er wird euch alle mit in die Hölle reißen.
Mit Jason verabreden wir uns für später um essen zu gehen, Niklas fährt mit der Bahn nach Bushwick, Stef und ich nochmal zur Lower East Side um ein Pärchen warme Moonboots zu kaufen und noch einmal mit etwas mit mehr Ruhe im Showroom vorbeizuschauen. Peter ist noch immer begeistert, er findet, dies ist die best show EVER und daß wir ein big hit waren. Sein Schulfreund, der übrigens derselbe ist, der die Flying V hat, hat Eltern, die auch beide Künstler sind und heute kurz vorbeikamen. Sie erzählten Peter, daß er so gut drauf war als er nach hause kam wie seit langem nicht mehr und laufend von der Band sprach. Auch sie sind darauf, erzählt Peter, wie magnetisch angezogen, zu Hibagon gelaufen. Hatte ich bereits erzählt, daß Peters Beitrag zur Show war, einen Automaten zu bauen, aus dem man eine Art Überraschungsei ziehen kann, in dem die AstroMonger-Monster als kleine Figuren sind, die er selber gefertigt hat? Nein, ich habe es nicht. Ich selber habe einen goldenen bekommen, den zweitseltensten. Eine tolle Idee und großartige Monster.
Mittlerweile ist durchgesickert, was mit Niklas los ist. Es sind diverse Pole, die in seiner Seele durch Fremdeinwirkung abschmelzen, es wäre vielleicht nicht einmal übertrieben zu sagen, daß man Jansen, dem vermutlich berühmtesten Mann aus Würselen, übel mitgespielt hat und zwar auf nahezu allen Instanzen seiner Existenz. Als er in knappen detailfreien Sätzen umreißt, was alles schiefgegangen ist seit gestern, bersten wir beinahe vor Kummer, Zorn und Machtlosigkeit. Ich möchte jedenfalls allen Menschen folgende Ansage machen: wer sich mit JNJ anlegt, legt sich nicht nur mit seiner ganzen Band an, sondern mit grundsätzlich allen Besuchern dieser Website.
Am Abend kommt Niklas nach Park Slope ins Apartment zu uns (wir warten auf Jason), er ißt zwei Minibagel und es gibt Biere und Pumpernickel-Utz, einen der aufregendsten Snacks der letzten Jahre. Als Jason dazukommt, sitzen wir noch kurz herum und fahren dann nach nach Fort Greene, die Eltern von Jess, mit der er zusammen ist, sind Restaurantkritiker und kennen alle Lokale. So fährt er uns zu General Greene, wo man nur Beilagen ißt, aber davon mindestens zwei pro Person. Wir bestellen Cocktails und sämtliche Essen auf der Karte, die ohne Fleisch sind, die deviled eggs und scalloped potatoes sogar doppelt. Ein großartiges Mahl und ein wunderschöner Abend, wir sitzen und essen, bis geschlossen wird, Niklas wird zum L Train gefahren, wir drei übrigen beschließen den Abend in einer Kneipe um die Ecke von Jason, der Barkeeper sieht aus wie der Sänger der Red Hot Chili Peppers und es läuft die ganze Zeit harter Rock, einmal mehr bringen sich Van Halen ins Spiel und erzählen von ihrem Rennen mit dem Teufel im Song 'Runnin' with the devil'. Die 80erjahre waren eine ganz seltsame Zeit für Rockmusik. Gewiß ist Hardrock eine zeitlos einfältige Musik, die seit ihrer Erfindung bis heute starke Argumente gegen Männer, verzerrte Gitarren und lange Haare lieferte, aber da die 80er ihre fruchtbarste Zeit waren, habe ich sie eben so als Moment, als Höhepunkt des Wahnsinns, herausgegriffen. Runnin' with the devil, shout at the devil... auch immer dieser Teufelsquatsch. Von Typen in Leopardenleggins dazu noch. Erneut bleiben wir bis geschlossen wird und fahren mit einem Taxi nach Hause. Die Bloodsugars spielen in ein paar Tagen mit Regina Spektor, wir wollen hingehen wenn es klappt. Das Haus, in dem Jess und Jason wohnen konnten sie anzahlen, weil Jess' Großmutter eine Affäre mit einem modernen Maler hatte und allen vier Enkelkindern je eines seiner Gemälde hinterließ, das die beiden dann bei einer Auktion verscheuern konnten. Man muß eigentlich nur 10 Minuten mit Jason verbringen und fühlt sich sehr gut, weil er eine so aufrichtige Begeisterung für alles aufbringen kann. Alle me-Fans (Anm.: me=musikexpress) sollten ihn kennenlernen.
Eben fällt mir ein, daß unser alter Freund Kurt gestern als Kommentar zu unseren Erzählungen von Rush und Van Halen eine email schrieb, um ausführlich eine Platte zu empfehlen, die er entdeckt hat, Godley & Creme mit Consequences, ein Dreifachalbum, zu dem er u.a. schreibt:
"Es handelt sich verkürzt um ein Konzeptalbum, in dem ein exzentrischer Pianist mit seinem Kalvierkonzert die Welt vor der Natur rettet, die sich gegen den Menschen auflehnt und ihre besten Katastrophen dazu aufbietet. Godley und Creme haben für die die Entwicklung des GITARRENEFFEKTS 'Gizmo', der sie zu der Musik auf CONSEQUENCES inspiriert hat, extra ihre erfolgreiche Band 10CC verlassen. Die Entwicklung des Gerätes und Aufnahmen der Platte nahmen gut ein Jahr in Anspruch. Sämtliche großangelegten Konzepte, um sie zu promoten, verschwanden mit dem Werk selbst direkt nach Veröffentlichung komplett in der Versenkung. Hat nämlich 1977 keine Sau interessiert."

Ich finde es fair von mir, diese Information mit den Lesern zu teilen.
Morgen sind wir um 10 verabredet, um nach Philadelphia zu fahren, wir wollen einen Ausflug machen, ins Museum gehen und abends dann das Konzert spielen.
Außerdem möchte ich eine weitere email bzw. Auszüge daraus anhängen, die Stefanie erhielt:

Dear Stefanie,
It was very nice to meet you last night at the opening. i enjoyed talking to you a lot. I'm listening to the Winter Cd right now. (...) I also like the fact that you all sing in German. I wish more bands would do the same. German in rock/pop music sounds really cool to me. I wish  Helloween would do the same.  (...) I hope to see you soon at the show and also at one of your upcoming gigs. (...) I've included a jpeg of me playing one of my V shaped guitars. See you soon!
yoichiro

Helloween sollten darüber nachdenken, unsere Stimme haben sie. Bis morgen!


Niklas, Jason, Stefanie und Björn bei General Greene.
 

TAG 8, 17.01.2009, Philadelphia, PA – Buckingham, PA

Die frühe Verabredung wird trotz der neu gefallenen Schneemassen eingehalten, LD beim Café Archive eingeladen, aber wir müssen nochmal nach Park Slope zurück, wie üblich haben Stefanie und ich unsere schöne Bühnenklamotte vergessen. LD hat einen Muffin und bricht kleine Krümel ab, die er verteilt als seien wir Vögel. Ereignislose und extrem malerische Fahrt mit amerikanischer Raststätte, auf dem Herrenklo ist ein Automat, an dem man sich Scherzgebisse rauslassen könnte bzw. Zahnreihen, die man über die eigenen Zähne stülpt, um shocking auszusehen. Benni denkt sich für uns aus, daß die riesigen Tanks und Silos, an denen wir vorbeifahren das Areal der American Jam Corporation sind, einem riesigen Holding, das alle Marmelade herstellt und in Tanks lagert, an denen ein Hahn angebracht ist, aus dem man sich seine Portionen lassen kann: da hinten Aprikose, hier vorne Erdbeere und so weiter. Gegenspieler von 'Mum's Marmalade, die nur einen einzigen winzigen Tank mit den besten Zutaten drin hat. Ich habe ihn gebeten, zu meiner eigenen Freude einen Song zu komponieren, in dem er in Schlagerform verarbeitet, wie er nach Amerika kommt. Einen Plot hat er bereits: er hat eine neue Freundin kennengelernt, die er nun endlich in persona trifft und wird im Song seine Liebe und Aufregung beschreiben, als roten Faden die Reise nutzen – um am Ende mit der conclusio zu überraschen, daß es sich bei seiner neuen Flamme um die Freiheitsstatue, seine Lady Liberty handelt.
Es gibt eine neue Geschichte von Vinnie, er hat gestern kurz einen Besuch am Haus abgestattet und brachte einen zerzausten Typen mit, den er Minuten zuvor auf der Straße aufgegabelt hatte. Er stellte ihn uns allen vor: meet my new friend Bob. Sam erzählte er später, daß Bob Bauarbeiter sei und wenn sich die Gelegenheit gibt, nimmt auch Bob bei seiner Arbeit Diesel mit. Er kann es nicht für sein Auto nutzen, aber ahnt, daß es Sinn macht, eine sich bietende Gelegenheit wie diese nicht an sich vorüberziehen zu lassen und hat bislang fast 2000 Liter in Containern angestaut. Man kann sich vorstellen, wie froh Vinnie darüber ist, Leute mit ähnlichen Interessen zu finden. Aber es geht noch weiter. Bob zeigte ihm also seine Tankstelle und sein Haus und in einem Raum sind lauter Löcher in die dünne Wand geschlagen und sie ist blutverschmiert, u.a. steht 'FUCK' in Blut dort. Offenbar haben seine frechen Kinder im Teenageralter es getan, sie tanzen ihm viel auf der Nase herum. Bitte rufen Sie nicht: Björn, das ist so hanebüchen, diesmal glauben wir kein Wort, du hast es dir ausgedacht, weil dir die Erlebnisse ausgehen und weil du von Lügnern abstammst. Ich wünschte meine Phantasie wäre ein Obstbaum so reich an Früchten, daß ich eine Schote wie 'FUCK in Blut' einfach pflücken könnte, aber sie ist karg. Mein Handwerkszeug ist die Wirklichkeit und ich kann nichts weiter als sie einzufangen, das sind Brief und Siegel, die ich Ihnen geben möchte. Aber weiter im Flow.
In Philadelphia ist es unheimlich schwer, sich mit dem Auto zurechtzufinden, die Stadt ist nicht groß und nicht schwer zu verstehen, aber die Straßen sind wie eine Attraktion vom Rummelplatz, das Go-Kart-Mais-Labyrinth (ein Hybrid aus allen mir bekannten Sensationen außer Geisterbahn und Riesenrad). Wir halten an einem riesigen Wandgemälde, auf dem ca 25 Meter hoch Frank Sinatra portraitiert wird, samt Fans. Alle Gesichter sind unheimlich und entrückt, Frank selber schaut debil aus der Wäsche. Als hätte er einen Ziegelstein auf den Kopf bekommen. Natürlich müssen wir eine Serie von Fotos machen.
Unser Ziel ist das Mütter Museum. Ausgestelt sind Wachsmodelle, Fotografien und echte Präparate von Körpern und Krankheiten. Nachbildungen von befallener Haut, Skelette von Embryonen, eine eingelegte echte Hand mit Wundbrand befallen, ganz schwarz und zerfleddert, die gemeinsame Leber, die sich die siamesichen Zwillinge Eng und Chang teilten. Niklas ist zu zartbesaitet und zieht sich heimlich stumm zurück, er hat heute aber sowieso weichen Tag, später bekommt er es so mit der Angst zu tun, als festgestellt wird, daß die Scheiben bei Dunkin Donuts aus Panzerglas sind und daß die Gegend arm scheint, daß er sich im Auto versteckt und hinter einem lässigen 'oh... hihi... ich brauche nichts' verstecken möchte, daß er ein Drive-By-Shooting erwartet oder daß Drogensüchtige uns mit ihren infizierten Nadeln stechen wollen.
Im Anschluß besuchen wir die Glocke und LD zeigt uns sein Lieblingsgebäude, sonst u.a. Museum, in dem heute eine Hochzeit stattfindet. So werden wir endlich auch sog. wedding crasher, aber nur für wenige Minuten, der Hunger treibt uns schlußendlich wieder von der Feier weg (obwohl wir abwägen, auf die Häppchen zu warten, die irgendwann ja kommen MÜSSEN). Fun fact: aus Gründen, die mir nicht klar sind, wurde LD vom Sänger John Wesley Harding die Zulassung verliehen, Trauungen vorzunehmen, also wirklich jetzt, legal und proper. Wenn die nötigen Dokumente da sind, kann er alle Leute verheiraten und schon drei mal hat er es gemacht. In Amerika ist das wohl anders geregelt, in den Simpsons ist zB auch Kapitän McCallister zugelassen. Aber Kapitäne dürfen eigentlich ohnehin alles.
In Chinatown gehen wir etwas essen. Einen Parkplatz finden ist so unmöglich, daß wir beim dritten mal bereit sind, die 15 $ zu bezahlen, die der leere Parkplatz kostet, den wir zuvor versuchten, runterzuhandeln, weil wir nur eine Stunde bleiben werden. Sam will dem Wächter seine Arroganz heimzahlen und kündigt groß an, daß wir schauen sollen, wie er es ihm gibt. Er klopft ihm auf die Schulter, sagt mit einem freundlichen Gesicht 'thank you' und ist hochzufrieden, Katz und Maus mit seinem Gegner gespielt zu haben.
Dann weiter nach Buckingham, die Fahrt soll etwa eine Stunde dauern und führt uns über den bereits erwähnten Dunkin Donuts, wo wir etwas Heißes zu trinken kaufen, immer weiter hinaus ins Nichts, vorbei an einer strip mall nach der anderen, immergleichen Ladenzeilen und Einkaufszentren, vieles davon leer und wie eine Geisterstadt.
Der Ort, an dem wir heute spielen, ist tatsächlich ein Privathaus. Das ahnten wir natürlich bereits, hofften aber auf ein Frathouse, um diese dunkle Seite von Amerika auch kennenzulernen, wie bislang nur indirekt durch z.B. die Serie 'Buffy the vampire slayer'. Es ist eine Art Kommune, ein Hippiehaus. Der Kopf ist Devin, der hauptberuflich Juggler ist und mit seinem Liegefahrrad in Schulen fährt, um dort Kindern beizubringen, wie man jongliert. Herrje!
Wir spielen im Keller auf einer improvisierten Bühne, diese Feier wird monatlich abgezogen. Außer uns spielen noch drei andere Acts, zwei davon ganz kurze Sets. Man stößt sich laufend an Rohren. Unser Konzert kommt bombig an und es sind mehrere Leute da, die ein bißchen deutsch sprechen, das macht vielen Amerikanern einen Heidenspaß. 'Wie geht es dir mein Freund, frohe Weihnacht und eine Tasse Kaffee!'
Als wir fertig sind, werden wir mit awesomes überhäuft und ein Mädchen will sich annähern: 'Can I hug you? Awwwww, you guys! I love you! Can I kiss you?'. Das überfordert uns natürlich. Zwischen lauter Hippies, die wohlhabend und bekifft glauben, daß es eigentlich nirgends geiler ist als hier in Buckingham und wer Sehnsucht nach der Stadt hat: bittesehr, Doylestown ist ganz nahe. Ein Typ kommt zu Stefanie und fragt mit stolzgeschwellter Brust über seinen Einfall: did you hear? I yelled 'hot mama' when you played. Es ist derselbe, der vorhin begeistert davon erzählte, wie er in Köln die beste time seines life hatte und wie hübsch die Mädchen in Deutschland seien, leider gäbe es in Amerika nicht so hübsche Mädchen. Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Herrje!
Nach uns spielt eine Truppe Hippies eine Mischung aus Mittelalterquatsch und Groovy Gypsy. Zwei Violinen, Gitarre und eine Art Drehleier, das Blut gefriert in den Adern. Sie heißen Blue Moose und die irgendwasse. Eine Ansage geht so: hey, we're red reindeer and the (?).... hahaha, no of course we're blue moose and the (?)! Die Band hat als Merchandise u.a. selbstverfertigten Schmuck und lacht sich auf der Bühne scheckig und in Extase darüber, wie heavy jeder Moment ist, in dem diese wundervollen Menschen auf der Bühne stehen, jauchzen, mit den Füßen stampfen und ihre Zuhörer an die Power der Träume, der Musik, der Fantasy erinnern.
Die ganze Party fühlt sich wie eine Reise in die Vergangenheit an. Wir kommen uns alt vor, als müßten wir auf Kellerparties rumhängen, von denen wir unsere kleinen Geschwister abholen. Die Tatsache, daß es sich genauso anfühlt wie zuhause ist ein Indikator dafür, daß Obama bereits jetzt die Schranken zwischen Europa und Amerika einreißt. Oder aber auch, daß Leute letztendlich doch überall gleich sind und junge Leute im Nirgendwo immer ähnliche Möglichkeiten wählen, sich die Zeit zu vertreiben.
Entstand der Eindruck, wir hätten es nicht genossen, im Hippiehaus zu sein, ist er falsch. Wir haben jeden Augenblick aufgesogen. Wäre der Abend in Görlitz oder Landau, Rollenhagen oder Tangermünde gewesen, hätten wir uns gefragt, warum wir uns so einen Unfug antun. In Buckingham hingegen... ins Herz des Nichts zu reisen, ein Gesicht Amerikas zu sehen, das man sonst nicht sehen kann – es ist ein Abenteuer, das uns aufpeitscht und das wir vermutlich so nie wieder erleben werden. Und vermutlich niemand, dern wir kennen. Das Bungeespringen des denkenden Menschen.
Wir fahren noch zurück während die Folklore gellt, tauschen eingesammelte Anekdoten aus und was für sonderbare Gespräche wir geführt haben und gleiten wie ein unheilvoller Pfeil durch die totale Dunkelheit der eingeschneiten Nacht. Wir würden es jederzeit wieder tun. Wir können nicht anders (wie Martin Luther). Oh und die Cupcakes, die zwei Mädchen gebacken hatten, waren sehr gut. Eine von beiden hat einen Freund namens Matthias in Pforzheim. Ich frage mich, ob es evtl. mein eigener Cousin Matthias aus Höfen/Enz in der Nähe von Pforzheim ist?


Stefanie und Devin unter den Rohren. Pipedown in Buckingham.
 

TAG 9, 18.01.2009, Park Slope – Bushwick - New Haven, CT

In New Haven müssen wir erst gegen 18.30 erscheinen, die erste Tageshälfte ist daher zur freien Verfügung. Während Stefanie und ich einfach nur durch Park Slope laufen, gibt es in Bushwick einen großen Skandal. Zwischen unserer Heimkehr irgendwann nach 3 und heute früh um 8 ist jemand vor Sams Haus so in sein Auto gefahren, daß die Hinterseite zerdrückt ist als hätte ein Dinosaurier daran genagt. Der Schwung des Angreifers war so immens, daß das Auto viele Meter weit in die Kreuzung geschoben wurde und nun zusätzlich zur Fahrerflucht und einem kaputtem Auto noch ein Strafzettel von 165 $ dazukommt. Sams Versicherung deckt zwar alles ab, aber wie durch Zufall nur hit & run außerhalb vom Staate New York. Er bleibt gelassen, weil er findet, daß es Vergeudung wäre, sich zu ärgern, wo man damit ohnehin nicht weiterkommt, ist aber auch froh, daß wir nach New Haven fahren und uns mit etwas anderem beschäftigen.
Wir wollen noch kurz über den kleinen Broadway, um zu Cutler's zu schauen und von Urban Outfitters möchte Stefanie Handschuhe haben, die gleichzeitig Finger haben, aber dennoch wie ein Fäustling sind (durch eine abklappbare Haube, die in der Hälfte des Handschuhs beginnt. Klappt man den Fäustling also auf, werden die Finger freigelegt, aber sie sind nur bis zum Mittelglied eingekleidet, wodurch man kleinteilige Aktionen ausführen kann ohne die Handschuhe auszuziehen). Leider ist aber alles schon geschlossen und wir fahren direkt zum Klub.
Wir kommen gleichzeitig mit der zweiten Band des Tages an, THE LOVE LANGUAGE, die überraschter ist als wir, daß wir im Hinterzimmer einer Pizzeria spielen, das zu einem Konzertraum umgebaut wurde. Während wir guten Tag sagen und beim Entladen des Busses helfen (wir selber reisen mit leichtem Gepäck und haben jeder nur ein Instrument und eine Plastiktüte mit Kabeln und Effektpedalen dabei), setzt ein kolossales Schneegestöber ein, das in Windeseile alles zudeckt.
Wir waren hier schon zwei mal zuvor, weil es hier eine der besten Pizzas von New England gibt und berühmtes Bier, das im Hause gebraut wird. Beim letzten mal haben wir auch ein Konzert gesehen, sonntags ist immer Indierock. Thurston Moore in der Vorwoche hatten wir damals versäumt und sahen stattdessen ein Konzert, bei dem alle Bands klangen wie gerade ganz viele Gitarrenindiebands in Amerika klingen: extrem gut gespielt und gut gesungen, aber komplett abgeschrieben bei Arcade Fire, Animal Collective und so weiter.
Wir bekommen Pizza und Salat so viel wir wollen. Unserer Gruppe von 5 Leuten reichen aber zwei, eine mit Auberginen, Basilikum und sundried tomatoes, die andere mit Kartoffelbrei (wirklich wahr, es ist eine Spezialität des Hauses), scharfen Peperoni und Oliven. Obwohl William und Christine dazukommen und mitessen haben wir einen Karton voll Pizza übrig.
Die Leute trudeln nur langsam ein, wir Bands haben einen Backstagebereicht, der eine Ebene von Polstern mit einem kleinen runden Loch in der Mitte ist, in das man die Füße stecken kann. Man kann es sich vorstellen wie eine verwegene Hüpfburg, es ist NUR Polster so weit das Auge reicht. Und ganz warm beheizt, so daß mind. drei Mitglieder der Gruppe tatsächlich einen kurzen Schlaf halten, 'power nap', wie Boris Becker es in seinem (Hör-) Buch nennt. Einer der Barkeeper kommt an den Raum geschlichen und steckt seinen Kopf herein. Wir nehmen an, daß er eine Getränkebestellung entgegennehmen möchte, weil wir alle durstig sind, aber zu faul, um unseren Bereich zu verlassen und selber welche zu besorgen. 'Do you want to smoke?' fragt er konspirativ, will uns damit aber nicht etwa eine Zigarette anbieten sondern auf Hasch in den Keller einladen als wäre es etwas, was eine Geheimgesellschaft macht. Er erklärt später: 'do you know why we're all so chilled, dude? That's because we go down to the basement on the weekend and get real high!'. 'High' muß man sich ausgesprochen als haaaaaa denken, mit einem sehr langen Vokal und einer lockeren Geste der Hand illustriert.
Love Language fangen an und sind ziemlich gut. Auch ihr Sound ist sehr deutlich abgeschrieben und soll ganz schön viel sein, aber gut ist es dennoch. Unsere Favoriten sind Missy, die Pianistin und Jordan, der Bruder der Kopfes der Truppe, er spielt akustische Gitarre und ist riesengroß, vielleicht sogar größer als Jan Schewe, der größte mir persönlich bekannte Mensch. Fragen Sie sich mal selber, wie viele wirklich große Menschen Sie kennen, Sie werden feststellen, daß nicht viel zu holen ist – was nicht heißen soll, daß Sie nicht dennoch einen interessanten Kreis von Freunden und Bekannten haben.
Dann sind wir dran. Trotz des Schneesturms ist es voll, die Leute bleiben da, werden immer mehr und kommen näher. Wir verbuchen es als großen Erfolg und klatschen in die Hände, wie gut wir Exoten mit Herz ankommen. Es sind auch wieder ein paar im Raum, die 'eine bißchen, aber nur ganz klein wenig' deutsch sprechen. Für sie ist es besonders schön, daß wir da sind, weil seit Jahren und Jahrzehnten, seit Ende ihrer Schulzeit, niemand mehr ihr Deutsch abfragen wollte. Jetzt wissen sie, daß die vielen Nachmittage, an denen sie so gerne draußen getollt hätten, aber 'wie geht es? Einen guten Abend und herzlichen Glückwunsch!' in ihre Köpfe prügeln mußten, nicht vergeudet waren. Als wir 'Eissturm' spielen, bitten wir darum, die Türe neben der Bühne zu öffnen, damit man den Sturm draußen sehen kann, eine Visualisierung, wie sie sonst nur bei Stadionkonzerten von zB U2 stattfindet. Der Schlagzeuger von Love Language kann nicht an sich halten, setzt sich neben die Bühne und spielt Tambourin – obwohl er, so sagt er, das sonst eigentlich nie macht, aber unsere Musik habe ihn so mitgerissen, daß er nicht anders konnte (auch wenn wir glauben, daß er es oft macht, ist es trotzdem sweet von ihm).
Eine Frau hat unser Buttonset gekauft und alle Buttons sofort angesteckt, sortiert sie aber am Mantel immer wieder um und kommt jedes mal, um die neue Anordnung zu zeigen. Sie erzählt, daß sie neben einem Mädchen stand und zu ihr sagte: 'these guys are the best, they sound just like Velvet Underground!', worauf die andere Person wohl sagte 'these guys sound like themselves and nobody else!' und davonlief. Ein älterer Herr mit Rauschebart und Batikshirt, der wie ein Kugelblitz tanzte und sich um die eigene Achse drehte als wir spielten, Eric, dankt uns und erklärt, daß sein Tanz seine Weise war, zurückzugeben, was wir von der Bühne ausgesendet haben (die meisten größeren Städte haben ein solches Original, der mir bekannteste kommt aus Karlsruhe, er war auf eigentlich jedem Konzert, das ich dort spielte oder besuchte, angeblich ist er ein Erfinder, der um sein Patent betrogen wurde, was wohl aber wirklich stimmt und keine fixe Idee ist wie 'Alfred Hitchcock hat mir all meine Ideen gestohlen'). Auch heute wird wieder ein ganzes Faß von awesome und Lob über uns geschüttet. Der Sänger der Band, die wir damals hier gesehen hatten, MT Bearington, ist auch da und sagt ganz schöne Sachen zu uns, über die subtlety unserer Musik. Wir genießen es und würden den Abend gerne verlängern, zumal auch eine handvoll Freunde und Bekannter da ist, auch Greg ist gekommen. Zusammen mit Love Language und dem Barpersonal feiern wir noch ein wenig, Miller und Ryan, die Barkeeper, hören nicht auf, Benni 'Roadies' in die Hand zu drücken, Biere für die Fahrt. Stefanie und Missy umarmen und küssen sich laufend; da beide Band Love im Namen führen liegt es aber auch einfach in der Luft. Zum Glück steckt uns Ryan auch noch den New Haven Advocate zu, die Monatszeitschrift mit allen Veranstaltungen drin, in der es eine riesige Ankündigung für uns gibt mit der Überschrift 'Ja, lieben wir Connecticut' und einem Foto aus der Galerie unserer Homepage, auf dem in unmöglicher Pose und mit unvorteilhaften Grimassen Benni, Mauri, Stef und ich im Herbst 2006 vorm Kapitol in Hartford, CT posieren. Es ist das vielleicht schönste Souvenir dieser Art aller Zeiten und unser erstes richtiges Auftauchen in der US-Presse.
Wir werden eingeladen, wieder zu kommen, weil wir amazing waren und eine gute crowd angezogen haben obwohl es draußen so ausladend ist durch Schnee und Glätte, sagen lange Goodbyes, trinken noch einen Jameson, weil es Ryans Lieblingsgetränk ist, er ist Irish und hat eine Wollmütze mit Jameson-Aufschrift. Selbst der Sound guy ist begeistert und kauft uns einen von Jans Effekten ab, den Motor Fuzz.
An der ersten Tankstelle halten wir und treffen wieder unsere neuen Freunde aus Raleigh, NC. Auch Love Language fahren zu Freunden nach New York, um dort zu übernachten, sie spielen morgen mit Cursive direkt um die Ecke vom Cake Shop. Missy springt zu uns ins Auto, setzt sich auf Stefanie Schoß, sieht mit ihr Polaroids an, gibt ihr, Benni und mir einen Kuß und verschwindet mit ihrer Band in die Nacht. Sam erinnert sich daraufhin daran, daß Julie vor einigen Jahren an ihrem Geburtstag eine kissing booth aufbaute und wenn man einen Kuß stiebitzen wollte, mußte man sie bezahlen, indem man sich eine kreative Leistung, eine Idee, ein Kunstprojekt ausdenkt. Viele ihrer eingeladenen Freunde waren davon völlig überfordert, die spielerische Sexualisierung von Kunst, die Verbindung von Körpern, Zärtlichkeit und Schöpferischem, Matt und Nan zB gerieten darüber in einen kleinen Streit. Sam hatte daraufhin überlegt, auch einen kissing booth zu machen, wollte aber nicht einfach die gute Idee seiner Freundin kopieren.
Was für ein Tag! Niklas fährt das Auto vorsichtig über die in Teilen spiegelglatte I 95. Morgen treffen wir uns vermutlich erst am Cakeshop und haben bis ca. 17, 18 Uhr freie Verfügung, nur Sam hat etwas vor, er hat seine acting class. Wie mag es nur mit seinem armen Auto weitergehen.


Crowd (Auszüge). Im Bild kann man viele der im Text erwähnten Personen finden, versuchen Sie es!
 

Interimsmeldung, 23.01.2009

   

Wegen aktueller Probleme mit dem Internet, das in New York leider kommt und geht wie der schneidende Wind, der vom Atlantik herfegt und sich anfühlt wie Rasierklingen in unseren lachenden Gesichtern, ist es für mich gerade schwerer als erhofft, vernünftig Daten an Michael, den Redakteur, der dieses spannende Projekt betreut, zu senden. Daher muß ich ich mich mit dieser kurzen Zwischenmeldung und einem schönen Bild entschuldigen – mit Wochenbeginn folgen die nächsten und leider letzten Episoden. Ich darf bereits so viel verraten: Skandale, Promis, Ninjas und ein überraschender Studioaufenthalt für Locas In Love. Bis dahin lade ich Sie dazu ein, nochmal alle Folgen zu lesen, denn evtl. werde ich abschließend ein Quiz mit Textwissen machen und eine Reise verlosen. Und auch diese Woche darf ich beenden mit einem Gruß aus New York und einem herzlichen Dankeschön, daß Sie zusammen mit mir diesen stream of consciousness befahren als wären wir an Bord eines schönen Bootes (zB Traumschiff, Kon Tiki etc).
Ein schönes Wochenende und einen erfolgreichen Start in die neue Woche, Ihr BS

   
TAG 10, 19.1.2009, Park Slope – Bushwick – Lower East Side  

 

 
Wir müssen uns erst relativ spät treffen, da kein wirklicher Soundcheck gemacht werden soll, daher ist die erste Tageshälfte sehr ruhig, zumal wir gestern erst so spät zurück aus New Haven waren – Sie erinnern sich alle, daß der Schneesturm alles überzogen hatte, so auch die I 95. In Deutschland wird schneller geräumt und gestreut, was einerseits natürlich gut zum Klischee des Deutschen als regulierungsversessen und -folgsam paßt, andererseits verwundert, weil sich in Amerika immer alle gegenseitig verklagen. Es gibt sogar ein großes Billboard, das wir immer passieren, wenn wir auf dem Brooklyn-Queens-Expressway zwischen den Stadtteilen herfahren, auf dem geworben wird für die Website 'Whocanisue.com'. Ich möchte ganz geschwind meine eigene Meinung zum Verklagen und Verklagtwerden in diesen Text einfließen lassen. (Ich gebe sie dabei selbstverständlich als mir zufällig zugeflogenen Gedanken aus, den ich im Web verarbeite, aber schöpfe dabei aus eigener jüngster Lebenserfahrung.) Fast immer liegt man richtig, wenn man annimmt, daß es sich hier um mittelmäßige Menschen handelt, die um Geld schachern. Oder darum, 'Recht zu haben'. Es Vergeudung von Zeit, Energie und Geld. Exakt überhaupt niemand geht hier als Gewinner raus außer den Anwälten, die unabhängig vom Ausgang gepfefferte Rechnungen schicken. Geldgeschacher oder Tragödien. Und recht haben oder Geld behalten / bekommen können kaum die verlorene Zeit ausgleichen. Ein Gericht ist ein ganz deprimierender Ort. Fahren Sie mal hin, am besten in einer großen Stadt, wo in unzähligen kleinen Räumen eine Verhandlung nach der anderen durchgewunken wird und sehen Sie den Computer im Foyer ein, auf dem alle Fälle aufgelistet sind, damit man seinen eigenen finden kann – oder den, den man besuchen möchte. Das menschliche Elend, das Sie vorfinden, wird Ihnen die Laune für einige Zeit ordentlich verderben.
Das Konzert ist von Anfang an sehr gut besucht, im Publikum sind auch Dean Wareham und Britta Philips von Luna, beide sehen in echt älter und lebensgegerbter aus als man es sich vorstellt, gerade wenn man Dean Warehams Buch gelesen hat, für das er nur Bilder ausgesucht hat, auf denen er schön aussieht. Aber dann wiederum... wer würde schon gedruckt schlechte Bilder von sich sehen wollen. In Blogs und bei myspace ist es etwas anderes, da läßt jeder gerne fünfe gerade sein und winkt grimassenschneidend in Badehosen in die Kamera: ich beim Bobrennen, ich mit dem ganzen Gesicht mit Sahne eingeschmiert, ich als Peter Criss geschminkt, ich in einen alten Schuh beißend um meine Freunde aufzuheitern, ich als Vierjähriger mit lustiger Frisur... Das Internet ist ein besserer Ort für Momente aus dem eigenen Leben, die aus der Distanz den Anschein von Gag-Potential bekommen, die eigene Autobiographie als Hardcover: nicht.
Kansas State Flower spielen als erste und sind richtig toll. Von allen Projekten, in denen Matt spielt, sind sie vielleicht das spannendste. Es ist ungefähr eine Mischung aus Modern Lovers, The Fall, B52s und Velvet Underground. Großartiges Konzert. Dann ist LD dran, dem man sehr anmerkt, daß er sich unwohl fühlt, weil er und seine Band nicht genug Vorbereitungszeit hatten, da immer jemand anders keine Zeit hatte und so auch Pinky heute fürs Konzert fehlt. Seine Songs sind natürlich noch immer überwältigend schön, auch wenn die Band noch so daherrumpelt. Als wir dran sind füllt es sich nochmal und wir spielen eines unserer schönsten Konzerte – und das vermutlich schönste, das wir bisher in New York hatten. Die Lautsprecher beben so sehr, daß andauernd Gläser von ihnen heruntervibiert werden und zu Bruch gehen. Weil nach uns noch Mascott kommen, spielen wir nicht zu lang sondern feiern danach lieber noch zu Mascotts wunderschönem Konzert. Jason ist da, Chris ist gekommen, eine Courtney aus Philadelphia mit Freunden, die uns vor zwei Jahren auf dem Popfest gesehen hat... Die Tatsache, daß wir tausende von Kilometern von zuhause Leute zum Konzert ziehen, die wir nicht persönlich eingeladen haben ist aufregend wie der Gewinn eines Preisausschreibens. Selbst wenn es nur zwei Leute sein mögen, die extra für uns gekommen sind, selbst wenn man nur einen Blumenstrauß im Kreuzworträtsel gewonnen hat, ist es doch ein bißchen erhebend und ein schöner Moment, der anders ist als andere schöne Momente im Leben. Und das ganze Lob, das wir einstreichen, die Platten, die wir nach den Konzerten verkaufen – es ist alles so aufregend. Ich möchte Ihnen nicht vorspielen, daß wir abgewichste Profis sind, die nach hunderten von Konzerten und diversen Platten sicher kaum etwas empfinden, wenn sie eine CD an einem Fremden verkaufen. Wir sind nämlich keine; und unser Vergnügen ist ungespielt und aufrichtig wie von zB Haustieren oder Kindern, nur eben daß wir menschlich und erwachsen und zu großen Teilen in vielen Feldern unseres Lebens sehr souverän sind.
Nach dem Konzert laden uns Jim und Ben ein: Jim hat ein Studio in Bushwick und Ben macht ein kleines Label, zusammen erfanden sie die Reihe 'At Home Anywhere', wo Bands auf Reisen kurz vorbeischauen und wie bei John Peel live im Studio zusammen ein paar Songs spielen, die dann im Netz veröffentlicht werden. Bisher waren schon Dianogah und Catfish Haven da. Weil wir grundsätzlich gerne ins Studio gehen sagen wir zu und verabreden uns für übermorgen; anders als bei vielen andere Vorschläge und Einladungen, die wir bekommen haben. Vor allem im Hippiehaus hatten alle noch Ideen, wo wir hinkommen müssen, welcher Kumpel eine Radiosendung hat oder wo ein weiteres Kellerloch in New Brunswick darauf wartet, daß wir darin spielen. Ein Vorschlag kam von einem Mädchen, das ihre Kompetenz ausweisen wollte mit 'I work for Virgin Music', was uns biographisch bedingt so vorkommt als würde jemand nichts außer Boxershorts und einer Baseballmütze tragen, an der links und rechts Halterungen für Bierdosen angebracht sind, mit einer Schußwaffe wedeln und sagen: hast du noch Lust, im Wald spazieren zu gehen?
Morgen also das letzte Konzert und Benni verabschieden, übermorgen zu Jim ins Studio. Auf der Heimfahrt halten wir an einem Kiosk, wo Stefanie sich das größte Überraschungsei kauft, das wir je gesehen haben. Interessant: es ist komplett in Deutsch beschriftet, auch die Zutaten etc, es muß sich also um einen Import handeln. Bloß: in Deutschland sind uns solche monströsen Überraschungseier bislang nicht untergekommen. Werden sie rein fürs Exportgeschäft gebaut? LD glaubt daß ja, daß sie ein Produkt sind, das der 'too much-ness' Amerikas Rechnung trägt. Die Überraschung ist leider im selbem Maße langweilig wie überdimensioniert.
   

Amerikanische Überraschung (seltsamerweise das einzige Foto, das an diesem Tag aufgenommen wurde).
 

TAG 11, 20.1.2009, Park Slope – Coney Island

 
   

Gestern hatten wir keine Probleme ohne Soundcheck und wollen es heute erneut so machen um mehr Zeit zu haben, denn, so ehrlich muß man sein, Aufbau, Soundcheck und Warterei sind überall ungefähr gleich. Die Klubs fühlen sich erst dann anders an, wenn Leute drin sind (Abwandlung einer catch-all-solution von Mischern, wenn man sich mit Rückkopplungen oder unausgewogenem Sound schwertut: 'wartet erstmal ab - wenn Leute drin sind klingt alles viel besser'. Oft ist es wahr).
Stefanie und ich fahren mit der Bahn nach Coney Island, nachdem Niklas uns eine kurze Notiz geschrieben hat, daß er seine Reise abbricht und bereits morgen zurück nach Köln fährt. Wenn man per google seine Gründe erforschen will, findet man in verschiedenen Foren Erklärungsansätze wie 'Verstand verloren' oder 'Zeche im Lokal Greeseberger geprellt und will sie nun begleichen'.
Coney Island mit Schnee ist einer der schönsten Anblicke der Welt. Die Mischung aus Meer und dem weiß überzogenen Strand ist etwas, was wir noch nie und nirgends gesehen haben. Wir sammeln Muscheln und sehen uns riesige Möwen an, sie sind so groß als würden sie sich von den riesigen Überraschungseiern ernähren, die wir gestern kennengelernt haben. Coney Island ist noch immer einer der besondersten Plätze überhaupt, nicht einmal die grauenhafte letzten Herbst unfreiwillig auf dem Parkplatz der 'Cyclones' verbrachte Nacht konnte das ändern. Über einen kurzen Umweg über Manhattan, wo ich endlich dazu komme, mir Ersatz für die gestohlenen Sportschuhe zu besorgen, zurück nach Park Slope, wir sind mit Benni verabredet, um ihm ein Abschiedsmahl zu veranstalten. Niklas kommt auch mit. Es werden Suppe und Salat geschaufelt, zum Glück läuft hier immer etwas Gutes im Fernsehen. Wir bleiben bei einem Kindersender hängen und sehen uns zwei Folgen 'icarly' an, eine Sendung um eine Web-TV-Sendung, deren Moderatorin Carly ist, die Darstellerin kennt man evtl. aus dem schönen Familienfilm 'School Of Rock'. Wir zählen mindestens vier sehr gute Gags und fahren dann mit einem Abstecher bei Jason, um einen Verstärker zu leihen, zur Union Hall.
LD ist noch aufgebrachter als gestern, heute fällt Chuck aus und er ist ohne Gitarrist. Das scheint sich wie ein roter Faden durch den Tag zu ziehen, verschwindende Gitarristen. Die Union Hall ist evtl. der gemütlichste Platz, an dem man in New York spielen kann. Im Erdgeschoß gibt es Ohrensessel, Kaminfeuer und Indoor-Bocceball, das amerikanische Boule. Im Keller befindet sich der Konzertraum, ebenfalls sehr wohnzimmergemütlich. Stefanie und ich haben dort letztes Jahr ein Konzert der Kinderband 'Care Bears On Fire' gesehen, das uns ausgenommen gut gefallen hat.
Der Abend wird von Ben Lerman moderiert, einem Ukulelen-Comedian. Wir lachen sehr über ihn, später werden wir ihn spontan bei seiner Coverversion zu Riskays 'Smell Yo Dick' begleiten (wer es nicht kennt, schnell zu myspace.com/riskaydramaqueen).
The Leader
eröffnen den Abend, es ist kaum zu glauben, wie gut sie sind und wie wenig weitere Mitspieler fehlen. Ihre Gitarristenfreiheit in der grundsätzlichen Anlage der Band ist kein Makel, sondern die größte Tugend der ganzen Stadt, zumindest, wenn man so singt, spielt und Stücke schreibt wie Sam und Julie. Das Konzert könnte drei Stunden gehen und man würde sich immer noch nach mehr sehnen.
LDs Konzert ist souveräner als das gestern. Seine dauernden Spitzen gegen den fehlenden Chuck und dessen Abwesenheit stören nicht wirklich. Der bessere Sound und Pinkys Spiel beflügeln die Band. Nach dem Konzert fällt die Erleichterung in großen Klumpen von LD ab, endlich ist er wieder der entspannte und anschmiegsame Gentleman. Es tat uns sehr leid, ihn so gemartert zu sehen, als er sich im Stich gelassen fühlte.
Es sind Leute gekommen, weil sie uns bei der Eröffnung letzte Woche gesehen haben. Das gefällt uns sehr gut. Die Stimmung bei uns ist gleichzeitig aber auch schlecht, wir sind traurig, daß dies unser letzter gemeinsamer Abend, alles bald schon wieder vorbei ist und darüber, daß wir eine große Entfremdung zwischen uns haben. Das Versagen von Kommunikation und eigentlich einfachsten, klaren und schönen Verhältnissen ist in unserer Weltsicht etwas, was seinen Platz in Filmen hat, nicht in einer kleinen Band. Wenn das echte Leben auf einmal so enttäuschend ist wie Filme, in denen Robin Williams ein tragisch-säuerliches Gesicht macht, ist das ein unangenehmer Moment. Das Leben sollte so funktional und temporeich wie ein Actionfilm sein. Nicht wie der grauenhafte letzte Batman-Film 'The Dark Knight', dann bestünde es schließlich nur aus schwer entzifferbaren Lichtblitzen und gelegentlichen Dialogen, die allesamt wirken als hätten Schimpansen sie in die Tastatur gehackt. Nicht wie ein lahmer deutscher Film, wo Heike Makatsch, Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu und ALLE anderen als young professionals zynisch und bitter durch den Alltag ihrer Beziehungen gehen und sich über die Macken ihrer Partner aufregen als sei es ganz normal oder sogar etwas Gutes, alle Hoffnung, allen Glauben an etwas Schönes an Zwischenmenschlichkeit verloren zu haben. Ganz ganz schlimm. Eher so wie James Bond-Filme soll es sein: konsequenzenfreies Herumbrausen mit dem Auto durch geile Panoramen wie zB Hotel aus Eis und immer eine smarte Antwort haben. Und dennoch sind da gleichzeitig Fetzen von überragender Freude, weil das Konzert so gut ist, weil es mit Sam so schön ist, weil so viele Leute da sind, die uns viel bedeuten.
Nach dem Konzert hängen wir in der Union Hall, bis sie schließt. Mike, Michelle, Benni und Stefanie spielen ein paar Partien Bocceball, ich sitze bei Lisa und ihrem Bekannten und wir reden bis wir müde sind. Mir wird wieder angeboten: do you smoke? Ich: no thanks. But do you want a cigarette? I'm sure Benni can spare one. dann: no, I didn't mean cigarettes... I have something with me and I know it's not easy to achieve in America, so I wanted to invite you. Hier wird ein Tamtam ums Hasch gemacht, daß selbst verkrampfte Kiffer in Bayern wie die entspannte Lässigkeit in Person wirken, wenn sie sich aus Angst vor Nachbarschaftswehr oder Polizei hinter ihrem eigenen Haus verstecken, um ihr Rauschgift zu genießen. Waren es etwa Nate Dogg und Warren G, die es im Sommer 1994 zu gut gemeint haben? Ach, ich gebe zu, daß dieser Gag vermutlich die meisten außen vor läßt und darüberhinaus nicht der beste ist, den man machen konnte, weil er das Wissen voraussetzt, daß ich häufig eine Zeile aus dem Hit 'Regulate' von 1994 im Kopf herumspuken habe, die so geht 'Nate Dogg and Warren G have to regulate'. Eine Information, nach der Sie nie gefragt hätten, die Sie nun aber dennoch haben und die Ihnen hoffentlich hilft ein paar Sätze zurückzugehen und zu schmunzeln bei der Vorstellung, daß die Schärfe bestimmter amerikanischer (und süddeutscher) Gesetze von diesem schönen Rapsong ausging. Ich habe mich weit verstrickt in diesen Firelfanz, aber möchte den Abschnitt nicht löschen, weil ich mir viel Mühe gegeben habe, ihn zu schreiben, ich springe einfach weiter zum nächsten Event.
Fun fact: in der Mall in Fairfield, die wir so gerne besuchen, wenn wir bei Peter Katis sind, gibt es einen neuen Pub oder eine Sportsbar, deren Maskottchen ein schwarzer Bär ist, der als Holzfigur in Schnitzoptik vor der Pforte steht. Stefanie wollte ihn fotografieren und wurde daran von einem safety guard gehindert. Es ist nicht erlaubt, IN der Mall Fotos zu machen, wenn sie es dennoch wolle, müsse Sie es mit dem Mall-Management aufnehmen. Ist das nicht verrückt? Ich muß in Köln unbedingt mal bei Karstadt reinlaufen und zum Test Bilder machen; ob dann auch einer ankommt und sagt: diese Kognac-Schwenker dürfen Sie nicht fotografieren! Ich glaube kaum, in Deutschland liebt man Fotografie, aber das mag auch die räumliche Nähe zu Frankreich sein, wo die Daguerrotypie herstammt, der direkte Ahn der modernen Fotografie, nach der wir alle so verrückt sind.
Immer noch zu wirr und themenfremd? Wie wäre es dann mit einem weiteren fun fact: der Bassist, den wir am Sonntag bei The Love Language kennenlernten, ist nur eine Vertretung. Der eigentliche Bassist ist aber gerade eingebunden, weil er als US-Soldat Black-Ops-Training bekommt. Das sind verdeckte Supersoldaten, die am Rande von Legalität und den Grenzen unserer moralischen Werte ihr Handwerk ausüben.
Oder etwas schöneres zum Abschluß, sonst war der ganze Tag ein Durcheinander aus wirren Geistesblitzen und menschlichem Scheitern trotz Freude. Heute war auch die Inauguration von Präsident Obama, worüber natürlich alle erleichtert und froh sind. Die meisten haben die ganze Veranstaltung in Radio oder Fernsehen verfolgt, auch Kendall von Mascott freute sich schon darauf, als wir gestern noch mit ihr sprachen. Ich erzählte ihr, daß mein Lieblingsmoment in der Siegesrede Obamas im November der war, als er über seine Frau sagte 'my best friend, the love of my life'. Kendall glaubt, daß in diesem Augenblick alle Frauen von Amerika vor Rührung geweint haben.
Morgen gehen wir zu Jim ins Studio. Aufregend.

 

Julie und Sam beim Konzert von THE LEADER in der Union Hall.
 
   

TAG 12, 21.1.2009, Bushwick – Lower East Side (+ TAG 13, 22.1.)

 
   

Um 11 treffen wir uns im Haus von Julie & Sam, Benni öffnet die Türe und sieht in seinem edlen karierten Pyjama wie ein König aus, aber ich weiß schon seit vielen Jahren, daß er aus besten Verhältnissen stammt und sich entsprechend gibt. Einmal verbrachte ich eine Nacht in seinem Jugendhaus in Warendorf und wir aßen ein Stück Torte zum Frühstück – für ihn das Normalste der Welt. Er möchte zeitig am Flughafen sein und kommt deshalb nicht mit ins Studio. Wir überreichen ihm zum Abschied ein Geschenk, das er schon zur Begrüßung bekommen sollte, aber es ergab sich nie. Besorgt haben wir es zu dritt bei Love Saves The Day (Sie erinnern sich gewiß alle an unseren Besuch dort am dritten Tag), es ist ein Smoking Baby, das man sich auf den Schreibtisch setzt und es raucht dann richtig. Diese ungewöhnliche Mischung (Baby und Rauchen) finden wir alle richtig witzig und müssen sofort lachen. Dann wünschen wir gute Reise, steigen in unseren Minivan und fahren die paar Minuten zu THE FORT (passenderweise auf der Locust St. – übrigens wissen wenige, daß Malcolm Middleton erst annahm, wir hießen Locusts In Love: 'I thought it's a reference to biblical plagues.').
Jim hat immer ein Setup aufgebaut und mikrofoniert, so daß man sofort, wenn man eine Idee hat, loslegen kann und nicht Stunden mit Aufbau und Einstellen vertun muß. Daher brauchen wir nicht lange und können anfangen zu spielen. Kyle war gestern beim Konzert und davon so beschwingt, daß er heute mitkommt; daher spielen wir unsere vier Songs als Quintett mit 40%igen Amerikaneranteil ein. Die Aufnahmen sind konzentriert, aber auch entspannt, sehr schön und als stünden wir im Proberaum. Mit Kyle ist es wieder toll, er spielt immer sofort das Richtige, selbst wenn er ein Stück erst zum zweiten mal hört. Ben (Ben Lord vom Cougar Label, der Initiator von At Home Anywhere) dokumentiert alles mit seiner Kamera.
Gerade rechtzeitig werden wir fertig, Sam und Kyle brechen zusammen mit Niklas auf, wir drei verabschieden uns verkrampft voneinander als gäbe es noch mehr zu sagen, oder überhaupt etwas. Mir selber fällt nur ein steifes 'gute Reise... und stürz nicht ab' ein, ein schaler und gänzlich unwitziger Spruch, den mein eigener Vater nicht unlockerer hätte bringen können. Niklas, ebenso schal, entgegnet 'ja, besonders direkt überm Hudson River passe ich auf'. Bevor wir weiter wie Lehrer daherreden, ist der Aachener Aal losgeeilt. Auf Holz geklopft, daß beide gut ankommen mögen und all die Verwirrung im Reiche von Reinhard Mey (= über den Wolken) bleibt.
Jim hat nach unserer zwei weitere Sessions heute, aber es bleiben knapp zwei Stunden. Wir können noch ein paar zusätzliche Kleinigkeiten aufnehmen, zur Bodega gehen und eine Suppe kaufen. Heute abend sind Stefanie und ich mit Peter Kato verabredet in das bereits früher in diesem Reisebericht erwähnte Ninja-Restaurant zu gehen, daher gibt es nur eine Tasse Suppe zur Stärkung. Jim kauft sich in der Bodega eine einzelne Zigarette, das geht dort. Er möchte eigentlich mit dem Rauchen aufhören, sich nur einzelne zu kaufen gibt ihm das Gefühl, er habe es fast geschafft.
Am Abend haben wir die Reservierung bei Ninja. Man wird verschwörerisch durch einen Gang geführt und landet in einem weit verzweigten und undurchschaubar verwinkelten Keller, wo man in zuziehbare Kabinen gesetzt wird. Die Kellner sind als Ninjas angezogen und vermutlich Schauspieler, die alle Register ziehen, uns laufend erschrecken, zB indem sie durch unerwartete Öffnungen der Kabine plötzlich hereinkommen und schreien, aber auch durch Anschleichen oder nur Gebrüll. Zuhause sollte man eine Vermischung aus Entertainment und Essen meiden; die Vorstellung in den ganzen Witzigmann-Palazzos zu sitzen und gleichzeitig ein Entrecote serviert zu bekommen, während der russische Superclown Oleg Popov auf einem Pferd sitzt, das wiederum Schlittschuhe anhat, an allen Tischen vorbeigleitet und dabei Feuer jongliert macht mir große Furcht. Gewiß, ich habe hier sämtlichen Unterhaltungsterror ahnungslos vermischt (Zirkus, Holiday On Ice, Cirque De Soleil und dieser ganze Foodtainment (eigene Wortschöpfung) -Unfug), aber immerhin Ihrer und meiner Phantasie erspart, auch noch die Blue Man Group, Stomp, Krimi-Reenactment und das Queen-Musical in den Mix zu werfen. Und mein Punkt bleibt nichtsdestoweniger valide: Essen und Clownerie gehen nur ganz selten zusammen (in der Banane verschmelzen beide: das Innere kann man essen, mit der Schale klassischen Slapstick liefern. Muß man aber eben auch nicht). Das Essen ist großartig, wir bekommen zwei Hauptgänge, warum auch immer. Beim Dessert wirft Jonathan, unser Hauptninja einen Wurfstern nach Peter, den er dann in einer Art Zaubertrick zu einem Mousse au Chocolat-Stern werden läßt. Und ein reiner Ninjamagier kommt auch zu Tisch mit Ninja-Kartentricks. Ich merke gerade, daß es schwer ist, nachvollziehbar zu machen, daß wir einen wunderschönen Abend hatten und das Ninjalokal hiermit empfohlen ist. Das liest sich ja alles eher wie die Beschreibung einer andauernden Belästigung bei einem teuren Essen.
Wegen Bauarbeiten ist die Heimfahrt mit der Bahn umständlich, es ist auch schon sehr spät als wir fertig sind. In unseren Wagen steigt ein junger Mann mit ein, der zunächst wie ein pöbeliger Jugendlicher wirkt, aber wenn man ihm zuhört merkt man, daß sein betrunkenes Gerede von einem interessanten Ort kommt. Es ist fast wie ein Rap, beginnend bei einem Abriß über Footballteams, der dann weiterfließt zu Politik, Respekt und die Welt an sich, durchzogen von einem soften Symbolismus. Stefanie filmt ihn heimlich, sie soll es mal bei youtube einstellen, wenn es gut geworden ist, ich habe aber auch ein paar Sachen mitnotiert:
(...) downtown for the touchdown
Fuck the the Cardinals, they're just birds
unlike us, we are dogs. A-wooo.
Giants number one.
Did you see what they did with the phone?
Disrespectful, very disrespectful
Fuck Pittsburgh, they can suck my dick.
Giants number one. It's like Obama.
Giants, Obama, the same thing. Number one.
Fuck the Steelers, especially the Steelers.
Giants number one.
(Zug bleibt stehen und fährt einige Minuten nicht weiter)
This train is like John McCain. It's too slow.
Too slow for America. Hurry up!
It's like a puzzle but some of the pieces are missing.
America – Obama – Giants – number one. Good night!
(steigt aus)

Auch hier können Worte kaum zeigen, wie unablässig und reich der Wortfluß war, aber jeder wird mir recht geben, daß es wesentlich mehr Pep hat als zb 'zieht den Bayern die Lederhosen aus'; zumal der Junge ganz alleine operierte und nicht von einer ganzen Gruppe aggressiver junger Männer angestachelt war. Es hat auch niemand auf ihn reagiert, er hat ganz für sich diesen Vortrag gehalten, befreit von Gruppenzwang oder Feedback. Es ging ihm um seine Message. Bzw. seine diversen Messages. Ich wünsche mir alle Rabauken genau so motiviert.

Ich merke gerade: das ist bereits das Ende der Erzählung und der letzte gemeinsame Tag hiermit abgeschlossen. Stefanie und ich gehen morgen noch einmal für zwei Stunden zu Jim, um ein paar Kleinigkeiten hinzuzufügen, aber nichts Großes, weil wir die Wirkung der Stücke nicht verändern wollen, die sehr unmittelbar und live klingen.

Folgendes trage ich noch unstrukturiert von den beiden Folgetagen nach:

1. LD kommt im Studio vorbei, er hat gerade seinen Job bei Microsoft verloren. Seit wir hier sind haben mehrere Leute, die wir kennen ihre Jobs verloren, drei oder vier. Wir erleben eine seltsame Zeit, wo eine Wirtschaftskrise ganz real anfängt, sich bemerkbar zu machen (oder als Vorwand benutzt wird, was in der Folge aber natürlich dasselbe ist) und gleichzeitig alle so viel Hoffnung und Freude über den neuen Präsidenten empfinden, der bereits an seinem ersten Tag die Schließung von Guantanamo und Geheimgefängnissen angekündigt hat. In der Phantasiewelt, in der man als Musiker viel Zeit verbingt, hat man seltener direkt mit dieser Seite der Wirklichkeit zu tun (bzw. ist man, wenn man in den letzten Jahren als Band mit einem Majorlabel zu tun hatte, eine gewisse Normalität im Umgang mit dem Untergang gewohnt).

2. Im Apartment nebenan (C4) wohnt eine alte Dame, der ich ihre Sachen nach oben trage. Für wenige Minuten erweckt sie den Eindruck einer netten Oma mit Plauderwunsch (Opener: sie singt 'Was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin' in sehr gutem und gleichzeitig kaum verständlichem Deutsch), dann hat sie Stefanie und mich gnadenlos festgequatscht und ohne die Möglichkeit, zu sagen, daß wir gehen müssen, weil wir verabredet sind, holt sie weit aus, daß die Krise eine Veschwörung der Demokraten sei, die sie herbeigeführt haben, damit Bush schlecht dasteht, redet wirr über Stalin und Saddam Hussein und natürlich den 11. September. Als es zu bunt wird und unsere Füße wehtun unterbreche ich doch, was ich noch nie gemacht habe, selbst als Zeitungsausträger vor ca. 14 Jahren habe ich mir immer geduldig jeden Unfug angehört, aber jetzt ist es gut. Wir gehen in die Wohnung und stellen unsere Taschen ab, wollen direkt wieder los, weil wir ein Date zum Essen haben, da klingelt es an der Türe und die Nachbarin bringt ein Foto, das sie Stefanie zeigt, auf dem sie neben ihrem Präsidenten Bush steht. Sie ist extra nach Washington gefahren, um ihm zu danken, daß er alle Leute befreit hat. Ich habe mich im Badezimmer versteckt, höre aber, wie Stefanie sagt 'yes, of course I will tell my... husband'. Wir sehen zu, daß wir schnell wegkommen.

3. Wir füttern unsere Reste von alten Bagels an Wildgänse in Williamsburg. Eine singt wie eine knarrende Türe, ein Vogelgeräusch, das ich vorher nicht kannte. Die andere Gänste machen es nicht. Auch hiervon existiert Film.

4. Wir kaufen Kuchen bei Fabiane's und gehen zu Sam & Julie, um Lebewohl zu sagen. Die Sonne scheint und beide arbeiten am Haus, das wirklich gut vorankommt. Der Kuchen ist sehr gut. Wie in einer Sitcom betritt auf einmal Vinnie die Küche, nur der Applaus vom Band fehlt (er hat offenbar einen eigenen Schlüssel. was Sinn macht, schließlich muß er jederzeit Zugang zu seiner Tankstelle haben). Ach.


Wir hatten eine sehr schöne Reise. Die Erlebnisdichte war so hoch wie selten zuvor, es ist unglaublich viel passiert. Mit / um / in / durch (usw.) uns. Nach hause zu gehen ist in Ordnung. Alle Abenteuer, alle schönen Dinge, Eindrücke und Momente überhaupt erstmal vearbeiten. Und sich dem stellen, was als nächstes kommt, der ganze Lebensmist, alles, was auf uns wartet, alles, was zu erledigen, zu klären ist. Ich habe beinahe das Gefühl, daß Sie, musi-exp-Leser, auf der Reise dabei waren, so schonungslos habe ich sie Ihnen offengelegt. Ich hoffe, daß sie ähnlich begeistert, verwirrt, zuversichtlich, ahnungslos und generell überwältigt sind, wie ich, wie wir. Wenn nein, lesen Sie einfach noch einmal sämtliche Tagesberichte ohne Unterbrechung in direkter Folge. Zumindest eines der Adjektive aus dem letzten Satz wird dann Ihren Zustand genau beschreiben.
Ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse, die schönen emails und Ihr Feedback, ich habe die gemeinsam mit Ihnen verbrachte Zeit, die Sie vielleicht nicht anwesend aber doch in meinen Gedanken stets zugegen waren, wenn ich dies alles niederschrieb, sehr genossen. Und... bitte danken Sie nicht nur mir, danken Sie auch Michael und seinen lieben Kollegen vom Musikexpress für dieses zur Novelle ausgewachsene Tourtagebuch. Haben Sie etwas Nettes zu sagen, wenden Sie sich an ihn und / oder mich. Haben Sie nichts Nettes zu sagen, behalten Sie es bitte für sich, alle Beteiligten gewinnen auf diese Weise nur.

Im Namen von Locas In Love mit den besten Wünschen und bis bald:
Björn Sonnenberg

 

Im Studio. An der Wand ein aufblasbarer Hirschkopf, in der Ecke oben lauert Ben auf einen guten Schnappschuß.