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Der Erfolg Gibt Uns Recht 2006


18.5.2006, Köln - Berlin (Magnet)

Entweder jedes Tourtagebuch beginnt gleich (nicht geprüft) oder unsere Alltage sind immer anstrengend und wir atmen auf, wenn wir auf Tour fahren, oder diesmal war es besonders nötig, mal aus Köln zu verschwinden. Jedenfalls haben wir uns alle gegenseitig seit Tagen immer wieder gegenseitig Mut gemacht mit 'in 3 Tagen sind wir endlich weg, dann ruft keiner mehr an / müssen wir nicht mehr zur Arbeit/Uni etc' und diese Durchhalteparole war gegen Ende ein kleines Heilsversprechen. Und obwohl wir bei ekelhaftem Wetter und schon von Beginn an zu spät die Reise beginnen, alle völlig erschöpft von den letzten Tagen und besonders der letzten Nacht, von der wir große Teil im Studio verbrachten, um noch schnell etwas fertigzustellen, ist die Stimmung ausgesprochen gut und entspannt. Niklas steuert das Schiff über eine mal ruhige, manchmal zähflüssige See, seine Besatzung entspannt sich. Benni ist aufgepeitscht: er hat einen neuen Schlager geschrieben (Ja ja ja jaja ja ja, ja ja ja ja, kommst auf meine Hütten, kommst mit mit ins Stroh, dann mach i di besoffen und dann jodelo) und verspricht sich von Florian Silbereisen und dem späteren Remix von DJ Ötzi einiges. Auf der Fahrt gemischtes Wetter, einige Staus ohne Grund und 1,5 Stunden Verspätung als wir am Magnet ankommen. Der Zeitplan ist engmaschig gestrickt, wir dürfen keinen Soundcheck machen, finden es aber ok. Seit Februar sind wir zum dritten mal hier, der Mischer Peter kennt uns nun ungefähr und selbst ohne Vorkenntnis ist er ungelogen der beste Mischer Berlins (wenn nicht gar eines größeren Einzugsgebietes) und macht verläßlich einen sehr guten Sound. Stefanie nennt ihn tatsächlich Micha und ist dem Klassiker der Mischernamensmißverständnisse aufgesessen, sie wird später erleichtert sagen: ach, DEShalb hat er nie reagiert, wenn ich ihn rief. Trotz der Hektik fühlt es sich nicht hektisch an. Mobilés Gäste, zB eine Blaskapelle, proben in einem Raum, Soundcheck im anderen, im Backstageraum frohes Rumsitzen, Brötchenessen, wir machen unsere Tour-Gratis-CDs fertig und schreiben eine kleine Setlist. Wir werden nur 30 Minuten spielen und spielen nahezu nur Stücke, die Mobilé und Sternbuschweg sich von uns wünschen. Sehr früh müssen diese dann auch ihr eigenes Konzert beginnen. Der Raum füllt sich ganz gut, aber die Leute müssen erst auf Konzertmodus umgeschaltet werden und reagieren noch nicht ganz so warm wie zum Beispiel wir, die wir völlig aus dem Häuschen sind. Wir haben unsere lieben Freunde schon ewig nicht mehr spielen sehen (sie haben ja auch zu unserer Verteidigung ihre Aktivitäten sehr zurückgefahren) und wußten daher noch nicht, welche schmetterlingshafte Transformation sie durchgemacht haben. Sternbuschweg haben ihren herzergreifend schönen Popsongs ein   wesentliches Element zugefügt, an das sie sich früher noch nicht gewagt hatten: Entgrenzung und Selbstaufgabe. Wolfgang spielt unfaßbare Sachen auf seiner Gitarre und singt noch mal besser als früher (und Wolfgang war schon immer ein großartiger Sänger), Benjamin spielt Schlagzeug als könne er mit Wucht und Timing das Schlechte der Welt in seine Schranken verweisen. Die Songs ufern ein wenig mehr aus als früher, aber verlieren sich nicht ein Moment dabei. Wir sind begeistert. Als wir selber auf die Bühne gehen, sind die Leute schon warmgespielt. Sie kommen vor an den Bühnenrand und machen das, was wir uns von ihnen wünschen: ein großartiges Publikum sein. An den Stellen, wo wir plötzlich den Lärm aufbrechen und uns in die völlige Stille schicken, ist es mucksmäuschenstill, hier und da wird mitgesungen als wären wir tatsächlich in dieser Parallelwelt angekommen, wo es so viel besser ist und wir Hits haben. Anfangs sind wir etwas unsicher, da ja der erste Song gleichzeitig unser Soundcheck ist und natürlich mit der Baßanlage und der DI-Box (Himmer hilf und wirf deine Blitze auf diese Boxen!) etwas schiefgeht. Niklas und Stefanie bauen also hektisch um und Niklas vertut sich darob beim Stimmen der Gitarre, die er auf D statt auf E stimmt. 'Immerhin ein Ganzton - das wollte ich beweisen.' sagt er jovial, aber es bleibt so gut wie unbemerkt und ihn selber bringt mittlerweile nichts mehr aus der Fassung außer wenn jemand den Propheten Mohammed verhöhnt. Ältere Stücke wie Moe Tucker und In My Life gelingen uns heute so gut wie selten und zum Abschluß spielen wir einen unbetitelten neuen Song, den wir gestern noch bei einer Studiopause schnell fertiggemacht haben. Ein sehr gutes Konzert.
Mobilé zeigen in der Umbaupause ihr neues Video, es ist spitze. Als sie dann ihr eigenes Konzert beginnen, werden sie auf Händen getragen. Zurecht wohlgemerkt. Mobilé klangen nie so gut, sicher und überzeugend wie heute. Alles gelingt ihnen und wahrscheinlich sind sie für kurze Momente die Herrscher der Erde an diesem Abend, einfach nur weil sie Mobilé sind und endlich an diesem Moment angekommen sind. Stücke, die zT uralt sind, sind heute abend endgültig an dem Punkt, an den sie schon immer wollten. Martin spielt wahnsinnig gut Schlagzeug und alle freuen sich auf sein nächstes letztes Abschiedskonzert, Frank spielt einen Baß, daß ihm das Drehen von Lehrvideos angeboten werden sollte, Marius war noch nie so nah dran an Joey Santiago (auch optisch durch das Bühnenlicht; erstaunlich. Oder bin es ich selber, der in der Liebe für Pixies und Mobilé die Wirklichkeit in der Wahrnehmung verändert?) und Peer singt wie ein Engel. Ralf hält alles tapfer zusammen und klingt dank Peter so wuchtig wie eine britische Band. Irgendwann drei Stücke nur Peer mit Streichquartett, als letztes Stück Peer mit der Blaskapelle. Es ist ein fast unwirkliches Erlebnis und wir können nur schwer fassen, was vor unseren Augen passiert. Heute kann sich niemand mit Mobilé messen. Wir sind stolz, begeistert, erregt und sehr glücklich. Was für ein Abend und wir mittendrin. Die Zeit nach dem Konzert ist das berlintypische Herumsitzen mit unseren lieben guten alten Freunden. Oliver Sturm und die Eheleute Loob sind in der Entourage, wir Bands, diverse Freunde und Leute, die uns allen nahestehen, Sven macht sich Brote mit Bresso und Nutella und versucht, neue Leute für seine 'Cuisine Sven' zu begeistern, er denkt, nach dem Erfolg mit Beatplanet 'fressen ihm alle aus der Hand'. Noch immer freudig erregt und aufgekratzt machen wir uns auf den Weg nach Friedrichshain zu den Sternbuschboys bzw zu Casting. Sollten wir nach Berlin ziehen? Immer wieder stellt sich die Frage neu. Es ist einfach so gut hier.


19.5.2006 Berlin   (Karl-Marx-Straße, Maltes & Peers Geburtstagsfeier)

Der Tag beginnt etwas unvermittelt. Es war zwar angedacht, um 13 Uhr bei Peer zu sein, um dort ein Interview zu machen, aber Peer wollte nochmal anrufen. Peer aber hat es in der Aufregung des Abends im Magnet vergessen oder sich anders gemerkt und wir verschlafen zu Teilen, zu weiteren Teilen warten wir. Gegen 14 Uhr sind wir bei Peer, das Interview verschiebt sich, weil Mobilé jetzt dran sind und wir können frühstücken. In Peers Kühlschrank sind zwei Scheiben Käse, die steinhart sind und knacken wie Partygebäck, wenn man draufbeißt. Als Marius neuen Käse bringt wird er gefeiert wie der junge Boris Becker, als er in Wimbledon allen Gegnern das Fürchten lehrte. Die erstaunlichsten Tennisspieler: Boris Becker, John McEnroe, Andre Agassi. Langweilig ist Pete Sampras. Niklas und Mauri finden, daß Ivan Lendl oder Michael Chang ebenfalls bemerkenswerte Sportler sind. Aber die meisten sind klasse, Roger Federer zum Beispiel, er beherrscht seine Schläge perfekt. Das Interview ist ein wenig langweilig. Einerseits ertragen wir kaum mehr Fragen wie in welche Schublade wir uns selber stecken würden, wie wir uns kennengelernt haben und was unsere eindrücklichsten Erlebnisse mit der Band waren, andererseits erkennen wir an, daß scheinbar Bedarf nach den Antworten auf diese Fragen besteht. Daher haben wir ja auch die Rubrik Locas zu einem kleinen Lexikon umgebaut, aber heute müssen wir nochmal tapfer durch die Standardfragenhölle (die uns vielleicht nur deshalb langweilig erscheint, weil wir noch mit der kurzen Nacht und dem unentspannten Morgen zu kämpfen haben. Stefanies Augen sind außerdem zugeschwollen, sie trägt eine Sonnenbrille, um zu verbergen, daß sie heute 20 Jahre älter aussieht als sonst), die Niklas aber Vergnügen macht. Der Wirrkopf aus Würselen versteigt sich in wild ausufernde Gags und ist zufrieden über die eigene Eloquenz. Die Frage nach den 'Macken' der anderen verweigern wir zu beantworten, da wir es zu privat finden und generell nicht schlecht übereinander reden wollen, ganz davon abgesehen mögen wir uns gegenseitig. Leider kommt uns erst jetzt in den Sinn, daß wir einfach die guten Seiten der anderen hätten aufzählen können. Die letzte Frage ist die nach den Eltern, also was die eigentlich von dem Kram halten, den wir so machen. Eine gute Frage, wie wir finden, auch wenn Rockbands eine Tendenz haben, zu tun als gäbe es nicht Eltern, die sich wünschen, daß man doch noch den Sprung schafft und endlich Lehrer wird. Wir geben nicht direkt ungern Interviews aber gerne auch nicht. Wir haben das Gefühl, daß wir darin meistens in Worte fassen sollen, was Bandsein für uns heißt und wenn wir das könnten bräuchten wir es ja nicht mit Musik zu versuchen. Wenn wir die richtigen Worte für das hätten, was wir tun, könnten wir ja Bücher schreiben. Eine interesante Sichtweise.
Danach proben wir in Peers Zimmer ein paar Stücke mit Bratschen- oder Synthiebegleitung und sind sehrt zufrieden über uns selber. Ein schönes Gefühl. Und auch zu sehen, daß Stücke auch in andere Zusammenhänge geschickt werden können und dort funktionieren, daß laut zu leise und groß zu klein wird und wieder umgekehrt.
Nach der Probe ist kurze Ruhephase, dann beginnt die Feier von Peer und Malte langsam. Die Brüder haben jedes Jahr ein kleines Programm, wo sie Gagsongs singen zu Bratsche und Gitarre. Nächster Programmpunkt: Strawberry Cake, Maltes 'Travestie Unplugged'-Duo, das eine Mischung aus spaßig und schön ist, die uns direkt in unsere kleinen Herzen schießt und ehrlich berührt. Dann sind wir selber dran. Als Geburtstagsständchen singen wir Handle with care von den Travelling Wilburys, haben es aber umgearbeitet, damit es 'Malte und Peer'* heißt und thematisiert. Die nächsten vier Stücke (Von Vorne, Unfall, To get things straight und unser neues unbetiteltes Stück über die andere Seite) begleitet uns Peer an der Bratsche, im Zimmer ist es gesteckt voll, Kondenswasser steht an den Fenstern und die Laune ist spitze. Als Zugabe spielen wir noch eine linkische Version von Rette unsere Seele und stürzen uns wieder als Gäste ins Partyleben. Kurt ist auch da und bringt ein Ständchen, zum Teil auch mit Peer und bringt sich selber fast um als er akrobatisch und halsbrecherisch einen wackeligen Sessel in 'Wee Small Hours' einarbeitet. Dann noch eine kurze Einige Kolopeken-Reunion, Sekt, Erdbeerkuchen und gleichermaßen wildes wie gesittetes Feiern. Wir denken: so jetzt ist ein Uhr, Zeit, etwas Schlaf nachzuholen. aber es ist 10 vor 4. Also schnell los, wieder nichts mit Schlafen. Wir nehmen Kontraphonsteffen und seine Begleitung mit und sehen noch kurz Kurts Wohnung an, er lebt jetzt wie ein König. Mauri und Benni sind vermutlich noch bei der Party, wir anderen fahren zum Sternbuschcenter und schließen den Tag. Wenn wir nach Berlin zögen, würden wir dann jede Nacht erst um 4 oder 5 ins Bett gehen oder müssen wir deshalb so komprimiert alles auf einmal machen, weil wir nicht so oft da sind? Eine wichtige Frage.

*live mitgeschnitten mit Niklas Handy


20.5.2006, Berlin - Lüneburg   (Asta-Wohnzimmer)

Der Tag beginnt ausgeruht. Die Gammeltwins gehen ihrem Job nach, wir anderen drei lassen das Frühstück aus und gehen direkt zum Mittagessen über. In unserem ersten Stammimbiß ist noch niemand bzw ist er geschlossen, deshalb gehen wir zum Ägypter, bei dem wir neulich waren. Es ist windig und ein riesiger Sonnenschirm wird davongeweht, es sieht aus wie in einem Film von Roland Emmerich und lähmt den Betrachter in gleicher Weise vor Schreck. Nur das Ausmaß der Zerstörung wäre enttäuschend für jeden Fan von 'aber die special effects waren geil'-Kino. Der Schirm hätte den Radfahrer, den Hund und zwei Autos mitnehmen können, aber scheinbar ist nichts passiert außer dem eindrucksvollen Endzeitspektakel. Als Dessert essen wir einen Crepe, dann holen wir die GT ab. Das gibt's doch nicht, zwischen den beiden ist ein großes Spinnennetz gewoben, die beiden dazu salopp: vor lauter Gammelei kam das Spinnennetz, wir lassen es aber stehen wegen unseres Arbeitsethos'. Eine klasse Idee. Auch witzig: Casting und seine Freundin Karin kleben den beiden Brüdern zum Abschied kleine Naschereien (Celebration, Nimm 2 etc) in ihr Netz.
Die Fahrt nach Lüneburg ist verregnet, Niklas schiebt unseren Bus durch Wände aus vertikalem Wasser und sagt zu Björn in schnarrigen Hans Albers-Tonfall 'ich steuer unseren Kahn, aber wieso bist du immer der Käptn?'. Der Käptn fürchtet eine Meuterei und überlegt, seinen 1. Kommandanten kielholen zu lassen, besinnt sich dann aber darauf, ihm zu sagen: Jung, der wichtigste Mann ist der Steuermann. Der Smutje kann die Suppe versalzen und der Käptn der Kurs falsch berechnen, aber wer uns auf Kurs hält, beim Klabautermann, bist du, und jetzt hart backbaord, mon General!
In Lüneburg müssen wir tatsächlich auf den Unicampus, es war kein Gag, den Klub Asta-Wohnzimmer zu nennen. Unser Backstagebereich ist ein Seminarraum, der Klubraum ist klein und gemütlich. Wir arrangieren uns auf der engen Bühne, Niklas Mikrofonstativ ist eigentlich für Bassdrummikrofonierung und so muß der Hüne sich bucklig nach unten beugen, um hineinzusingen, ansonsten ist es schon irgendwie ok. Schließlich waren wir noch nie in Lüneburg und müssen die neue Stadt und ihre People erstmal kennenlernen, wo ginge sowas besser als in einem Raum, der sich Wohnzimmer nennt. Es gibt Pizza und Salat, warum nicht. Soundcheck und studentische Hektik: macht schnell, wir wollen Einlaß machen. Björn hat plötzlich schlechte Laune, es wird nicht ganz aufgelöst werden, zu welchen Anteilen schlaflose Nächte, Angst vor Universitätsumgebung und studentischer Schluffigkeit oder sonstigem dazu führen, er glaubt, eine dunkle Ahnung zu haben, was ihn und seine Freunde im weiteren Verlauf des Abends erwarten könnte. Dann beginnt jedenfalls die Vorband, Tricks. Sein Programm hat ein Verhältnis Wort- und Musikanteil wie Kulturprogramm im öffentlich-rechtlichen Radio oder Nachrichtensendungen. Er spielt in seinen 35 Minuten etwa 3 oder 4 Songs, den Rest der Zeit macht er Ansagen. Ein ungewöhnliches Konzept. Dann kommen wir auf die Bühne. Der Sound ist proberaummäßig, aber eigentlich gut, es ist schwer einzuschätzen, wie es vor der Bühne klingt, auf der Bühne ist es sehr anständig und wir können uns aufs Spielen der Stücke einlassen. Die ersten Songs versuchen wir einzuschätzen, wie die Leute so sind, die gekommen sind, es fällt aber sehr schwer. Sie reagieren auf alles mit derselben Stoffeligkeit als würde der Astavorsitzende sagen 'wir konnten die Studiengebühren nicht abwenden, aber wir demonstreieren einfach weiter'. Wir ziehen alle Register, die uns einfallen, versuchen es mit nettem Entertainment, entschlossenem Lärm und spielen mit aller Hingabe, aber es kommt immer die exakt selbe Applausmenge nach jedem Stück. Wir könnten vermutlich mit Dung um uns werfen und das Beste von Throbbing Gristle jedem einzeln ins Ohr brüllen und würden dieselbe Reaktion bekommen. Der Fairness halber soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch eine ganze Menge Leute wirklich dabei sind, aufmerksam zuhören, freundlich lächeln und entspannt im Takt wippen, aber leider lindert das nicht vollständig, wie ein paar andere betont ihr Desintersse ausleben und sich die allerleisesten Stellen in unseren Stücken aussuchen, um sich studentische Geschichten zu erzählen und laut darüber zu lachen. Je weniger wir zum Publikum durchkommen und je mehr wir scheitern, desto besser spielen wir. Ein schönes Gefühl für uns als Band, so dicht zusammengerückt unsere Musik zu spielen und die Wut, die unser letzter Song, den wir behelfsweise Happy End nennen, für eine Top-Performance erfordert, muß nicht per method acting abgerufen werden, sie ist aufrichtig und echt, die Studenten haben es geschafft. Stefanie schickt messerscharfe Salven von Pink & White Noise aus dem Synthie und Niklas stellt sich vor, er könne mit seiner Gitarre Laserstrahlen schicken, mit denen man nachhaltiger als per Naßrasur Barthaare entfernen kann. Mauri bläht sich auf und wirkt wie Bret Hitman Hart, ein kolossaler Krach. Wir gehen verschwitzt und etwas enttäuscht von der Bühne. Mobilé spielen wieder perfekt, ihre Bionic-Coverversion ist der Wahnsinn. Während ihres Konzertes besaiten, ölen und polieren wir unsere Gitarren im Backstageraum, es ist wie Meditation und die Frustration über das lahme Konzert ist schnell aufgelöst. Am Morgen bringt uns Mike, der Veranstalter, in seine WG, teilt uns gemütliche Schlafplätze zu und ist generell sehr nett zu uns. Abschließend sei festgestellt, daß es nicht an ihm gelegen hat und daß in diesem Fall der Veranstalter wesentlich besser war als sein Laden und seine Kunden. Oft ist es auch andersrum, was zwar gut für das Konzert und seinen Verlauf ist, aber letztlich ist es ein nicht zu verachtendes Detail, von jemandem betreut zu werden, der nett und bemüht ist. Wir trinken noch einen Tee, reden etwas in Mikes WG-Küche und sind wieder versöhnt und entspannt. Die Mobilés kann sowieso nichts aus der Ruhe bringen und wir wollen diese Haltung auch immer mehr zu unserer eigenen machen.


21.5.2006 Lüneburg - Hamburg (Astra Stube) - Köln

Die Nacht war wirklich erholsam, Mikes WG-Wohnung war unserer Reisegruppe eine gepflegte und gemütliche Herberge. Mobilé bleiben noch länger, wir fahren in die Lüneburger Innenstadt, gehen etwas spazieren und dann essen. Die Altstadt ist wirklich so schön, wie uns versprochen wurde, ein angenehmer Spaziergang, den wir empfehlen können. Am Flußufer gehen wir bei Le Petit etwas essen, es gibt u.a. Klöße mit vegetarischer Pilzzubereitung, was uns unkonventionelle Esser reizt, zur konventionellen Küche der Köße und Rahmsoßen zurückzukehren. In allem ist Speck, man hat uns aus Versehen das Falsche gebracht und wir bekommen Ersatz, zum Glück bemerkte Benni es rechtzeitig. Mit einer kleiner Waage und einer Pinzette untersucht er jede Speise genau, bevor er sie für seine Künstler freigibt. Niklas flezt sich gelangweilt auf seinem Katzentisch bis altertümliche Spielmänner mit Lauten und Schalmeien kommen und herumbrüllen. Man versteht kein Wort und hört nur entferntes Röhren und Brüllen. Die Touristen und Altstadtspaziergänger sind begesitert, das authentische Duo erinnert sie an die Vergangenheit, eine Zeit, die sie alle gut finden. Manchmal sitzen sie zu Hause und denken träumerisch: zu dieser Zeit wurden selbst Nudeln noch handgemacht in diesen Zeiten ohne Computer, Handy und Internet. Dann schließen sie die Augen und träumen von einer Zukunft, wo Angela Merkel das Rittertum wieder einführt. Am frühen Nachmittag dann ab nach Hamburg, ist ja keine Entfernung. Dort haben wir auch noch eine Stunde Zeit und trennen uns in drei Gruppen: die Erwachsenen (Stefanie und Björn, sie gehen etwas heißes trinken und ein süßes Gebäck essen), die 'Kids' (Mauri und Niklas, sie füttern sich gegenseitig mit Pommes Frites und wollen danach Türklinken und Autos mit Klopapier einwickeln) und Benni. Er behauptet 'ich bin gerne mal etwas allein, außerdem habe ich geschäftliches zu regeln'. Die traurige Wahrheit: er läuft auf dem Kiez auf und ab und hofft, von Lotto King Karl oder Negerkalle entdeckt zu werden für einen starken deutschen Großstadtfilm mit Heike Makatsch oder einen interessanten Werbespot. Auch die Moderation einer eigenen Sendung würde Benni nicht per se verweigern.
Dann Astrastube, Aufbau, noch engere Bühne als gestern, ca 30 auf 70 cm. Durch Achtlosigkeit hat eine Zigarettenkippe ein häßliches Loch mittden in den Gretsch-Schriftzug auf Björns Gitarrenkoffer gebrannt, er ist zornig darüber, weil er seine Sachen top in Schuß liebt und kein Interesse am 'Musikerlook' seiner Sachen hat. Kaffeflecken auf Büchern, die seine innere Zerrissenheit symbolisieren und Brandlöcher, die seine Unruhe abbilden findet er aus der Mode gekommen wie Spazierstöcke mit Fahrradklingel als Gag. Sonst kein Vorkommnisse. Zuhause sind auch gekommen, Daniel, der Schlagzeuger, hatte einen schrecklichen Unfall und es ist seit langem sein erstes Konzert. Sein Arm ist noch voller Draht, aber nicht wie bei einem bionischen Mann, der dadurch auf Knopfdruck timingsicher bleibt sondern wie echtes Leben und zusammengeflickte Knochen. Mit Zuhause ist es sehr schön, eine außerordentlich nette Band, sie bekommt nicht nur für ihr schönes Konzert und ihre bescheidenen und eleganten Songs Bestnoten von uns. Mobilé sind heute nicht ganz so konzentriert wie die letzten beiden Konzerte, Frank spielt laut wie Godzillas Schrei, würde man nicht sehen können, daß die anderen drei ebenfalls mit aller Liebe und Kraft auf ihre Instrumente schlagen, könnte man vermuten es sei ein dreiviertelstündiges Baßsolo. Natürlich kommen sie trotz des schwierigen Sounds sehr gut an und gehen mit Solitär von der Bühne, um nochmal Eindruck zu schinden. Besitzen schon Leser dieser Zeilen ihr neues Album? Im Handel ist es erst in einigen Wochen, aber bei der Band oder den Konzerten bekommt ihr es bereits jetzt und es ist wirklich etwas ganz besonderes.
Dann sind wir dran, anfangs stehen wir unter selbstausgedachtem Zeitdruck, weil wir den Leuten die letzte Bahn ermöglichen und daher zeitig aufhören wollen. Irgendwann stellt sich heraus: alle sind mit dem Fahrrad gekommen und wir müssen gar nicht kürzen, die Leute wollen geduldig mit uns durch eine Welt aus Krach, Stille, Melodie und Geschrei reisen. Wir lassen dennoch I get Lonesome und Rette unsere Seele aus, weil die Hörverhältnisse zu schwierig für solche lauten Stücke sind. Als Zugabe spielen wir Nachtjacken, also Schieß doch Bulle, weil unser alter lieber Kevin immer aggressiver danach verlangt und wir nach wie vor Achtung bzw. Furcht vor seine Jean Claude Van Damme-Obsession in der Jugend haben. Es ist sehr angenehm und das Publikum vielleicht das beste, das wir in Hamburg bisher hatten. Es sind genug Leute da, die scheinbar eine gute Zeit haben und sich nicht schämen, das auch zu zeigen. Nach dem Konzert entspanntes Aufräumen, Rumstehen und Reden mit den Gästen, die noch etwas bleiben. Eine besondere Beobachung: Christian Smukal, unser lieber Freund und Bruder im Equipment-Geiste hat den ganzen Abend über in der Brusttasche seiner Jacke ein laminiertes Papier eingerollt, das wie ein steifer Trichter aus seinem Revers ragt. Jeder andere würde nervös werden, er scheint es nicht mal zu bemerken. Ab heute tragen wir alle laminiertes Papier in der Brusttasche, der Coolnessgewinn ist das Opfer der Unbequemlichkeit wert. Eine weitere Anmerkung: der Mischer (der bizarrerweise wirklich Micha hieß) hat sich sehr reizend um die Rettung einer kränkelnden Taube gekümmert und sie liebevoll an ein sicheres Plätzchen getrieben ohne sie zu scheuchen oder zu ängstigen, ein Benehmen, das von gutem Charakter zeugt und von den Locas In Love ebenfalls nie vergessen werden wird. Das war allerdings noch vorm Konzert, jetzt ist ja theoretisch schon nach dem Konzert. Wir räumen also weiterhin ein, Fred Adrett will Madsen verklagen oder anderweitig in die Mangel nehmen, weil sie nie angemessen gewürdigt haben, daß es seine Gitarre war, die sie zwei Monate statt einer Woche liehen, um darauf ihre komplette Platte einzuspielen, gerade die zwei Monate, in denen er die Chance hatte, im Vorprogramm von Lacrimosa einzuheizen. Wir lassen uns an der Bar noch ein paar Getränke geben, Niklas braucht Club Mate, um die Nacht durchzufahren. Wir winken allen ein letztes mal, verabreden uns mit Mobilé für 18 Uhr und schon dreht sich der Schlüssel im Zündschloß: auch das durch Niklas geschickte Hand, die bis 6 Uhr früh das Lenkrad locker umfaßt und elegant und raketenschnell die ganze Band in ihre Betten bringt. Ist es seine große Leidenschaft, nachts lange Strecken zu fahren? Nein, er will aber alles geben für seine Band, er hofft, dadurch im Tourtagebuch für alle Leserinnen und Leser eine weitere Facette, die sich aus seiner Bühnenpräsenz als Top-Gitarrist in der Tradition von Brian May und Brian Tanner nicht zwingend ableitet, zu eröffnen. Und nicht ohne Grund fragen immer mehr Fans: ist dieser Mann noch zu haben, was sind seine Hobbies und wieviele km fährt er jedes Jahr? Der Tag endet also am Morgen in Erschöpfung und mit einer klar nach oben zeigenden Stimmungskurve.
Benni verriet auf der Heimreise übrigens eine weitere seiner Passionen: Beat Poetry. Sein Gedicht 'Waren' ist eine Art moderne Kreuzug aus Ginsberg, Ferlinghetti, Brinkmann, Lustiges Taschenbuch und geht so:
Warenhafen.
Hier werden all die Waren.
Umgeschlagen.
Die wir.
So gerne tragen.



22.5.2006 Köln (Tsunami)

Noch etwas Schlaf nachholen und den Rest des Tages Dinge machen und ausruhen statt Strategien zu erfinden, Deutschlands Autobahnen ihre Langweile wegzuphantasieren. Wir bekommen eine sehr schöne email von jemandem, der das Konzert in Lüneburg besucht hat und plötzlich relativiert sich der ganze Abend rückblickend und es scheint uns nun doch sinnvoll, daß wir dort gespielt haben. Auch ansonsten läßt sich der Tag gut an, Dinge wie Inkassobriefe und Anwaltskram werden einfach ignoriert, das hier geht erstmal alles vor und wir meinen es ernst, wenn wir Dinge beschließen wie daß wir uns weniger aufregen und die Welt der Erwachsenen nicht an uns ranlassen wollen. Zack, schnell zum Tsunami, guten Tag, Sachen aufbauen. Schwierige Bühne: durch eine komplizierte Ecke wird sie zur Baßreflexkammer und es gibt unheimliche tieffrequentige Feedbacks. Im Team mit Chantal lernen wir, den Lärm zu beherrschen. Bevor wir zum essen gehen müssen Niklas und Björn noch eilig nach hause fahren und Platten holen. Da vergessen wurde den DJ-Slot für den Abend zu bekleiden, gibt es ein spontanes Comeback für ihr Soundsystem. Als sie aufbrechen, gibt es kolossale Wolkenbrüche, kurze Stürme, die Äste von Bäumen reißen und monsunartige Regenfälle, der Wind treibt sie aber zu schnell davon, um den Abend ernsthaft zu gefährden. Alle treffen sich zum Essen in der Lotta, es gibt Salat, Rosmarinkartoffeln mit Chicoree-Karottengemüse und Ananas und danach einen flachen Apfelkuchen. Ein herrliches Essen, das verschiedene Wünsche zugleich bedient, u.a. Niklas mehrtägiges Greinen, daß er sich Apfelstrudel und heiße Schokolade wünsche. Mobilé beginnen als es ganz gut gefüllt ist, ein paar Leute trudeln den Abend über noch ein. Nach wenigen Stücken bricht allerdings Ralf sein Spiel ab: er kann nicht weiter, vermutlich die Nachwirkungen von Hörsturz und/oder Bandscheibenvorfall. Ihm ist schlecht und schwindelig, mit verwirrtem Blick und hektischen, wankenden Schritten verläßt er den Klub, Marius begleitet und betreut ihn. Ralf und Peer spielen dennoch einige Stücke und sind sehr tapfer im Umgang mit der verstörenden Situation. Dann sind wir dran. Wir brauchen ein paar Momente, um hineinzufinden, da uns und vielleicht auch dem Publikum Ralfs Zusammenbruch noch immer etwas nachhängt, er befindet sich mittlerweile oben und draußen und ist dort auch einigermaßen erholt. Das Publikum ist sehr in Feierlaune, jubelt und tanzt und hat gute Laune. Es wäre noch gerne Platz für 20 oder 30 Gäste mehr (nämlich exakt die, die immer sagen: 'ah, ihr spielt endlich mal wieder in Köln, wir kommen auf jeden Fall' und die immer auf gar keinen Fall kommen), aber was soll man unken wenn die Stimmung so gut und angenehm ist. Wir spielen drei Zugaben, die Nachbarn beschweren sich nicht über den Lärm und dann ist es schon vorbei. Wir verbringen noch etwas Zeit im Klub, legen Musik auf, räumen auf, trinken einen Schnaps mit Markus vom Tsunami und gegen halb zwei oder zwei sind wir zuhause. Zwei Mixtapes bekommen heute, sonst keine Vorkommnisse. Benni hat eine zweite Strophe seines frechen Schlagers erarbeitet: geh i heut zur Resi oder zur Marie? Kinder hab i viele doch zahlen tu i nie! ja ja ja jaja ja ja, ja ja ja ja.


23.5.2006 Köln - München (Atomic Café)

Sehr frühe Abfahrt, Niklas trifft im Supermarkt noch Kolepke, der seinen Rucksack sieht und fragt: na Jan, gehste campen? Großteile der langen Reise vertreiben wir uns damit, CD-Cover zu basteln. Keine Polizeikontrollen, reibungsloses Durchkommen und wir sind in der Tat eine Stunde zu früh am Ziel. Bis auf Björn gehen alle noch etwas laufen, er ist verletzt und schlecht zu Fuß und wird wie ein armes Haustier im Auto zurückgelassen, um es ggf. aus dem Halteverbot zu bewegen. Okkervil River verspäten sich um mehrere Stunden, daher bauen wir unsere Sachen auf und machen einen Soundcheck, eigentlich sollte die Reihenfolge umgekehrt sein. Als sie kommen, gibt es freudige Begrüßungen und zu unserer freudigen Überraschung erinnern sich die Okkervils sogar an unsere Namen. Travis wird heute auf Mauris Schlagzeug spielen, das er begeistert lobt, eine große Ehre. Wir beginnen relativ früh, aber das Atomic Café ist schon ziemlich voll und das Publikum für die klubüblichen Verhältnisse extrem aufmerksam und begeisterungsfähig. Wir kämpfen zwar etwas gegen gelegentliche Rückkopplungen aus den Monitorboxen, aber alles in allem klingt es gut und macht Spaß, sowohl leise als auch laut funktionieren und kommen gut an und durch. Okkervil River sind unfaßbar. Das Konzert ist wunderschön, es gibt Stücke von allen Platten und fast alles, was wir uns gewünscht hätten. Die Band hat etwas aufgestockt und noch mehr Kram auf der Bühne, nahezu Timesbold-Zustände. Trompete, diverse Keyboards, Pedal Steel, Mandoline und alles ist perfekt, jeder Ton und jedes Wort an der richtigen Stelle. Sie geben viele Zugaben, dann muß Schluß sein wegen der Discogeschichte danach, eine wirkliche Unart. Okkervil und wir sind im Backstageraum, loben uns gegenseitig und reden über Sehenswürdigkeiten in den USA, Brian gibt uns Tipps für schöne Tagesausflüge, wenn wir im Oktober in Amerika sind, zB den Mount Washington mit dem Auto hinaufzufahren. Travis möchte unser Tourmanager sein und lobt uns in so hohen Tönen, daß wir uns schämen. Niklas murmelt laufend 'we are an American band', er murmelt heute generell viel, er ist angeheitert und überdreht, weil er eine alte Freundin seit langem wieder getroffen hat. Seine Bewegungen sind übereifrig und er schlägt kumpelhaft und viel zu stark auf Schultern und seine Urteile sind fließend: er will, daß Björn den Bus in einem Parkplatz einführt, der ca. einen Meter breit ist und mal in 400, 600 und 50 Metern Entfernung liegt, obwohl wir uns nicht bewegen: 'ich würde da reinkommen'. Wir schlafen heute wieder in Gerhards Wohnung, er empfängt uns um 2 Uhr in seinem Black Flag-Schlafanzug. Stefanie und Björn in Gerhards Computerzimmer auf einer Art Lappen, die anderen auf seiner berühmten Couch. Wir haben viele Platten verkauft und sind zufrieden über den Abend. Wir sind im Moment noch unentschlossen, wie lange wir in Amerika bleiben und was wir dort alles erledigen und sehen möchten.


24.5.2006 München - Bad Aibling (Jims Stellwerk)

Wir schlafen heute sehr lange und sind langsam. Wir feiern auf dieser Tour scheinbar länger als sonst, vielleicht ist es auch, daß wir diesmal in 10 statt 15 oder 20 Tagen das ganze Land bereisen müssen und daher große Entfernungen fahren müssen. Die einzige Strecke, die wirklich nicht der Rede wert ist, ist die, die uns heute bevorsteht, etwa 50 km bis Bad Aibling. Also haben wir viel Zeit. Björn muß stellvertretend für die Band einen extrem nervigen Anruf entgegennehmen, der nachhaltig die Laune drückt. Immer wieder der gleiche Scheiß, immer wieder mit Leuten auseinandersetzen, mit denen zu reden ähnlich viel Sinn macht wie Flaschenpost zu verschicken. Anstrengend und unnötig. Irgendwann ist es aber auch genug mit sich nerven lassen, wir haben schließlich eine andere Mission. Wir kommen viel zu früh an und als wir von der Autobahn abfahren haben wir die Wahl links nach Bad Aibling oder rechts zum Urzeitmuseum. Natürlich wollen wir ins Museum, 460 Quadratmeter unterirdisch Saurier anschauen. Leider hat das Museum geschlossen und alles, was wir sehen sind die drei Saurierskulpturen davor und zwei Pferde, aber das gefällt uns eigentlich auch sehr gut. Das Stellwerk ist dann ein kleiner Schuppen am Bahnhof, sehr nett und für die Verhältnisse bayerischer Jugendzentren wirkt es wie ein besetztes Haus. Relativ früh am Nachmittag kommen die ersten jungen Leute und der Strom wird bis zur Nacht nicht abreißen. Alle, also wirklich jetzt alle jungen Leute, die in der Gegend wohnen kommen zum Stellwerk, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu trinken und jugendlich-enthemmt, aber dennoch zahm und fröhlich miteinander zu feiern, zB daß Bad Aibling so schön ist. Benni ist begeistert: bei der Post will eine ältere Dame sich vordrängeln, eine andere Frau aus der Schlange ruft böse: 'd altn Weiber - den ganzen Dag nix zu tun un dann vordrängeln'. Bayern ist tatsächlich so, wie ihm sein Lieblingsfilm Der Superstau beigebracht hat. Wir essen sehr gut, überhaupt sind die jungen Leute hier um uns bemüht. Ihr Spokesman ist Andi. Die meisten jungen Leute in Bayern heißen Markus oder Andi, ein beweis dafür ist die Band Freizeit 98. Wir haben zwei Vorbands, Sausaggi haben ihren ersten Auftritt heute und haben auf der Bühne eine Kochplatte, darauf einen Topf heißes Wasser, in dem sie Würstl garen, von denen die Zuschauer eingeladen sind, sich zu bedienen. Solche Gags sowie viele der Styles, die uns aus der eigenen Jugend bekannt vorkommen und die heute und hier ebenfalls getragen werden, als wäre die Zeit stehengeblieben, gibt es vermutlich nur auf dem Dorf und in Berlin. Die zweite Vorband sind die Herren Polaris, sie spielen nette, harmlose Musik, die man sich gut anhören kann. Die Stimmung ist insgesamt sehr freundlich und urtümlich und es ist unglaublich voll. Man kann sich nicht vorstellen, daß es so viele jungen Leute überhaupt gibt, aber das Stellwerk zieht sie magisch an. Unsere eigene Show ist krachig und ebenfalls etwas urtümlich. Wir merken schnell, daß wir heute mit unseren ruhigen und sanft-ausufernden Songs vor die Wand fahren würden und steigen auf alles um, was irgendwie laut ist und irgendwie die Tanzwut des Publikums befriedigt. Es gehen Mikros kaputt und wir machen wie üblich alles was in unserer Kraft steht und das Beste daraus, als wir dann naßgeschwitzt und kaputtgespielt von der Bühne gehen wird mit einer Vehemenz, deren nächste Stufe Lynchwut wäre, nach einer Zugabe geschrieen, wir beugen uns gerne, obwohl Mauris Bass Drum völlig auseinanderfällt. Der kleine Raum ist gerammelt voll, die Luft schlecht, die Laune ekstatisch. Als wir nochmal zur Zugabe gerufen werden, spielen wir einfach noch einmal Wir fangen von vorne an, wegen des Gags und weil uns nichts anderes einfällt, was sich jetzt noch gut spielen ließe. Danach beenden wir diesen Teil des Abends und mischen uns unter die Hundertschaften feiernder Teenager. Es ist ziemlich ähnlich oder sogar genau so, wie manche Abende, die wir aus dem eigenen Leben kennen, die gleichen Leute sind da und sie sehen gleich aus; sehr interessant, dabei dachten wir doch seinerzeit kollektiv, daß wir ein ziemlich ungewöhnlicher Schlag sind. Benni fügt sich gut ein und sagt: ah, d'Lawinen kommt - mir saufn weiter! Vielleicht wird es ein neuer Hitschlager. Später trennen wir uns in zwei Gruppen, Stefanie und Björn bekommen ein Dachzimmer mit Blick auf den Sternenhimmel im Elternhaus von den bezaubernden Brüdern Markus und Andi, an der Tür ein Schild: Steuerberaterin. 'Ah, ist deine Mutter Steuerberaterin?' 'Ah ja - Steuerberatung in Deutschland, des is was...'. Niklas und seine Protegés von den Gammeltwins gehen zu Jonas, der frisch von zuhause ausgezogen ist und jetzt ein smartes Apartment bewohnt, das er bis zum Morgen mit weiterfeiernden Aiblinger Jugendlichen vollsteckt, einer ist dabei, der Gregor heißt und unverständlich von Wurst, Kas, Semmeln und Fressen redet. Er wohnt nahe, Benni sagt: dann kannst du ja nach hause kriechen. Er darauf: oder robben. Dieser Tag war auf eine Weise wie Sport.


25.5.2006 Bad Aibling - Frankfurt (Das Bett)

In Ruhe aufstehen und fertigmachen. Stefanie und Björn werden liebevoll von den Brüdern betreut, die ihnen alles über Bad Aibling erzählen, wo es gute Radlwege gibt, wo man gut wandern kann, daß es in Rosenheim einen ähnlichen Laden gibt wie den, in dem Niklas arbeitet, was man sonst in seiner Freizeit machen kann, welche Bands im Stellwerk spielen und daß eine große Vorfreude auf das jährliche Sorf-Festival besteht, bei dem nächstes Jahr gerüchteweise 'der Franz Ferdinand' spielen wird. Die ungleichen Brüder wachsen den beiden sehr ans Herz, die anderen drei stehen verhältnismäßig zeitig auf, frühstücken ebenfalls und gemessen an der Länge und Intensität der Feier sind alle sehr gut ausgeruht und erholt. Wir sagen Aibling Lebewohl und auf Wiedersehen. Eine lange Fahrt liegt vor uns, schon wieder. Es ist stürmisch und regnet, natürlich, denn es regnet die ganze Zeit. Auf der Fahrt ist nichts weiter los: Musikhören (Jason Anderson zB), lesen, schlafen, kleine Pausen machen. Püntklich in Frankfurt, der Klub ist sehr schön, wir sind hungrig und verschlingen gierig die bereitgestellten Brötchen und feiern sie wie einen herrlichen Kuchen aus der Zeit Louis XVI. Langsamer Aufbau, komplizierter Soundcheck (ein Monitor geht nicht). Der Backstagebereich ist im ersten Stock, die Künstlerwohnung im zweiten. Alles ist komfortabel und wir fühlen uns wohl. Stefanie und Niklas geben noch ein kurzes Interview, Benni spricht über Björn als 'Hinkebein Sonnenberg', sonst nichts weiter. Stefanie vermutet, daß eine Regenwolke über unserem Bus mitfährt, vielleicht durch einen Trick, der über chemische Substanzen läuft, die uns ein Gegner aufs Dach geschmiert hat. Es regnet nämlich auch in Frankfurt. Regen und die Ahnung vom verfeierten Vortag lassen uns befürchten, daß es heute eher mittelmäßig besucht sein wird. Als Mobilé beginnen ist der Raum zur Hälfte gefüllt, zu wenig für Stagediving, aber nicht so wenig, daß es der Band und den Anwesenden gleichermaßen unangenehm wäre (der Band aus dem erniedrigenden Desinteresse an ihrer Musik, dem Publikum aus Mitleid für die Band, die durch so ein Desinteresse erniedrigt wirkt). Peers Stimme ist etwas leise, Franks Baß ziemlich laut, ansonsten klingt es sehr gut, Ralf ist wieder einsatzbereit und soweit alles in Ordnung. Sie spielen ziemlich lange heute, aber dafür sind ein paar Stücke im Set, die sonst nicht auftauchen. Wir bauen entspannt um und beginnen. Für heute haben wir nahezu nur ruhigere Stücke im Programm, um uns vom Brüllen-und-weglaufen-Set von gestern zu erholen. Je weiter der Abend fortschreitet, desto mehr Spaß macht es. Der Raum ist immer noch alles andere als voll und wir hätten sicher gerne 20 Leute mehr als Gäste willkommen geheißen, aber die Anwesenden hören konzentriert und fröhlich zu. Wenn man gut hinsieht, kann man beobachten, wie sich Leute ganz sanft zuprosten, um kein Geräusch zu machen, bei der einzige Song steht ein Mädchen an der Theke, um sich mehr Bier zu kaufen, aber sie und der Barmann geben sich ein Zeichen, kurz innezuhalten und erst im Refrain, als Mauri auf die HiHat geht, bringen sie ihr Geschäft zu Ende. Ein tolles Publikum. Wir genießen jeden Augenblick und haben wirklich viel Spaß. Zur Zugabe spielen wir noch Lovesongs und Wir fangen von vorne an, danach wird noch einmal um Musik gebeten, aber wir baden lieber aus dem Backstageraum im Schlußapplaus und lassen es gut sein (wir hätten ohnehin nichts passendes gehabt, um den Abend vernünftig abzuschließen). Danach verkaufen wir Platten und T-Shirts und sitzen friedlich in der Kneipe, es wird wirklich sehr geschmackvoll aufgelegt und die alte Musikerbinsenweisheit stimmt zumindest heute abend: lieber ein kleineres Publikum, das richtig dabei ist als ein riesiges, das unaufmerksam ist. Ist aber keine pauschal geltende Regel. Der Rest des Abends verläuft ebenfalls sehr geschmeidig. Wir haben drei Stockwerke zur Auswahl, auf die wir uns verteilen dürfen. Wir trinken noch etwas, hören Musik, Benni tanzt und flirtet mit Mädchen, gehen kurz ins Internet, wieder etwas trinken und so weiter. Auch für diesen Abend können wir ein Strichlein auf die Liste der von uns als schön empfundenen Konzerte machen.

26.5.2006 Frankfurt - Freiburg (Players Club)

Aufstehen und frühstücken sind heute besonders entspannt, da ja alles im selben Haus stattfindet, wir viel Zeit haben und kurze Wege. Wir holen Brötchen und Saft, von gestern sind noch falafelähnliche Bälle da, die man mit Joghurt genießen kann, der DJ persönlich hat uns eine ganze Schüssel bereitet und wir versuchen eigentlich immer, alles aufzuessen, was man uns hinstellt, aus Achtung vorm Koch und wegen unserer Nachkriegskindheit, als es eine Tugend war, den Teller leerzuessen und es ordentlich eins hinter die Löffel gab, wenn man sich weigerte, Kartoffelbrei und Krustenbraten mit Braunesoß runterzuschlingen. Oft müssen wir alle weinen, wenn wir an diese graue Zeit denken und sind sehr froh, daß unsere Republik sich gut erholt hat, nicht zuletzt dank Angela Merkel. Wir alle unterstützen ihre Kampagne, daß Frauen ab jetzt Röcke und geflochtene Zöpfe tragen sollen.
Nach Freiburg ist es eine unspektakuläre Fahrt, wir kommen sehr zeitig an und können noch etwas durch die Stadt tapern, langsamer als gewöhnlich, weil man immer auf den hinkenden Björn warten muß. Einmal die Hauptstraße runter und zurück, dann kurz vorm Klub warten. Außen werben auf billigem Glanzpapier gedruckte Plakate für laszive Frauen in Unterwäsche, die hier scheinbar Karaoke singen oder strippen, was wohl die zwei Themen des Players Club sind. Nochmal zur Erinnerung: eigentlich hätten wir woanders spielen sollen, ein paar Häuser weiter in einem sehr hübschen Café, die Gage war anständig, der Raum sieht gut aus. Wegen der üblichen Lautstärkeprobleme sagte der Chef kurzfristig ab und Juli, die Veranstalterin heute abend, war in der Bredouille, schnell eine Alternative aufzutun, um uns kein Loch in die Tour zu reißen. Der Laden ist im Keller, es gibt nur eine Quasi-Anlage, also ein provisorisches Karaoke-Mischpult und keine Mikrofone und Stative (der DJ ist ganz erregt, als etwas beim Mischpult nicht geht, er fragt Niklas: hasch du des rumgesteggert? Geschtern war noch Saft druff! Hat der Jens des rumgesteggert? hasch du des rumgesteggert?). Juli kann mit Pep, ihrem Begleiter, alles auftreiben. Mobilé sind in dieser Zeit im Schlacht- oder Brauhaus, wo sie eben gerne hingehen. Frank und sein Bruder Ralf schreiben gerade ein Buch darüber, Radtouren zu machen und jeden Tag in einem urigen Brauhaus zu essen, ihnen kommt diese Tour daher sehr gelegen. Während also alle anderen weg sind (außer einem unheimlichen Mann Typ Captain Jack, der einen weißen Leinenanzug anhat und manchmal unverständliche Order gibt. Ist es der Chef?) spielen wir für Benni erst unsere Stücke als Surf-Instrumentals, dann gründen wir eine Jam-Band mit Mauri am Baß, Stefanie und Niklas an der Gitarre, Björn spielt Schlagzeug. Jeder drückt auch ein bißchen auf dem Synthie rum. Benni bescheinigt uns: 'handwerklich hervorragend - klingt grauenhaft'. Da in unserer Vorstellung Jam-Bands mit frei fließenden Songstrukturen exakt so klingen, sind wir zufrieden mit uns und planen, dieses Konzept weiterzutreiben, um mal in die feine Gesellschaft der Kraut- und Hippierock-Fans aufzuschließen. Phish sollen ja sehr beliebt sein. Wir kennen nicht einen Song von ihnen. Bestimmt ist es genau so ein zäher Lärm, wie wir ihn für unseren tapferen Benni zum besten geben.
Juli kommt zurück mit einem einzigen Mikrofon und es wird immer klarer: dieser Abend wird... ungewöhnlich. Wir werden zum Asiaimbiß eingeladen, womit wir auch sehr zufrieden sind, weil es unser eigener Wunsch war. Zurück im Klub legt der DJ sachte los, die Gäste und Bands mit Schmiß auf den Abend einzustimmen. Metallica und Sepultura in Heavy Rotation.
Das Konzert beginnt verhältnismäßig spät, Mobilé legen los. Marius hat vor der Show mit den lokalen Indiegirls geflirtet und verabredet, daß sie eine Liste mit allen Stücken bekommen und der Band zurufen, was sie spielen soll. Es klappt erstaunlich gut, ohne die Lieder zu kennen, stellen die Mädchen ein sehr gutes Set zusammen. Daß Frank heute besonders ausufernde Ansagen macht, geht nicht auf ihre Anordnung zurück, aber er ist angestachelt von der ungewöhnlichen Atmosphäre und nutzt den gesamten Raum für eine erstaunliche Show, in der er sich u.a. auf ein Sofa fallen läßt, um aus Publikumsperspektive zu prüfen, ob sein Baß laut genug ist (Ironie des Schicksals: direkt darauf vergißt er seinen Baßlauf). Es entbehrt der Logik, aber dies ist eines der bestklingendsten Konzerte für Mobilé auf dieser Tour. Braucht diese Band etwa Umstände, die am besten als Zustände zu bezeichnen sind? Die Stimmung jedenfalls ist großartig und wie im Wohnzimmer.
Wie wollen wir da mithalten? Das Publikum in die Show reinziehen mit dem Setlist-Trick können wir ja nicht auch machen, aber irgendeine Strategie brauchen wir; in einem Raum, der so schepprig klingt und wo wir mit einem einzigen Mikrofon auskommen müssen, obwohl wir drei Sänger sind und von Anfang an klar ist, daß unsere Musik heute zum Teil aus Rumpeln, zum Teil aus Improvisation und zum Teil aus sich selber bestehen wird. Also machen wir es wie im Klassenzimmer, wir stellen uns vor und bitten das gesamte Publikum, sich ebenfalls den anderen Anwesenden und der Band namentlich vorzustellen. Es sind fast nur Mädchen da, die eigentlich alle hübsche Namen wie Pauline haben. Unser eher kurzes, leicht angetrunkenes Set klappt eigentlich erstaunlich gut und alle scheinen sich wohlzufühlen, wir selber auch. Irgendwann kommen die klassischen und schönsten Anachronismen der Kleinstadt in den Raum gewankt (Freiburg ist natürlich keine Kleinstadt, aber sie dürften ohnehin aus den Dörfern der Umgegend kommen): Stumpfpunks! 'Falco' fragt uns mit dem Tonfall und Gesichtsausdruck eines Kindes auf Schwäbisch, wer wir seien und ob wir was zum Pogen spielen. Wie könnte man ihn nicht gerne haben. Natürlich schwindeln wir ihn pfeilgerade an (mir sin die Ramones), er fragt uns und das Publikum nach Geld, Björn ermahnt ihn: du gibst ja nur wieder alles für Haarspray und Nagellack aus. Er sagt: nein, ich will mir Bier kaufen, aber prüft dennoch überrascht-skeptisch seine Fingernägel und verläßt ertappt den Raum (er wird gleich zurückkehren, nachdem er auf der Straße genug Geld für Bier zusammenbekommen hat). Also weiter. Laune gut, Leute fröhlich, wir angestrengt, aber ebefalls gut gelaunt. Solange wir wissen, daß solche Abende absolute Ausnahme in unseren Touren sind, nehmen wir sie mit Neugierde und Humor und lassen uns einfach in den Strudel der Erlebnisse fallen. Nach dem Konzert räumen wir schnell unsere Sachen zusammen, reden und schreiben Autogramme, dazu der Soundtrack von DJ X-Dream, der auf einer Tafel auf der Straße schön folgendermaßen angekündigt wurde: 'DJ X-Dream (Rock & Indie) vs. Liveband'. Wie ernst X-D das 'vs.' nimmt, haben wir spätestens gemerkt, als wir beginnen wollten und bereit standen, er aber einfach nicht 'Californication' der 'Peppers' abdrehen wollte und uns zum Playback förmlich zwang (oder wollte er Karaoke provozieren? Oder Niklas wegen vermeintlichen Rumsteggerns auf eine Zerreißprobe stellen, wie er sich vorhin geprüft fühlte?). Er spielt das Beste vom Besten: Offsprings Pretty Fly for a white guy, Die Perfekte Welle von Juli... Falco und seine Truppe pogen dazu begeistert. Hätten wir geahnt, daß tolpatschiger Hardrock seine Vorstellung von Pogomusik ist, hätten wir sicher nicht versucht, ihn mit 'Rette unsere Seele' zu befeuern. Falco hat uns übrigens noch eine interessante Geschichte erzählt, die von einem gewissen 'Mike' handelt, der 'auf Köln auf die Domplatte' geflohen ist und sich in Freiburg auch besser nicht mehr blicken lassen sollte, weil er die Punkerszene extrem verärgert hat. Er trägt uns auf, Mike eins auf die Fresse zu geben, wenn wir ihn sehen. Die ganze Geschichte als Comic mit Hinweis, wie man Mike erkennen kann, gibt es hier. DJ X-D mixt immer wieder gekonnt und gegen den Takt Samples in die Musik, zB den ganzen Abend über den 'Kick It!'-Ruf, der 'Fight for your right to party' der Beastie Boys eröffnet. Das ist die perfekte - Kick It! Kick It! - Welle, das ist der perfekte - Kick It! Kick It! Kick It! - Tag. Er setzt seine Samples ein, wie ein Pirat den Papagei auf seiner Schulter, der krächzend und fordernd ruft 'Lora ist schön! Lora will einen Keks!'.
Juli und Pep sind den ganzen Abend über entspannt und guter Dinge und lächeln. Wir erden uns quasi wieder selber an Leuten, die durch nichts aus der Ruhe zu bringen sind, eine Methode, die sehr gut funktioniert, denn als wir in der WG ins Bett gehen, sind wir noch immer gut gelaunt und sehen fröhlich dem nächsten, letzten Tag entgegen. Selbst die kalte Dusche, die Björn nehmen muß, kann nicht den Zorn entfachen, den kaltes Wasser sonst aus ihm herauskitzelt. Niklas schläft auf dem Balkon, er liebt es einfach zu sehr, sein Outdoor-Equipment zur Schau zur stellen, um sich eine solche Gelegenheit entgehen zu lassen, sich selber in die Natur reinzusteggern. Natürlich hat es am Abend zu regnen begonnen. Der Verdacht, daß wir mit einem Fluch belegt sind, erhärtet sich.

27.5.2006 Freiburg - Leipzig (Bar)

Im Gegensatz zu gestern müssen wir heute sehr früh raus und Julis WG ohne Frühstück verlassen. Wir besorgen noch etwas bei Supermarkt und Bäcker, u.a. eine kostenlose Freiburger Annoncenzeitung. Die Stellenangebote sind interessant und machen uns Hoffnung für Deutschland: es gibt viel Arbeit hier. Einen der Jobs kann man nur bekommen, wenn man mit "Herr Blanco" spricht. Wie fragt man denn nach diesem Mann? Indem man mit Zeige- und Mittelfinder beider Hände Luftanführungszeichen macht? Oder ist der Gag, daß wenn man zum Vorsprechen kommt tatsächlich Robero Blanco aus dem Hinterzimmer springt und brüllt 'ein bißchen Spaß muß sein - Job gibt es hier leider keinen für Sie, aber... verstehen Sie Spaß?'. In der Datingszene ist ähnlich viel zu holen, vor allem für reifere Männer mit Bock auf extreme Sexgames. Naja. Nach Leipzig fährt es sich anstrengend, da marathonartig lang und es natürlich zu regnen anfängt. Die Strecken, die wir auf dieser Tour zurücklegen, sind wirklich unvernünftig.
Auch hier sind wir pünktlich und werden liebevoll von Ralf und seinen Freunden begrüßt und eingeführt. So scheiße die Strecken sind, so nett sind die Veranstalter auf dieser Tour. Die Bar ist auf dem Gelände der alten Spinnerei und ein bißchen so wie das Kunstwerk in Köln, also ein Keller in einem alten Fabrikgebäude, das mittlerweile voller Ateliers und Galerien ist. Akustisch natürlich eine harte Nuß, da der leere Raum hallt und schwer zu beherrschen ist. Es regnet immer stärker, alle fürchten das Ausbleiben der Gäste. Zurecht, es ist ein Wetter, mit dem man Gegner foltern könnte, indem man sie zu Fuß eine schwer zu findende Adresse suchen läßt. Ralf überläßt uns seine schöne, gemütliche, aufgeräumte und gastfreundliche Wohnung, die nicht weit von der Spinnerei ist. Zu essen bekommen wir eine Kartoffelsuppe mit frischer Minze, wie sie kein Fernsehkoch der Welt besser machen könnte, herrlich. Der Wohlfühlfaktor ist ungeachtet des Regenwetters sehr hoch.
Vor dem Konzert wird der Interviewfilm gezeigt, den wir Bands in Berlin mit Janine drehten. Mobilé sehen ausgeruht und entspannt aus, Frank fällt seiner Band ins Wort und redet alle an die Wand, was ihn eine halbe Stunde sehr nachdenklich macht. Ihm war seine Mitteilungsfreude nie so bewußt, wie der Film ihm nun vor Augen führt. Als Peer ihn auf der Bühne triggern will, das Publikum zu unterhalten, antwortet er seinem Sänger trocken 'was soll ich denn noch reden, es reden doch schon alle anderen'. Ein großes Problem für die Bands ist heute abend, daß die Bar sich direkt an die Bühne anschließt, also die Theke. Alle Getränkedeals und alle Unterhaltungen derjenigen, die nicht zwingend das Konzert sehen wollen, findet dort statt und wirkt umso lauter, da der Raum kaum beleuchtet ist, das Hauptlicht ist eine Diskokugel. Es ist in der Tat nicht einfach, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen, Mobilé spielen solide, wirken aber entkräftet.
Der kurze Film, den Janine aus dem Interview mit uns zusammengeschnitten hat, zeigt uns von unserer schlechtesten Seite. Mauri wirkt todtraurig und verweint, Björn zerschossen und müde, als wäre er die dritte Nacht in Folge betrunken wachgeblieben und von Hooligans vermöbelt worden, Niklas ist zappelig und kreidebleich, Stefanie wirkt skelettös durch die Sonnenbrille und ihr bleiches müdes Gesicht. Wir sitzen unentspannt und beengt auf einem Zweiersofa und geben nuschelnd verwirrte, aber ernsthafte Antworten. Björn gesteht darauf dem Publikum ein, daß er noch am Morgen vorm Spiegel in Freiburg dachte, daß man auf Tour jeden Tag ein bißchen häßlicher und verquollener wird und nun schockiert feststellen mußte, daß wir wohl schon am zweiten Tourtag, nun, häßlich und verquollen waren.
Unser Konzert ist ebenfalls extrem anstrengend. Wir selber hören den Geräuschpegel von der Bar lauter als unsere eigene Musik und kommen durch diese Wand nur schwer zum Publikum durch, das wir obendrein nicht wirklich sehen können. Es ist wirklich voll geworden, vor allem gemessen am Wetter und der Angst vorm Zuhausebleiben der Gäste. Viele Leute hören uns begeistert und aufmerksam zu und viele andere reden sich begeistert zu, es ist ein Kampf der Sounds. Bei Rette unsere Seele kommt der entfesseelte Benni auf die Bühne geschossen und brüllt wie am Spieß mit, kurz darauf flüstert er uns am Bühnenrand zu, daß wir für unser letztes Stück, 'Our Hearts' (das wir heute zum ersten mal auf dieser Tour auspacken) alles aufreißen sollen und so laut spielen, wie wir können. Wir denken an Bob Dylan, der seiner Band einen ähnlichen Befehl gab, um dem Publikum dareinst 'Like a rolling stone' entgegenzuprügeln, das ihn Judas schimpfte und drehen alles heimlich auf. Peer und seine Bratsche sind ebenfalls auf der Bühne. Wir nähern uns dem Finale und als der Lärm beginnt und über den Raum und alle darin herinbricht, entfesseln wir eine kollektive Lärmekstase. Wir selber verlieren uns völlig im brutalsten Krach, den wir vielleicht je gemacht haben und wir nehmen alle mit. Herrliche Minuten. Als wir dann von der Bühne gehen, gibt es einen gellenden Applaus und drei Minuten lang wird nach einer Zugabe geschrien. Wir sind leergerockt und glauben, alles, was zu sagen und klarzustellen war, mit dem letzten Song zu Ende gebracht zu haben und überlassen das Feld der jungen Dame, die Ethnotechno auflegt, den Frank treffend beschreibt als 'Mischung aus allem, was an elektronischer Musik und Weltmusik nervt'. Wir sitzen noch ewig mit Mobilé, Janine und Ralf zusammen und es geht uns wirklich sehr gut. Die Leipziger versichern uns, daß es für uns keinen Grund gibt, nicht zufrieden zu sein und wir uns nicht von der lauten Theke einen   falschen Eindruck geben lassen sollen. Wir wiederum versichern den Leipzigern, daß wir nichts dergleichen denken, uns nun sehr wohlfühlen und große Teile des Konzerts vor allem rückblickend sehr genossen haben.
Frank hat die Selbstzweifel abgelegt und schmettert wieder fröhlich Geschichten durch den Raum, die schönste erzählt er gemeinsam mit seinem kleinen Bruder, dem Fahrradfan Ralf Neuer: es gibt Fahrradrreifen eines bestimmten Herstellers, die Rennreifen heißen 'Racing Ralf', die dicken und robusten Schlappen für Mountainbikes 'Fat Frank'. Wir verabschieden uns mit einer kleinen Träne im Auge von Ralf, Frank, Marius und unserem lieben Ehrenmitglied Peer. Die Mobis brechen auf nach Hause, wir winken ihnen versonnen nach und fahren in Ralfs Wohnung, die uns liebend aufnimmt wie der Walfisch Jona.

28.5.2006 Leipzig - Köln

Sehr früh aufstehen, ein zum Verrücktwerden gutes Frühstück essen und abfahren. Wir stehen eigentlich den ganzen Tag im Stau und brauchen statt fünf oder sechs ca. 12 Stunden, bis wir zu Hause sind. Andere Bands würden sich nach einem Tourabschlußtag im Stau vielleicht etwas antun wollen, wir sind aber fröhlich. Wir haben den Stau genutzt, um auf der Autobahn zu spazieren, Äpfel und Schokolade zu essen und zwar genervt und angestrengt herumzusitzen, aber es gibt viel schlimmeren Saft, in dem man gekocht werden kann als den Saft, zehn so schöne Tage abzuschließen. Wir sind heilfroh, als wir nachts endlich zuhause sind, waren aber nahezu jede Minute der Tour genauso froh, unterwegs zu sein. Bis zum nächsten Mal.

SBNMB